Künstliche Intelligenz und der Sinn des Lebens

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Die vom Menschen gemachte Welt nimmt zu, die natür­liche Welt nimmt ab. Derweil Politiker, Investoren und Ma­nager von neuer Wertschöpfung durch künstliche Intelligenz reden, ereignet sich zugleich die größte Wertvernichtung seit Menschengedenken.

Von Richard David Precht

Doch während man mühselig gelernt hat, Industrieproduktion, Kraftwerke, Flug-, Straßen- und Schifffahrtsverkehr auf Kohlenstoffemissionen, Ressourcen­verbrauch und Umweltschäden zu befragen, ist es bei der Digitalisierung erstaunlich still. Computer, Laptops, Tablets und Smartphones haben Akkus und Batterien. Ihr Lithium stammt aus Ländern wie Chile, Bolivien oder Argentinien, mit erheblichen Umweltfolgen für Tiere und Ureinwohner. Giftiger Staub, Versalzung und Wassermangel in Südame­rika sind noch fast harmlos im Vergleich zu den Kobaltmi­nen im Kongo. Militärs und Geheimdienste schubsen die Ar­beiter und Zwangsarbeiter durch die Minen, Kinder tragen schwere Erzsäcke ans Tageslicht für formschön designtes Digitalgerät. Nicht besser steht es um die Gewinnung von Coltan, Niob und Gold. Schwerste Menschenrechtsverlet­ zungen begleiten ihren Weg aus der Erde. Viele der Erlöse finanzieren den blutigen Bürgerkrieg. In Südafrika verlieren ungezählte Menschen ihr Land, ihr Wasser und damit ihre Lebensgrundlage durch die Gier nach Platin. Und das alles für Geräte, deren Akkus auch noch mit voller Absicht ra­sant ihre Leistung verlieren und Bedarf schaffen für immer neue Modelle, während die alten dorthin zurückverfrach­tet werden, woher ihre Rohstoffe einmal stammten. Über 150 000 Tonnen Elektroschrott allein aus Deutschland lan­det in Ghana. Auf den Müllbergen von Agbogbloshi, der verseuchtesten Deponie der Welt, suchen die Ärmsten der Armen nach Verwertbarem aus dem Schrott von Hightech­ Konzernen, die vorgeben, die Welt jeden Tag ein bisschen besser zu machen.

Der Text ist dem aktuellen Buch von Richard David Precht entnommen.
In dem Essay „Künstliche Intelligenz und der Sinn des Lebens“ (Erscheinungstermin 15.6.2020) setzt er sich kritisch mit der Entwicklung einer Künstlichen Intelligenz auseinander, die alles das können soll, was Menschen auch können– nur vielfach »optimierter«.
Das Buch ist bei Goldmann erschienen (256 Seiten, 20 Euro).

Zum Drama der Rohstoffe kommt der Transport. Wer be­rechnet die C02-Emissionen des Lieferverkehrs? Das Internet mag frei von geografischem Raum sein, der Transport der Bestellungen ist es nicht. Woher soll die gewaltige Menge an Energie stammen, die Server und Blockchains schon heute verbrauchen? Glaubt man den Forschern der TU Dresden, dann verbraucht das World Wide Web im Jahr 2030 so viel Strom wie die gesamte Weltbevölkerung im Jahr 2011. Noch gehen nur knapp vier Prozent an weltweiten Treib­hausgasemissionen auf das Konto digitaler Technik. Doch schon im Jahr 2040, so meinen Physiker der McMaster Uni­versity in Hamilton, Ontario, wird die Digitaltechnik etwa halb so viel Treibhausgase entstehen lassen wie der gesamte globale Verkehr. Allein die Produktion von Smartphones könnte dann 125 Megatonnen C02 pro Jahr in die Luft blasen.

„Man kann nicht mehr über die Zukunft reden wie in der Vergangenheit“

Nein, man kann nicht mehr über die Zukunft reden wie in der Vergangenheit. Man wird auch nicht weiterhin sa­gen können, dass alles wirtschaftliche Wachstum im Dienst der Menschheit geschieht, auch wenn viele Menschen von den Vorzügen profitieren. Auf das Ganze der Menschheit gerechnet, müssen sich der Nutzen und die Kosten, die Zu­gewinne an menschlicher Lebensqualität und der Verlust an Natur, Ressourcen und biologischen Lebensbedingungen miteinander abgleichen lassen – jede andere Art des Fortschritts wäre keiner, sondern schlichtweg Wahnsinn. Und selbst wenn künstliche Intelligenz Konzernen wie Google dabei hilft, ihre Server besser zu kühlen und Strom zu spa­ren, wenn clevere Industrievernetzung weniger Energie ver­brauchen könnte – all diese Effizienz im Einzelnen ist erst dann effektiv, wenn die Gesamtmenge des Energie- und Res­sourcenverbrauchs dadurch tatsächlich abnimmt und nicht wie bisher dramatisch steigt.

