Mit neuen Tools zu lebensfähigen Geschäftsmodellen

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Vor dem Hintergrund des aktuellen massiven Paradigmenwechsels müssen Familienunternehmen lebensfähige Geschäftsmodelle aufbauen. DDW sprach mit Professor Dr. Christoph Schließmann, der für diese Aufgabe ein wissenschaftlich fundiertes Instrumentarium für pragmatische Lösungen bereithält.

Herr Professor Schließmann, was lehrt uns die Corona-Krise?

Die aktuelle Krise zeigt uns wieder einmal in brutaler Form, wie zerbrechlich die von uns erschaffenen Systeme und Organisationen sind. Und zudem, wie wenig wir uns der Grundlagen deren Lebensfähigkeit, vor allem vor dem Hintergrund der Genetik komplexer Systeme und deren Verhalten, bewusst sind. Komplexität bedeutet, dass sich Systeme überraschend, nicht planbar, nicht linear, bis geradezu chaotisch, verhalten. Nichts passt in vorhandene Logiken.

Vor allem haben wir die Lebensbausteine und deren Interdependenzen bestimmter Systeme verkannt. Wir müssen mit ansehen, wie Dominosteine dort fallen, wo wir sie niemals vermuteten und erleben, wie Unternehmen von heute auf morgen abstürzen, wenn sie latent bereits fragil sind.

Dazu kommt, dass wir auch unterscheiden müssen, ob Unternehmen in der aktuellen Krise an oder mit Corona in Schieflage geraten. In vielen Fällen ist es leider so, dass Corona nur ein Brandbeschleuniger für bereits vor der Pandemie wenig zukunfts- und lebensfähige Unternehmen ist. Corona ist daher keine Entschuldigung für per se nicht lebensfähige Geschäftsmodelle und Positionierungen.

Händeringend suchen Familienunternehmen Wege aus ihrer akut existenzbedrohenden Lage. Sie sagen: Oft wird dabei ein grundsätzlich falscher Ansatz verfolgt. Warum?

Man führt so, wie man die Welt versteht und sieht! Viele Unternehmen haben sowohl in qualitativer, als auch in quantitativer Sicht einen falschen Blickwinkel auf ihren wirklich strategisch relevanten Markt.

Darin liegt bereits ein fundamentaler Fehler in der Grundausrichtung, welche den Markt lediglich aus Produkt-, Branchen-, Wettbewerbs- und Vertriebssicht definiert. Dies führt wiederum vielfach zu grundsätzlich falschen Beurteilungen und einer gewissen Scheinsicherheit.

Wir müssen den Lebensraum eines Unternehmens heute aus seinem relevanten System, in dem es sich um bestimmte originäre Kundenerwartungen und deren Erfüllung positioniert, definieren. Dabei kommt man aufgrund der Tatsache, dass es klassische Branchenmärkte nicht mehr gibt, zu ganz anderen Beurteilungen, Risiken wie auch Innovationschancen.

In welchem System-Markt muss mein Unternehmen nachhaltig leben? Mit wem steht es dort im Wettbewerb um die effizienteste und beste Lösung eines – latenten – Kundenproblems? Wobei hier „Wettbewerber“ auftauchen können, die gar nicht der vermeintlich eigenen „Branche“ angehören. Welche Chancen hat es dort, dort eine führende Position einzunehmen?

„Viele Unternehmen glauben an eine Position, die in Wahrheit nicht existiert und bereits latent disrumpiert ist“

Das heißt, gegebenfalls Abschied zu nehmen von angestammten Geschäftsmodellen?

Die Wahrheit ist: Es gibt immer weniger oligopolistische Räume und die meisten Unternehmen agieren, ob sie es wahrhaben wollen oder nicht, in sogenannten „roten Ozeanen“ und rechnen sich durch falsche Blickwinkel „schön“.

