Coronomics: Neustart aus der Krise

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Die USA, Japan, China und die Länder der EU sowie der Eurozone werden – daran besteht nicht der geringste Zweifel – auf die Monetarisierung der Ausgaben für die Krisenbekämpfung setzen und bei dieser Gelegenheit auch noch einige der Altschulden mit in die Programme hineinpacken. Wir müssen beim Spiel der Monetarisierung zunächst mitmachen. Es ist der große “Reset”, der bevorsteht. Von Daniel Stelter

Es geht um erhebliche Beträge. Die Zahlen zeigen deutlich die Dimensionen, um die es geht. Die Verschuldung war schon vor COVID-19 in vielen Ländern auf einem sehr hohen Niveau. Dieser Umstand spielt angesichts von Nullzinsen zwar eine geringere Rolle als in einem Umfeld höherer Zinsen, dennoch wirkt er verunsichernd auf Märkte, Investoren, Unternehmer und auch private Haushalte, weil nicht klar ist, wie die künftigen Lasten aus der Verschuldung verteilt werden. Hinzu kommt, dass die ungedeckten Verbindlichkeiten für künftige Renten-, Pensions- und Gesundheitszahlungen einer überall älter werdenden Gesellschaft in diesen Zahlen nicht enthalten sind. In Wahrheit sind die Lasten also deutlich höher. In Deutschland liegen die ungedeckten Verbindlichkeiten bei rund 100 Prozent des BIP.

Wenn man pauschal von Kosten der Corona-Krise von 30 Prozent des BIP ausgeht, werden die offiziellen Schulden der Staaten in Europa auf Werte von 100 bis 223 Prozent (in Griechenland) steigen. Dabei sind die Zahlen für Griechenland nicht aussagekräftig, da schon jetzt ein großer Teil dieser Kredite zu vergünstigten Konditionen von den anderen Ländern der Eurozone gegeben wird, weshalb die effektive Last für Griechenland deutlich geringer ist. Eine Strategie, die wir nun in größerem Volumen und deutlich radikaler auf der Ebene der Eurozone wiederholen werden.

“Deutschland sollte aktiv teilnehmen, statt sich dagegen zu sträuben, wenn die EU Schulden aufnimmt und von der EZB finanzieren lässt”

Relevanter sind aus der Sicht der Eurozone Italien mit dann 177 Prozent und Frankreich mit 152 Prozent Staatsschulden relativ zum BIP. Von diesen beiden Ländern ist der Hauptdruck in Richtung Sozialisierung und Monetarisierung schon jetzt zu spüren. Spanien und Portugal haben, wie auch Belgien, ein ebenso großes Interesse an solchen Lösungen. Angesichts der fehlenden Alternativen wird es deshalb zur Monetarisierung kommen, ob wir es nun wollen oder nicht.

Deshalb sollte Deutschland aktiv daran teilnehmen, statt sich dagegen zu sträuben oder es schweigend hinzunehmen – zum Beispiel, wenn die EU entsprechende Schulden aufnimmt und von der EZB finanzieren lässt. Wir sollten auf einen einheitlichen Wert der Monetarisierung drängen. In der Berechnung habe ich pauschal 75 Prozent des BIP als Zielwert formuliert. Dabei sollte das Vorkrisen-BIP als Basis der Berechnung dienen, damit jene Länder, die besonders hart getroffen wurden, nicht benachteiligt werden. 2018 lag das BIP der Eurozone bei 11,6 Billionen Euro. 75 Prozent entsprechen damit rund 8,7 Billionen Euro. Das ist eine unglaubliche Summe.

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Obwohl es eine riesige Summe ist, ist sie, verglichen mit den Beträgen, die im Zuge des Zweiten Weltkriegs monetarisiert wurden, noch gering. Die Monetarisierung könnte folgendermaßen ablaufen:

  • Die Euroländer setzen einen gemeinsamen Schuldentilgungsfonds auf.
  • Jeder Staat überträgt Schulden im Volumen von 75 Prozent des BIP auf diesen Fonds. Das bedeutet, dass der Fonds in die Verpflichtung der Staaten eintritt und diese übernimmt. Die privaten Gläubiger werden damit kein Problem haben, denn die Bonität ihrer Forderungen verbessert sich durch die gemeinschaftliche Haftung.
  • Dabei ist diese Haftung letztlich irrelevant, da die Schulden in vollem Umfang von der EZB aufgekauft werden. Da die EZB schon Staatsanleihen von rund 2 500 Milliarden aufgekauft hat, würde sie netto noch 6 200 Milliarden für Staatsanleihen zur Verfügung stellen.
  • Dies erfolgt über die Zeit. Immer dann, wenn Staatsanleihen fällig werden, wird die Tilgung durch die Ausgabe neuer Staatsanleihen finanziert. Die vom Tilgungsfonds ausgegebenen Anleihen werden von der EZB gekauft. Daneben läuft das bereits installierte Wertpapierkaufprogramm weiter.
  • Die Forderungen der EZB gegen den Schuldentilgungsfonds werden auf eine Laufzeit von über 100 Jahren gestreckt und zinsfrei gestellt.
  • Perspektivisch kann man sich auch vorstellen, dass die EZB auf die Forderungen verzichtet und erklärt, nicht mehr auf ihrer Einlösung zu bestehen. Dann würde die Bilanz der EZB zwar ei- nen sehr großen Verlustvortrag ausweisen, dies ist aber bei Notenbanken kein Problem. Notenbanken können auch mit negativem Eigenkapital arbeiten. Adair Turner, der frühere Chef der britischen Finanzmarktaufsicht, ist einer der prominentesten Befürworter einer solchen Vorgehensweise und plädierte schon vor Jahren dafür, auf diesem Weg die Schuldenprobleme der Staaten zu lösen. Japan sehen Beobachter schon seit langer Zeit auf genau diesem Weg. Die Bilanzsumme der Bank of Japan liegt bereits bei 100 Prozent des BIP, in der Eurozone waren es vor der Corona-Krise erst 40 Prozent.
  • Die Schulden des Schuldentilgungsfonds werden bei der Berechnung der Staatsschuldenquoten der einzelnen Länder nicht berücksichtigt.