Digitale Technologie, insbesondere Maschinenlernen und künstliche Intelligenz, sind einerseits Beispiele unter vielen im Hinblick auf unseren Ressourcenverbrauch. Zum ande­ren, und das ist hier wichtiger, stehen sie paradigmatisch für den Fortschritt, für die Gestaltung unserer menschlichen Zu­kunft. In dieser Sicht wird KI gleichsam zum Symbol eines alten Denkens im Angesicht neuer Herausforderungen.

Wenn der schwedische Philosoph und IT-Visionär Nick Bostrom von einer » barmherzigen und triumphalen Nutzung unseres kosmischen Erbes« durch künstliche Intelligenz spricht, dann wundert man sich nicht nur über den cäsaren­haften Imperativ zur Triumphalität, man erschrickt auch da­rüber, dass seine Version von »Barmherzigkeit« kein einzi­ges soziales, geschweige denn ökologisches Problem unserer Zeit überhaupt anspricht. Bostroms Angst, dass eine »In­telligenzexplosion die ganze Welt in Brand steckt«, benötigt zu ihrer Erfüllung keine böse, gegen den Menschen gerich­tete künstliche Intelligenz. Wie viele naheliegendere Brand­rodungen entscheiden in den nächsten Jahrzehnten über das Schicksal der Menschheit als ausgerechnet jene übel entgleis­ter Computer!

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Der Philosoph, Bestsellerautor und TV-Moderator gehört zu den Rednern auf dem Innovationsfestival 2021 in der Messe Essen, Ort des Festakts zur Verleihung der Preise Innovator des Jahres. Leser sind willkommen. Hier die Infos 

Doch es gibt noch immer viel zu wenige, die sich für beides gleichermaßen interessieren: für die Sorge und die Notwendigkeiten des biologischen Überlebens und für den techni­schen Fortschritt durch künstliche Intelligenz. Es scheint, als fände beides auf getrennten Planeten statt. Bei der Umwelt­frage geht es fast nie um die anthropologische Weiterentwick­lung der Spezies Mensch; in der KI-Debatte fast nie um Ener­gieverbrauch, Ressourcenausbeutung und C02-Emissionen. Der Gedanke, Menschen irgendwo in den unwirtlichen Wei­ten des Weltalls anzusiedeln, scheint IT-Gurus und Techno­ Utopisten näher zu sein, als den Lebensstil der Industrienati­onen auch nur sanft anzuzweifeln; die Gründe dafür dürften im Weiteren deutlich werden. Techno-Visionen und Ökolo­gie – es ist die Kluft, der Graben unserer Zeit!

Unter solchen Vorzeichen ist die Orientierungslosigkeit im Umgang mit Ökologie und Technik vor allem eine Ver­nunftkrise. Wir scheinen nicht mehr recht zu wissen, was ein vernünftiger Fortschritt ist.

„Was sind unsere Einschätzungen einer guten Zukunft?“

Der Aufbruch ins zweite Maschinenzeitalter muss nicht nur clever, klug und geschmeidig sein, er muss auch künftige Desaster erkennen und vermeiden. Was können wir von ei­ner selbstlernenden digitalen Technik künftig erwarten und was nicht? Wo ist künstliche Intelligenz ein Segen, und wo wird sie mittel- bis langfristig zum Fluch?

