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Moskau: „Überwältigend und mit einer ganz eigenen Ausstrahlung“
In der DDW-Reihe „Ferngespräch“: Reisetipps und Ansichten zu Moskau von Simon Mraz, dem Direktor des österreichischen Kulturforums in Russland. Ein sperriger Name für die Abteilung Kultur der Österreichischen Botschaft und da Österreicher klingende Titel lieben nennt man ihn Kulturattaché. Wer sich damit nun einen Walzer tanzenden Herrn in Frack und Schärpe vorstellt, liegt denkbar falsch – denn mit seinen mutigen Projekten rund um die Gegenwartskunst und seiner Nähe zu internationalen Künstlern verschafft er dem kleinen Österreich im riesigen Russland seit Jahren große Geltung.
Lieber Herr Mraz, aus Wien nach Moskau: Wie groß sind die Unterschiede?
Die Unterschiede sind augenscheinlich größtmöglich. Wien ist eine historisch gewachsene europäische Stadt, mit einem alten Stadtkern und einem breiten Gürtel an Wohnbezirken, die fast alle im 19. Jahrhundert erbaut wurden. Moskau ist zunächst einmal nur riesig und mit über zehn Millionen Einwohnern rund fünfmal so groß wie Wien. Es war auch nie eine Residenzstadt wie Wien, denn das war ja bis zur Revolution St. Petersburg.
Was hat Moskau stattdessen geprägt?
Die Megapolis Moskau erhebt bis heute den Anspruch, Zentrum einer Großmacht zu sein und bleibt eine Stadt radikaler städtebaulicher Veränderungen. Noch Anfang des 19. Jahrhunderts war Moskau vor allem der Kreml, und rund um diesen eine aus Holzhäusern erbaute Stadt, die auf Geheiß des Zaren abgebrannt wurde, um Napoleon den Triumph und Beute durch dessen Eroberung unmöglich zu machen. Nachdem Russland die napoleonischen Kriege gewonnen hatte, wurde Moskau zwar wieder aufgebaut, jedoch bereits wenig später von der Sowjetmacht fundamental umgebaut. Moskau sollte das sichtbare Epizentrum nicht nur eines Weltreiches, sondern einer neuen, nämlich kommunistischen Weltordnung sein. Ganze Bezirke wurden geschliffen und neu errichtet. Das sind in ihrer Radikalität in Europa einzigartige Entwicklungen, die ich erwähne, weil sie bis heute wesentlich für den Charakter Moskaus sind.
„Die Moskowiter sagen „Moscow never sleeps“, und das stimmt“
Und wie empfinden Sie das heutige „Ergebnis“ dieser baulichen Geschichte?
Moskau ist eine tolle Stadt, sicher nicht schön im klassischen Sinn, aber in jeder Hinsicht überwältigend und mit einer ganz eigenen Ausstrahlung. Die Moskowiter sagen „Moscow never sleeps“, und das stimmt. Immer Bewegung, ein ständiges Kommen und Gehen von Menschen, die sich in Moskau zusammenfinden – aus dem ganzen riesigen Land, aber auch aus den Nachbarländern, vor allem Zentralasiens, des Kauskasus, aber zunehmend auch aus Asien, und stets auch aus Europa. Moskau ist eine junge Stadt, eine anstrengende Stadt, die aber, gerade zur Fußball-Weltmeisterschaft, besonders im Zentrum sehr umfassend renoviert und auch für Touristen adaptiert wurde.
Also keine Wehmut nach Wien?
Für mich ergänzen sich Wien und Moskau wunderbar, besonders da wir in einem Zeitalter leben, in dem die beiden Städte nur 2,5 Flugstunden voneinander entfernt sind. Wovon man in der einen Stadt müde sein mag, wird man in der anderen nicht finden. Das gemütliche Wien empfinde ich oft als eine Oase, Moskau dagegen ist eine echte Metropole mit allem was dazu gehört.
Was sind die Herausforderungen, denen sich Moskau zur Zeit vor allem gegenübersieht?
Moskau hat sich sehr erfolgreich zu einer internationalen Tourismusdestination gemausert. Herausforderungen sehe ich in erster Linie in Bereichen der Politik. Für Besucher aus vielen Ländern, darunter gerade auch aus der Europäischen Union, ist das erforderliche Visa ein Hemmnis. Die allgemeine politische Situation tut ihr übriges: Russland und Moskau ist in den Köpfen der meisten Menschen gleichbedeutend mit umstrittener Politik und besorgniserregenden Nachrichten. Ich bin auf dem Gebiet kein Experte, aber ich glaube, Ziel muß es sein, auf politischer Ebene wieder ein vernünftiges Zueinander zu finden. Ich sehe die vielen Bemühungen junger Gastronomen, Stadtplaner und Künstler in Moskau, ihr Bild eines modernen Moskaus und Russlands zu zeigen und hoffe, dass dies im Ausland mehr Beachtung findet. Irgendwann kommt das sicher, davon bin überzeugt.
