Asien spielt auf Sieg, wir auf Halten

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Der asiatische Kontinent schreibt seine Aufstiegsstory bei der das Schlüsselwort „wealth creation“ lautet: Wohlstandserzeugung. Wir in Europa hingegen sind teilnehmende Beobachter einer Abstiegsgeschichte.

Von Gabor Steingart

 

In Asien wird derzeit Geschichte geschrieben. Der Asien-Pazifik-Raum bildet nach dem Durchbruch vom Wochenende die größte Freihandelszone der Welt:

  • Zölle auf 90 Prozent der gehandelten Güter werden abgeschafft. Das stimuliert das grenzüberschreitende Wachstum.
  • Zwei Drittel des Dienstleistungssektors will man füreinander und dann gleich vollständig öffnen. Das erhöht den Wettbewerb und schafft für die nationalen Dienstleister Raum zur Expansion.
  • 15 Staaten, die rund 30 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung und rund 2,2 Milliarden Einwohner auf sich vereinen, verschmelzen zu einem Wirtschaftsblock. Asien wird damit zum dominanten Spieler des beginnenden 21. Jahrhunderts.

Erst im Kontrast zum Tun und Treiben der Europäischen Union erkennt man allerdings die komplette Tragweite der Ereignisse. Der asiatische Kontinent schreibt seine Aufstiegsstory bei der das Schlüsselwort „wealth creation“ lautet: Wohlstandserzeugung.

Wir in Europa hingegen sind teilnehmende Beobachter einer Abstiegsgeschichte, die auch dann eine Abstiegsgeschichte bleibt, wenn es sich nur um eine relative Verschiebung der ökonomischen Gewichte handelt. Wir wachsen, aber die anderen wachsen schneller. Wir sind wichtig, aber sie sind dominant.

Das Kernanliegen nahezu aller europäischen Politiker, von den Rechtspopulisten über die christlichen Demokraten bis zu den Sozialdemokraten ist „wealth redistribution“, die Wohlstandsverteilung. Der Staat will die Privatwirtschaft nicht stimulieren, sondern reglementieren. Sie soll nationaler, grüner, diverser, moralischer und sozialer werden – aber eben nicht expansiver, globaler und profitabler.

„In den Aufsteigernationen wird das Spiel nach anderen Regeln gespielt. Aufwärtsmobilität nennen das die Soziologen“

Der Unterschied zwischen den Entwicklungen in Asien und Europa ist kein akademischer, sondern ein menschlich praktischer. In Europa will man, dass der Schuhputzer vom Wohlstand des Krankenpflegers profitiert, derweil der Krankenpfleger sich beim Chefarzt schadlos hält, woraufhin dieser nach den Vermögenspositionen der „wirklich Reichen“ greift. Reich ist in diesem Spiel immer der andere. Die ideale Gesellschaft stellt man sich als Quadrat vor, das kein oben und kein unten kennt.

In den Aufsteigernationen wird das Spiel nach anderen Regeln gespielt. Der Schuhputzer will Krankenpfleger werden und der Staat hilft dem Krankenpfleger durch Bildung zum Arzt aufzusteigen. Der Mieter soll Wohnungseigentümer werden, der Arbeiter zum Angestellten und der Angestellte zum Arbeitgeber empor schießen, um so Platz für neue Arbeiter zu schaffen. Aufwärtsmobilität nennen das die Soziologen.

Reich-Sein ist in dieser Erzählung kein Zustand, sondern ein Ziel. Die Gesellschaft stellt man sich als Pyramide vor. Der Aufstieg an die Spitze der Pyramide wird durch eigene Anstrengung erreicht, nicht durch die Belastung oder Enteignung anderer.

Fazit: Die Narrative von Europäern und Asiaten haben sich am letzten Wochenende weiter voneinander entfernt. Sie sind entschlossen, wir nostalgisch. Sie spielen auf Sieg, wir auf Halten. Die Schlussszene dieser zwei Handlungsstränge können wir heute nicht kennen, aber zumindest erahnen.

 

Das aktuelle Buch „Die unbequeme Wahrheit“ von Gabor Steingart ist im Penguin Verlag erschienen. (ISBN 978-3-328-60112-8, 139 Seiten, 9,99 Euro in der Kindel Ausgabe)

Gabor Steingart ist Journalist & Buchautor mit unternehmerischem Ehrgeiz. Sein täglicher Newsletter „Steingarts Morning Briefing“, in dem er jeden Morgen pointiert das aktuelle Welt- und Wirtschaftsgeschehen kommentiert, ist die Nummer Eins in Deutschland.
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Eine Antwort zu “Asien spielt auf Sieg, wir auf Halten”

  1. Der asiatische Raum mit seinen neuen Freihandelszonen manifestiert eine komplett andere Denke als man sie in Europa erlebt. Der hier zitierte Reich-Sinn hat etwas mit einer inneren Unruhe zu tun, die Stillstand nicht zulässt. Betrachtet man die Menschheitsgeschichte, ist es genau dieser Charakterzug, der uns insgesamt weitergebracht hat. Wichtig wäre meines Erachtens eine Modellbetrachtung, die aufzeigt, unter welchen Bedingungen welche Aktionen den größten Sinn stiften. Es gilt zu bedenken: dieses ist ein gewaltiges neues Businessmodell, das noch nicht zu Ende gedacht ist.
    Dabei sollte man gleichzeitig sowohl ökonomische als auch ökologische Betrachtungen anstellen, um eine optimale Model-Betrachtung zu erzielen.
    Auch wenn Europa sich außen vorsieht, kann es doch in diesem Sinne Einfluss nehmen. Hier liegen auch für Europa gewaltige Möglichkeiten und Chancen, die es zu nutzen gilt, versus in aufgeregter Untätigkeit zu erstarren.

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