Im Mittelpunkt steht damit die neue alte Frage, was es heißt, Mensch zu sein. Sie stellt sich heute mit größter Bri­sanz. Unsere Selbstdeutung und Selbstverwirklichung ver­langen dringend nach einer Revision. Was sind unsere rea­listischen Erwartungen? Was unsere Einschätzungen einer guten Zukunft? Und welche Sinngebungen kommen darin vor? Denn eine Diskussion des technischen Fortschritts, die eine solche Sinndimension nicht kennt, geht notwendig am Menschen vorbei. Sinn ist jener Horizont, vor dem das, was Menschen jenseits des nackten Überlebens tun, verständlich wird. Wenn sich die Frage nach der technischen Zukunft auf verstörende Weise von der Frage nach dem Sinn des Le­bens gelöst hat, so gilt es nun, diese Dimension zurückzu­gewinnen. Und sie kennt vor allem zwei Fragen: »Wohin?« und »Wozu?«

 

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Bild: © Gunter Glücklich

4 Antworten zu “Künstliche Intelligenz und der Sinn des Lebens”

  1. Ich kann sehr gut nachvollziehen, was Richard David Precht der Menschheit vermitteln möchte. Die Menschen haben sich in allem weiterentwickelt, aber die Naturgewalten außer acht gelassen und die Ärmsten der Armen nicht mitgenommen.

  2. Wie immer sehr verständlich von Richard David Precht rübergebracht, leider denken die wenigsten darüber nach insbesondere die Big Player wie z.B. Apple , Huwai, Alphabet, Amazon und Co da geht es nur um den schnöden Mammon und der überragt alles, vielleicht erleben wir noch die Zeit in dem wir Konsumenten endlich aufwachen und das ganze dann selber regulieren, tja es wäre so einfach um eine Änderung herbei zu führen es liegt wie immer an uns selbst um eine Kehrtwende zu vollziehen.

  3. Ich wundere mich immer, wie wenig Einsicht in Wirtschaftskreisen vorhanden ist, wenn es um die drängenden Änderungen in der Umweltpolitik geht. Einerseits sehen doch auch die Entscheider der Unternehmen, wie Arktis und Gletscher immer schneller dahinschmelzen, bisher nicht in dieser Form erlebte Dürreperioden auch in Mitteleuropa immer größere Schäden mit sich bringen, die Permafrostböden in Sibirien aufweichen, dabei große Mengen Methan freisetzen, die Urwälder drastisch schrumpfen.
    Andererseits sträuben sie sich gegen alles, was ihre geschäftlichen Entwicklungen stören könnte und sehen deshalb Forderungen von Umweltaktivisten wie Greenpeace, Fridays for Future usw. oder auch die Grüne Politik als Bedrohung und lehnen sie als zu teuer oder ideologisch ab.
    Alles soll weitergehen wie bisher, eben mit ein bisschen Kosmetik für die Umwelt.
    Aber so reicht es keinesfalls. Der absolute Supergau ist knallhart programmiert und rollt an, wenn auch (nur scheinbar) langsam.
    Ohne radikales Umdenken wird er schon der noch jungen Generation gewaltige Schwierigkeiten bereiten. Wo bleibt das Verantwortungsbewusstsein der jetzigen Entscheider?

  4. Dieses ist nicht nur ein interessanter Beitrag; Überlegungen über die man mal nachdenken sollte. Nein, Richard David Precht schreibt über ein grudlegendes Problem unserer oberflächlichen, schnelllebigen und arroganten Gesellschaft.
    Dass heute nicht alles aber vieles schneller abläuft ist für viele Bereiche des Lebens von enormem Vorteil und für Andere zum zu einem riesigen Problem geworden.
    Für mich war die Einführung des C-Netzes (damaliges Funktelefonnetz) ein riesiger zeitlicher Zugewinn.Heute verändern sich Situationen schneller als im Jahreszyklus.
    Aber was ist tatsächlich wichtig. Bei aller unternehmerischer Aktivilät und technischer Weiterentwicklung, was dient es den Menschen tatsächlich.Mit Uneinsichtigkeit haben sich viele Unternehmen bereits selber „ins Jenseits“ befördert. Die
    galantere Lösung wäre doch unternehmerische Fähigkeiten und Weitsicht auch dazu zu nutzen die von Richard David Precht
    zu Recht angeprangerten Bereiche aufzunehmen und in der Unternehmerischen Zielsetzung und Umsetzung zu verarbeiten.
    Ein gewisses Maaß an Skepsis mag naturgemäß vorhanden sein. An der Einscht zu einem Schritt in diese Richtung könnte jeder arbeiten und dabei stirbt man nicht. Jeder, der in diese Richtung geht wird in jedem Fall ein Gewinner sein. So ein Gewinn könnte sehr viel größer ausfallen als Sie es sich bisher vorstellen konnten. Ich weiß wovon ich hier schreibe. Was kann für einen Unternehmer interessanter sein als einen drohenden oder gedachten Verlust in einen enormen Gewinn umzuwandeln.
    Es betrifft uns Alle.
    Seien Sie alle Gewinner.

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