Was macht die Stadt kulturell einzigartig?
Russland wie Moskau haben eine einzigartige Geschichte, das Land ist genauso europäisch wie asiatisch, geprägt von den – nicht selten aus Deutschland stammenden – Zaren ebenso wie von seinen eigenen Völkern, gerade den asiatischen und zentralasiatischen. Der Charakter einer Vielvölkermetropole ist in Moskau auf eine einmalige Weise zu spüren. Für Sibirien und seine Handelszentren war China immer schon näher als Europa, in der Arktis leben bis heute Schamanenvölker, in Tartastan und im Kaukasus Muslime, die orthodoxe christliche Kirche ist eine der wenigen heute noch existierenden de-facto-Staatsreligionen, all das findet in Moskau zusammen. Neben den vielen verschiedenen russischen Kulturen macht das sowjetische Erbe für mich viel der Einzigartigkeit Moskaus aus. Es mag ein gescheitertes System gewesen sein, aber es ist ein immer noch faszinierendes Konzept, welches sich gerade im Erscheinungsbild Moskaus auf einzigartige Weise manifestiert hat.
Ist die Stadt selbst weltoffener als andere Landesteile?
Russland ist insgesamt ein sehr gastfreundliches Land ist, denn ein Vielvölkerland ist von seiner Natur her weltoffen. Ein Problem ist die nach wie vor geringe Infrastruktur. Im vergangenen Winter habe ich mit zwei engen Freunden aus Deutschland und Österreich eine ganz fantastische Reise zum Baikalsee gemacht, inklusive Eisfischen, Sauna, einem Ausflug in das russisch-buddhistische Gebiet und Hundeschlittenfahrt… Es war eine großartiges Erlebnis, aber zugegebener Maßen hatte ich das Glück, eine gute Reiseagentin zu kennen, und ich kann auch russisch. Für einen Individualreisenden, der zum ersten Mal nach Russland kommt, ist so eine Reise nahezu unmöglich. Aber ich bin mir sicher, das wird sich ändern, denn dasselbe galt noch bis vor kurzem auch für St. Petersburg und Moskau – mittlerweile kann man problemlos einfach herkommen, sich ein gutes Hotel nehmen und wird mit Smartphone und Baedeker problemlos Moskau entdecken können. Ich würde also sagen, Moskau und St. Petersburg sind nicht weltoffener als der Rest des Landes, jedoch mittlerweile besser auf Besucher ausgerichtet.
„Patriotismus äußert sich hier nicht nur im Tragen von Uniformen in einer beliebten sowjetischen Nostalgie, sondern ist mehr und mehr von Vertrauen in die eigene Kreativität“
Moskau ist bekannt für sein schillernden Millionäre und Oligarchen. Fördert das auch die Kunst?
Vielleicht ein Witz mit einem wahren Kern: Den schillernden Moskauer Millionär trifft man eher in London, der Schweiz oder in Wien als in Moskau. Was stimmt, ist, dass die reichsten der Reichen in den letzten Jahren die zeitgenössische Kunst für sich entdeckt haben. Eigentlich alle der reichsten Russen haben Stiftungen eingerichtet, die sich in diesem Bereich engagieren: Roman Abramovich und Daria Zhukova gründeten und finanzierten das fantastische Kunst- und Kulturzentrum GARAGE im Gorki Park, welches internationale Künstlerstars nach Moskau bringt, sich aber zunehmend auch für russische Zeitgenössische Kunst ins Zeug legt. Leonid Michelson, der Eigentümer eines großen Energieunternehmens, baut gerade über die den Namen seiner Tochter tragende Kunststiftung „Viktoria“ ein riesiges Fernwärmekraftwerk in einen Kunsttempel um. Seine Vision: Zeitgenössische russische Kunst im internationalen Kontext zu unterstützen. Die Potanin Stiftung hat vor zwei Jahren eine große Schenkung russischer Zeitgenössischer Kunst an das Centre Pompidou organisiert, mit dem Ziel russische Gegenwartskunst in Paris zu verankern.
Patriotismus äußert sich demnach nicht nur im Tragen von Uniformen in einer beliebten sowjetischen Nostalgie, sondern ist mehr und mehr von Vertrauen in die eigene Kreativität und die Gestaltung einer eigenen kulturellen Identität getragen, und ich denke, dass gerade hierin ein riesiges Potential liegt für die russische Gegenwartskunst, aber auch für das Selbstverständnis von Russland insgesamt.