Da die direkte Staatsfinanzierung gemäß den Statuten der EZB nicht zulässig ist, wird – wie auch schon in der Vergangenheit – der Umweg über die Geschäftsbanken gewählt. Konkret könnte der Schuldentilgungsfonds Anleihen ausgeben, die Privatbanken kaufen und direkt bei der EZB zur Refinanzierung einreichen. Dieser Weg wird schon seit Jahrzehnten beschritten, weshalb vor allem die Vertreter der Modern Monetary Theory (MMT) dafür plädieren, sich den Umweg zu sparen und die Staaten direkt von der Notenbank zu finanzieren.

“Es existieren nirgendwo auch nur annäherungsweise ausreichende finanzielle Reserven, um mit dem Ausmaß des Schadens umzugehen. Auch in Deutschland nicht”

Ich weiß, dass vor allem von deutschen Ökonomen angesichts dieser Dimensionen und der Vorgehensweise heftige Proteste zu erwarten sind. Ich verstehe diese Kritik auch, bin aber realistisch. Dieser Weg wird weltweit gegangen werden, weil wir es mit einem Schaden zu tun haben, der nur mit dem eines Krieges vergleichbar ist. Zudem existieren nirgendwo auch nur annäherungsweise ausreichende finanzielle Reserven, um mit dem Ausmaß des Schadens umzugehen. Auch in Deutschland nicht.

Wenn wir in Deutschland die Kosten des Corona-Schocks von rund 1000 Milliarden Euro, die Kosten der ungedeckten Versprechen für Renten und Pensionen von rund 3000 Milliarden Euro und die erforderlichen Zahlungen im Rahmen der Eurozonen-Solidarität von, nehmen wir an, weiteren 1000 Milliarden über Steuern und Abgaben stemmen wollen, dürfte das zum Ruin der Wirtschaft führen. Im optimistischen Fall, das heißt, wenn die Vermögenswerte durch die Krise nicht leiden und die Wirtschaft rasch auf das Vorkrisenniveau zurückkehrt, entsprächen diese 5000 Milliarden etwa 40 Prozent des Vermögens und 145 Prozent des BIP eines Jahres. Jeder Versuch, diese Lücken über Steuern und Abgaben einzutreiben, muss scheitern. Ein Modell »Lastenausgleich« würde selbst bei einem sehr langen Zeithorizont eine untragbare Belastung darstellen.

Nun könnte man einwenden, dass die ungedeckten Verbindlichkeiten für künftige Renten und Pensionen von rund 3 000 Milliarden Euro auch sonst durch höhere Abgaben, Steuern und geringere Leistungen aufgefangen worden wären. Das stimmt – allerdings auch dies mit entsprechend negativen Wirkungen auf Wohlstand und Wirtschaftswachstum.

Es wäre bei dieser Aktion nur gerecht, wenn alle Staaten unabhängig von ihrem Schuldenstand am skizzierten Pooling teilnehmen. Denn nur dann würde es sich für Deutschland und die Niederlande in der Vergangenheit gelohnt haben, besser zu wirtschaften. Bei uns zum Preis ungenügender Investitionen in Infrastruktur, Verteidigung und Digitalisierung, wie wir gesehen haben und als Folge einer letztlich zu hohen Abgabenbelastung der Bürger, die dazu beiträgt, dass die Privathaushalte in Deutschland über weniger Vermögen verfügen als jene in den anderen Euroländern.

Für die meisten Staaten ließen sich auf diesem Weg nachhaltig tragbare Staatsschuldenstände realisieren. Da die EZB ebenso wie die anderen Notenbanken der Welt auf absehbare Zeit die Zinsen niedrig halten wird, um auch dem Privatsektor eine Entschuldung zu erleichtern, dürften Schuldenstände von bis zu 100 Prozent des BIP kein Problem darstellen. Darüber lägen nur noch Griechenland und Italien. Deutschland würde eine Staatsverschuldung von nur noch 25 Prozent ausweisen. Dies gäbe uns den finanziellen Rahmen, um nicht nur die Folgen der Corona-Krise zu bewältigen, sondern auch um die nachzuholenden Investitionen durchzuführen.

