Die erdrückte Freiheit

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Die Corona-Krise traf auf politische Entscheidungsträger, die dem Wert der Freiheit mit fortschreitendem Verlauf immer weniger Bedeutung beimaßen. Die Lehre muss sein, dass Freiheitsbeschränkungen nie wieder so widerstandslos, so leichtfertig und so willkürlich implementiert werden dürfen.

Von Wolfgang Kubicki

Am 20. April 2021 saß ich im Morgenmagazin des ZDF, um mit dem sozialdemokratischen Gesundheitsexperten Karl Lauterbach zu diskutieren. Es ging um die anstehende Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes, die sogenannte »Bundesnotbremse«. Ich erklärte, dass es erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken insbesondere gegen die nächtliche Ausgangssperre gebe. Nach meinen Ausführungen wandte sich der Moderator an mich und fragte: »Muss man jetzt nicht vielleicht als Partei der FDP auch sagen: Gut, dann ringen wir uns eben über die verfassungsrechtlichen Bedenken hinweg und sagen: Okay, wir akzeptieren jetzt eine Ausgangsbeschränkung zum Wohle aller?« Nicht selten sah man sich mit dem Gedanken konfrontiert, Verfassungsrecht und Gemeinwohl stünden sich geradezu diametral gegenüber. Die Tatsache, dass es tatsächlich gerade unsere Verfassung ist, die dem Wohle aller dient und die die Grundlage aller Freiheit in unserem Lande bildet, wurde über die vielen Monate der Pandemie zurückgedrängt. Diese kleine Episode hatte mir gezeigt, dass es noch – oder wieder – einen erheblichen Nachholbedarf gab, was die Verbreitung der Idee der Freiheit angeht, und dass es wichtig ist, diese Werte besonders in schweren Zeiten hochzuhalten und wertzuschätzen.

Während der Corona Krise wurden die massivsten Grundrechtseingriffe seit Gründung der Bundesrepublik vorgenommen. Die Normalität von Freiheit, die die Menschen im Land über Jahrzehnte immer genossen hatten, war von einem Tag auf den anderen verschwunden. Plötzlich wurde über Ausgangssperren, Versammlungsverbote, »Ein-Freund-Regeln« für Kinder, flächendeckende Schulschließungen oder »Corona-Leinen« diskutiert – allesamt Dinge, die wir vor der Pandemie eher im Bereich der Fiktion verortet hätten. Die mentale Erschütterung der Menschen war massiv, die Reaktion des Staates ebenfalls.

„Die Freiheit war vom einen auf den anderen Tag verschwunden“

Die Krise traf auf einen Staat, der für eine Pandemie schlecht gerüstet war, dem vor allem das digitale Fundament fehlte, um schnell und präzise auf die pandemische Lage zu reagieren. Einen Staat, der es auch nach über einem Jahr nicht schaffte, die Behördenkommunikation auf digitale Füße zu stellen, sondern immer noch dem Faxgerät, also einer Technik aus den 80er Jahren, vertraute. Einen Staat, dessen Bürokratie sich als so schwerfällig erweisen sollte, dass er nicht mehr angemessen mit einer Ausnahmesituation umgehen konnte.

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Und die Krise traf auf politische Entscheidungsträger, die dem Wert der Freiheit mit fortschreitendem Verlauf immer weniger Bedeutung beimaßen, je länger die Pandemie dauerte. Es wurde nie erklärt, dass das eigentliche Ziel der freiheitsbeschränkenden Maßnahmen ist, sie selbst schnellstmöglich wieder abzuschaffen. Man konnte den Eindruck gewinnen, die Beendigung des Ausnahmezustandes wurde deshalb nicht mit vollem Enthusiasmus betrieben, weil er eine bequemere Art des Regierens ermöglichte.

Viele Sätze haben diese Krise geprägt. Jens Spahns: »[…] dass wir nämlich miteinander in ein paar Monaten wahrscheinlich viel werden verzeihen müssen«, war so einer. Einen anderen prägte die Kanzlerin, wörtlich: »Das Virus lässt nicht mit sich verhandeln.« Das war zweifellos richtig. Sie vergaß jedoch häufig auch, dass dies nicht nur für das Virus gilt. Auch mit unserer Verfassung lässt sich nicht verhandeln.