Wie offen sind die Moskowiter für die kulturellen Impulse, die Sie als österreichischer Kulturattaché setzen? Sie sind ja bekannt für Ihre ungewöhnlichen Kunstprojekte…
Die Kunstprojekte des österreichischen Kulturforums Moskau, welches ich leite, sind tatsächlich „bekannt wie ein bunter Hund“, würde man in Wien sagen, und zwar für unsere Kulturprojekte insbesondere in russischen Regionen. Dabei geht es aber nicht um Abenteuerreisen, sondern darum, faszinierende Orte, Geschichten und kulturelle Zusammenhänge hervorzuheben, die in das Vergessen geraten, aber kulturell nicht nur für Russland, sondern allgemein relevant sind.
Nennen Sie uns Beispiele?
Diese Projekte haben uns auf den ersten Atom-Eisbrecher der Welt in den Hafen von Murmansk, in das für lange Zeit größte und bis heute an den elementarsten Fragen des Universums forschende Observatorium der Welt in den kaukasischen Bergen, in das autonome jüdische Gebiet im Fernen Osten Russlands und viele andere Plätze gebracht. Wir fangen die Geschichte dieser Plätze und ihre gegenwärtige Realität ein, nicht statistisch, nicht politisch, sondern künstlerisch. Diese künstlerischen Expeditionen werden in Ausstellungen zusammengefasst, dabei werden wir von russischen wie auch internationalen Partnern und Firmen unterstützt, die meisten davon mit Sitz in Moskau.
Wir geben Künstlern aus Russland und Österreich damit die Möglichkeit, Aspekte von Russland kennenzulernen, Orte zu bereisen, Menschen zu begegnen, die sie prägen und inspirieren, künstlerische Arbeiten zu schaffen, die wir dann wiederum an jenen Orten zeigen, für die sie geschaffen wurden.
Unsere Geschichten stoßen dabei mittlerweile zunehmend auch international auf Interesse, vielleicht weil wir zu den wenigen gehören, die konsequent an der Sichtbarmachung der Vielfalt russischer Kultur aus der Perspektive zeitgenössischen Kunstschaffens arbeiten. So tragen wir dazu bei, dass man sich vielleicht auch in Moskau an das Observatorium im Süden des Landes erinnert, an Industriestädte, entlegene Dörfer… woran auch immer wir gerade arbeiten.
Ihre persönlichen Reisetipps für Moskau-Beuscher?
Abseits der Klassiker wie der Besuch des Roten Platzes, der Tretyakov Gallerie oder des Kremls mit seinen wunderbaren Kirchen gibt es einige wichtige Orte, die nach meinem Verständnis zu jedem Moskau Besuch dazugehören sollten. Auch neben dem Moskauer Kreml gibt viel spannende Architektur, die es sonst nirgendwo auf der Welt gibt – das Moskauer Metro System als unterirdischer Palast für das „zur Arbeit fahrende Volk“, eines der größten Universitätsgebäude der Welt, Kinos, Kulturpaläste und vieles mehr.
„Hier gibt es den schönsten Blick auf Moskau“
Meine Lieblingsorte in Moskau sind diese: Das VDNKH – ein riesiges Weltausstellungsgelände, das die sowjetische Welt abbildet. Fast eine Hundertschaft von Pavillions ist den sowjetischen Teilrepubliken, Berufsständen, Errungenschaften gewidmet. Über die letzten beiden Jahre wurde das ganze Areal vorbildlich renoviert und ist ein absolutes Muss für jeden Moskau Besucher. Unbedingt einen Besuch wert ist das ebenfalls auf diesem Territorium befindliche Weltraum-Museum. Dann die „Garage“ – Zentrum für Zeitgenössische Kultur: Mitten in dem für sich selbst schon besuchenswerten revitalisierten Gorki-Park befindet sich das Flagship zeitgenössischer Kultur. Die Ausstellungshalle zeigt regelmäßig die international angesagtesten Künstler, aber auch russische Kunst. Das Cafe ist übrigens auch empfehlenswert.
Besonders liebe ich die Aussichtsplattform der Staatlichen Universität Lomonosov: auf einem Hügel errichtet, thront das gigantische Gebäude über der Stadt. Wie kaum ein anderes Gebäude manifestiert es den Anspruch sowjetischer Weltmacht. Es gibt dort eine sehr schöne Aussichtsplattform am Fuße des Hauptgebäudes. Bei schönem Wetter sieht man über die ganze Stadt, vom neuerrichteten Finanzzentrum mit seinen Wolkenkratzern über den Kreml bis zum größten Stadion in Moskau. Die Plattform ist auch ein beliebter Jugendtreffpunkt, bei dem sich friedliche Biker, Straßenmusiker, Studenten und Touristen treffen, alle um einen der schönsten Blicke auf Moskau zu genießen.
https://www.facebook.com/austrian.cultural.forum
Foto von Simon Mraz: Igor Starkov
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