Dieses Szenario dürfte auf viele Leser schockierend wirken, die eine deutlich höhere Inflation befürchten und diese Vorgehensweise für unsolide halten. Deshalb betone ich es nochmals:

  • Die Monetarisierung von Schulden kam in der Geschichte regelmäßig vor, vor allem infolge von Wirtschaftskrisen und Kriegen.
  • Angesichts der schon vor der Krise zu hohen Schuldenlasten ist es nicht absehbar, auf welchem anderen Weg die Schuldenlast bereinigt werden könnte.
  • Deutschland mag einen anderen Weg wählen, da wir aber in einer Währungsunion mit Ländern sind, die auf Monetarisierung setzen werden und wir nicht die finanzielle Kraft haben, die Entschuldung dieser Staaten durch Sparpolitik zu bewältigen, könnten wir diesen Weg nicht lange verhindern.
  • Wenn wir ihn nicht verhindern können, müssen wir unsere Interessen so vertreten, dass wir ebenfalls von diesem Instrument Gebrauch machen. Deshalb ist es wichtig, einen Prozentsatz vom Vorkrisen-BIP als Basis zu wählen, und zwar einen für alle Länder gleichen.
  • Der Vorteil ist, dass statt eines offenen Scheckbuchs bei vollständiger Vergemeinschaftung von Schulden ein im Vorhinein festgesetzter Betrag sozialisiert wird.
  • Bleibt es bei dieser einmaligen Aktion, so muss diese nicht inflationär wirken, weil sie ihre Wirkung vor dem Hintergrund eines ein- maligen deflationären Schocks entfaltet. Inflationsgefahren entstehen, wenn Monetarisierung zu einem Dauerinstrument wird.

“Übernehmen wir eine aktive Rolle, so können wir im Gegenzug bestimmte Regelungen durchsetzen”

Wenn Deutschland in dieser Richtung vorangeht, leisten wir nicht nur einen Beitrag zur Stabilisierung von EU und Eurozone, sondern sichern uns auch die Sympathie der Nachbarn. Eine Politik der Blockade wird am Ende nicht erfolgversprechend sein und riskiert zu- dem den Zerfall des Euro und der EU, was mit erheblichen finanziellen Schäden für uns verbunden wäre. Übernehmen wir eine aktive Rolle, so können wir im Gegenzug bestimmte Regelungen durchsetzen, zum Beispiel, dass es sich um eine einmalige Aktion handelt und ein künftiges Bailout strikt und vertraglich nicht aushebelbar verboten wird. Auch hier können die Kritiker zu recht einwenden: Wir werden es nicht verhindern können, dass es in Zukunft wieder passiert. Das mag sein. Aber das hätten wir uns überlegen müssen, bevor wir in eine Währungsunion eintraten.

Vor allem verdeutlicht die Diskussion, dass es zwei Denkschulen in Europa gibt. Auf der einen Seite Deutschland mit seiner Tradition von Besteuerung, Lastenausgleich und Vermögensabgaben, auf der anderen Italien und Frankreich mit der Tradition der Lösung über die Notenbank. Dem Weg über die EZB werden wir uns nicht erfolgreich widersetzen können. Deshalb sollten wir auf keinen Fall zusätzlich den Weg der Besteuerung im Inland gehen.

 

Mehr von Daniel Stelter bei DDW:

Dr. Daniel Stelter ist Makroökonom und Strategieberater. Als Autor zahlreicher Expertenbeiträge und aktueller Sachbücher liefert er einen unverstellten Blick auf die wirtschafts- und finanzpolitischen Fragen unserer Zeit. Zudem ist er Gründer des auf Strategie und Makroökonomie spezialisierten Forums beyond the obvious. Er war von 1990 bis 2013 Unternehmensberater bei der internationalen Strategieberatung The Boston Consulting Group (BCG). Die Frankfurter Allgemeine Zeitung zählt ihn zu den 100 einflussreichsten Ökonomen Deutschlands.

Eine Antwort zu “Coronomics: Neustart aus der Krise”

  1. finde ich gut und sinnvoll. Es würde aber zu routinemässig mehr Schulden führen und Vermögen gegenüber Arbeit besser bewerten. Schon heute verdienen viele Arbeitnehmer durch ihr Eigenheim eine höhere Rendite als durch ihre Arbeit. Besteuert wird aber nur Arbeit. Hier müsste ein deutlicher Wechsel in Richtung von Besteuerung von Eigentum statt der Besteuerung von Arbeit stattfinden. Auch eine deutliche Senkung der MwSt bei Erhöhung von Ertragssteuern hätte einen ähnlichen Effekt. Derartige Modelle existieren in der Schweiz bereits erfolgreich, ohne das es einen grossen Exidus der Besitzenden gibt.

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