Ohne Frage, der Rechts- und Verfassungsstaat wurde durch das Virus vor seine bisher härteste Aufgabe gestellt. Mit den vielfältigen Anti-Corona-Maßnahmen ging selbstverständlich die Gefährdung des Freiheitsgedankens einher, weil unsere Freiheit nur durch die Achtung und mit der Einhaltung rechtsstaatlicher Grundsätze überleben kann. In einem Staat, in dem Willkür regiert und in dem rechtliche Grundsätze politischen Erwägungen unterliegen, stirbt sie hingegen.

„Es gibt keine statthaften Motive, die über unserer Rechts- und Freiheitsordnung stehen“

Daher ist es die Aufgabe der Demokraten, der bürgerrechtlichen Akzentverschiebung, die durch die Corona-Politik entstanden ist, wieder entgegenzuwirken. Wir dürfen nie wieder zulassen, dass mit Angst Politik gemacht wird, und müssen uns dagegen wehren, wenn staatliche Organe oder gesellschaftliche Akteure aktiv Furcht schüren, um Freiheitsrechte zu begrenzen. Oder wenn Regelbrüche mit angeblich höheren Motiven entschuldigt werden. Es gibt keine statthaften Motive, die über unserer Rechts- und Freiheitsordnung stehen.

Die Lehre aus dieser Krise muss sein, dass Freiheitsbeschränkungen nie wieder so widerstandslos, so leichtfertig und so willkürlich implementiert werden dürfen. Dass Kinderrechte nie wieder einer großen gesellschaftlichen Sorge weichen dürfen, sondern dass ihre Wahrung als unsere größte gesellschaftliche Verpflichtung angesehen wird. Dass wir nie wieder die Alten und Kranken hintanstellen, sie einfach wegsperren dürfen, weil es angeblich einfacher ist, als ihnen einen aufwändigeren Schutz zu gewährleisten. Hoher Aufwand sollte niemals eine Entschuldigung dafür sein, die Menschenwürde zu beeinträchtigen. Die Wahrung der Grundrechte ist niemals beschwerlich, sie ist notwendig.

Corona ist aus Sichtweise unserer Demokratie noch lange nicht überstanden. Dass wir in einer renommierten Tageszeitung die Überschrift »Mehr Diktatur wagen« lesen mussten oder ein Ministerpräsident unverhältnismäßige Maßnahmen zur Bekämpfung einer Pandemie fordert, deutet schon an, wie weit die Prioritäten verrutscht sind. Die eigentliche Herausforderung für unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat steht daher erst noch an. Es wird viel zu tun sein, um der Freiheit nicht nur politisch, sondern auch mental wieder Raum zu verschaffen. Wir müssen wieder dafür sorgen, dass die Eigenverantwortung der Menschen zentraler Bestandteil unseres Zusammenlebens wird – und nicht die ständige Vorgabe von Verhaltensregeln durch den Staat.

Dieser Weg ist ohne echte Alternative. Nur eine Gesellschaft, die die Idee der Freiheit stolz im Herzen trägt, kann auch große Herausforderungen bewältigen und die Menschenwürde wahren.

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Wolfgang Kubicki, 1952 geboren, ist Volkswirt und Rechtsanwalt, stellvertretender FDP-Vorsitzender und seit 2017 Bundestagsvizepräsident.

3 Antworten zu “Die erdrückte Freiheit”

  1. Herr Kubicki hat völlig recht!

    Aber warum hat seine Fraktion und auch die restliche Opposition nichts dagegen unternommen?

    Unser Rechtsstaat wird von allen Seiten mit Füßen getreten und die Oppositionsparteien und die „Staats“-Medien lassen dies willfährig geschehen.

    Das Staatsversagen in allen Bereichen ist offenkundig und unser Präsident spricht vom „besten Deutschland aller Zeiten“.

    Wie krank ist diese Welt!

  2. Ich verstehe das ganze Verhalten und die Vorgehensweise nicht. Die Politik spaltet die Gesellschaft. Das zeigt, wir Deutschen haben nichts gelernt. Ich „weiß was Herr Lehrer, Herr Polizist, etc. Dafür werden wir weiter büßen.müssen

  3. Es ist schon erstaunlich positiv, das Herr Kubicki so offen seine Meinung vertritt. Leider gibt es im Bundestag offensichtlich nicht viele vom Kaliber eines Herrn Kubicki. Das Volk der Dichter und Denker,….letzteres haben viele leider verlernt!!!

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