Dabei kann ein Unternehmen in einem „roten Ozean“ nur unter bestimmten Voraussetzungen erfolgreich sein. Viele verwechseln operative Planung mit Strategie, ganz zu schweigen von der fehlenden Systemkenntnis, und verlassen sich auf trügerisch fragile Datenannahmen. Sie schreiben Vergangenheitszahlen fort und glauben an eine Position, die in Wahrheit nicht existiert und bereits latent disrumpiert ist und erträumen sich dadurch Marktpotentiale, die weit von der Realität entfernt sind.

Die Lösung?

Im Kern liegt sie in zwei Ansätzen: Erstens: Eine klare Sicht auf das System und dessen Vermessung. Dabei geht es um das tatsächlich relevante System als Lebensraum, den daraus abgeleiteten strategisch relevanten Markt (SRM) und die dortigen Chancen und Risiken sich im daraus ergebenden Umfeld zu behaupten. Nur, wo das Unternehmen – branchenunabhängig – wirklich spielt, zählt als „Flugfeld“ in aller dazu kommenden Dynamik. Aus dieser Sicht kommen oft verblüffenden Erkenntnisse und Antworten. Zweitens: Das Geschäftsmodell muss aus einer Chancenposition in diesem systembasierten SRM abgeleitet werden.

Was steht im Kern Ihres Verfahrens?

Wir haben im vorgenannten Sinne ein Vorgehensmodell entwickelt, das nicht mehr an Vertriebs- oder Wettbewerbsmärkten ansetzt, sondern am systembasierten, originären Kundennutzen. Wir führen dabei zu einer bestimmten Sichtweise und analysieren alle wichtigen Parameter mithilfe neuer Instrumente. Wir sind in der Lage, Systeme ebenso zu „vermessen“, wie deren Komplexität und dynamischen Verhaltensweisen ihrer Parameter. Daraus werden bestehende Geschäftsmodelle überprüft und neue entwickelt.

Leser-Dialog
Christoph Schliessmann steht für Fragen und Feedback aus dem DDW-Unternehmerkreis zur Verfügung.
Schreiben Sie an christoph.schliessmann@cps-schliessmann.de

Dafür braucht es, zeigen Sie, keine ausufernden Findungsprozesse.

Der Kernprozess ist sehr effizient gestaltet, braucht keine großen Personenressourcen und läuft im gesteuerten Ping-Pong-Dialog mit dem Unternehmen. Ich gehe über ein klar strukturiertes Denk-Modell an das Thema, mit dem wir sehr effizient, vielfach sogar „in remote“ die Bausteine durchlaufen. Das relevante System und seine Komplexität sind ein zentraler Ausgangspunkt, über den wir strategische relevante Märkte und Geschäftsmodelle erarbeiten. Wir erarbeiten interaktiv die analytische Datenbasis und lernen, auch intuitive Entscheidungen zuzulassen.

Wie laufen solche Workshops bei Ihnen konkret ab?

Zunächst: Ich liefere keine Berater-Lösung, sondern bin eher Know-how Geber, Moderator, Reflektor und Impulsgeber. Das Unternehmen selbst muss mit dem beigesteuerten Wissen und Instrumentarien seinen ureigenen Weg gehen. Am Anfang stehen u.a. Impulssetzungen zur Vorgehens-, Denk- und Sichtweise, zum notwendigen Know-how. Das kann am besten „Face-to-Face“ aber auch mittels Videokonferenzen erfolgen. Wir stellen so gemeinsam das Unternehmen aus einem ganz anderen Blickwinkel in eine Relation, von der aus man Lebensfähigkeit in die Zukunft bauen kann.

Nachhaltige Lebensfähigkeit von Unternehmen ist mehr als nur „Überleben“. Es ist vielmehr die Kunst sich in nachhaltig lebensfähigen Systemen unentbehrlich zu machen.

Dabei beginnen wir mit der Ist-Analyse des Status Quo und des heutigen Geschäftsmodells und der Sicht des Unternehmens auf seine angebliche Welt. Dann kommen unsere beiden Tools zum Einsatz: Der „Schließmann Würfel“ und „Interdependency-Instrumentarium“, die wir mit Inhalten aus unterschiedlichsten Perspektiven und Szenarien füllen. Am Ende kommen wir zum Geschäftsmodell und dessen Revision oder Neugestaltung zurück. Mit konkreten Optionen für einen neuen Lebenszyklus des Unternehmens.

Haben Sie ein konkretes Beispiel, was dabei herauskommen kann?

Gerade weil aktuell durch Corona die Tourismus-Branche so leidet, ein Beispiel daraus. Wir haben einen Nischen-Weltmarktführer von weltweiten geführten Full-Service-Motorrad-Touren begleitet, sich selbst zu hinterfragen: Als bereits Marktführer hatte er mit seinem Team viel Energie verwendet, vorhandene Prozesse zu verwalten, sein Marketing zu optimieren, Prozesse zu verschlanken, neue Touren zu entwickeln und so weiter, um weiter zu wachsen. Leistungsfunktionen und Skalierungen standen im Vordergrund. Das Ergebnis einer Analyse über die Genetik und Interaktion seines Systems sowie der für die Lebensfähigkeit der Unternehmens relevanten Parameter und deren Interdependenz zeigte sich aber als Hub etwas ganz anderes, wo der Fokus bislang nicht lag: Der System-Kern bestand in Wirklichkeit in der Qualität der Motorrad-Führer, die die Kunden bei den Touren begleiten. Regelmäßig sind sie weit weg vom Unternehmen irgendwo in entlegenen Gebieten der Welt mit Gruppen unterwegs und das gelebte „Gesicht“ des Unternehmens: Sie alleine entschieden über die Erlebnisqualität, die Kundenbegeisterung und –bindung bis hin in Extremsituationen über Problemlösungen. Diese Guides sind die Schnittstelle zwischen Kunden, lokalen Gegebenheiten und Technik über die Zufriedenheit der Kunden, über Wiederholungsaufträge und den Ruf seines Unternehmens. Diese zentrale Bedeutung wurde ihnen aber nicht beigemessen. Vielfach wurden für diese Aufgabe wechselnde Abenteurer-„Freelancer“ verpflichtet. Anstelle hoher Aufmerksamkeit auf Qualität und Unternehmensidentifikation, stand der unkomplizierte, günstige Leistungszukauf im Vordergrund. Fortan wurde genau an dieser Stellschraube mit Erfolg gedreht: nämlich die besten Guides zu finden, zu binden und Qualitätsstandards zu entwickeln. Eine ganz neue HR-Politik rund um Guides ist entstanden, weil sie der strategische Hub des Geschäftsmodells sein müssen.

Professor Dr. Christoph Ph. Schließmann ist international tätiger Wirtschaftsanwalt in Frankfurt am Main und einer der profiliertesten Experten für Unternehmensentwicklung, Strategie und Leadership an der Schnittstelle von Wirtschaft & Recht. Er begleitet seit 30 Jahren Unternehmen bei der Geschäftsentwicklung im In- und Ausland.  Christoph Schließmann lehrte 16 Jahre strategische Unternehmensführung und Entrepreneurship in Executive- und MBA-Programmen an St. Galler Business Schools und seit den 90ern am MCI Innsbruck und der Universität Salzburg, wo er seit 2005 Honorarprofessor für Unternehmensführung ist. Christoph Schließmann ist Autor von 10 Fachbüchern, u.a.  „Das Konzept Interdependency“ und „Leistungspotenziale im Fadenkreuz (bei bei Springer Gabler erschienen).
Kontakt: CPS Schließmann, Hansaallee 22, 60322 Frankfurt am Main, Tel.: 069/663 779 – 0

Eine Antwort zu “Mit neuen Tools zu lebensfähigen Geschäftsmodellen”

  1. Ein interessantes Konzept eigentlich für alle Unternehmen, um aus dem Haifischbecken herauszukommen. Die aktuelle weltweite Krise in den meisten Branchen ist auch der geeignete Zeitpunkt, geführt und mit Augenmaß über den Tellerrand hinaus zu blicken. Das Beispiel aus der Tourismus-Branche ist mehr als verständlich, aber die Lösung eben im Tagesgeschäft weit entfernt.

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