Finanzminister Habeck oder Lindner? Im Hintergrund geht es um die Transferunion

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Diese Woche wollen die einzelnen Verhandlungsteams der Ampelkoalition im Bund ihre Positionspapiere zu ihren jeweiligen Themenbereichen vorlegen. Doch die Frage, wer Finanzminister wird, bleibt entscheidend. Denn im Hintergrund geht es um die Transfer- und Schuldenunion.

Von Dr. Daniel Stelter

Europa ist ein Thema im Sondierungspapier. Und dies mit einer – ich muss es leider so sagen – perspektivisch sehr naiven und damit teuren Haltung:

„Wir werden deutsche Interessen im Lichte der europäischen Interessen definieren.“

Ich betone nochmals: Ich bin ein großer Befürworter der EU, sehe aber die Zukunft wie die Mehrheit der Bürger in den anderen Staaten nicht in den Vereinigten Staaten von Europa, sondern auf absehbare Zeit in einem Staatenbund. Deshalb muss man sich an den eigenen Interessen orientieren, vor allem dann, wenn es die anderen auch tun. Wir haben in den vergangenen Jahren beobachten können, wie in der EU Verträge gebrochen und immer mehr Vereinbarungen zu Lasten der deutschen Steuerzahler getroffen wurden. Dies soll nun also mit mehr Verve vorangebracht werden. Fein, wenn es denn wenigstens etwas zum Positiven verändern würde. Doch genau da ist Skepsis mehr als angebracht.

Die Situation ist so:

  • Die Schulden sind so weit auseinander und an ein „Sparen“ ist nicht zu denken – es muss eine Monetarisierung passieren.
  • Die Wettbewerbsfähigkeit ist so weit auseinander, dass es mit Transfers nicht zu lösen ist.
  • Transferunion kann nicht funktionieren und wäre angesichts der Vermögensverteilung nicht gerecht,
  • auf keinen Fall aber eine Schulden-Transferunion – siehe Stellungnahme des Bundesrechnungshof.
  • Und wir müssen über eine Neuordnung der Währungsunion sprechen.
  • Der größte Fehler, den wir machen können, ist in eine Haftungsgemeinschaft einzutreten, denn das kauft nur Zeit und vernichtet unser Vermögen.

„Wenn wir eine neue Tradition begründen würden, die Eignung von Politikern für Ministerämter von externen Experten beurteilen zu lassen, wären viele Posten frei. Ich erinnere an den amtierenden Wirtschafts- , Verkehrs- und Außenminister. Nur mal so“

Doch SPD und GRÜNE haben genau das in ihren jeweiligen Programmen offen gefordert und die FDP wird sich dem nicht entgegenstellen können. Deshalb ist auch die Kritik an einem möglichen Finanzminister Lindner völlig unnötig. Aber dazu gleich mehr.

Tür zur Transferunion

Die Sondierer halten die Tür für eine Transferunion weit offen, wenngleich es im Sondierungspapier ein Bekenntnis zum Stabilitäts- und Wachstumspakt gibt:

„Wir wollen dafür Sorge tragen, dass Europa auf der Grundlage solider und nachhaltiger Staatsfinanzen gemeinsam wirtschaftlich stark aus der Pandemie herauskommt, das Ziel der Klimaneutralität erreicht und den Green Deal konsequent umsetzt. Wir wollen Maßnahmen zur Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit in allen EU-Mitgliedsstaaten unterstützen. Der Stabilitäts- und Wachstumspakt hat seine Flexibilität bewiesen. Auf seiner Grundlage wollen wir Wachstum sicherstellen, die Schuldentragfähigkeit erhalten und für nachhaltige und klimafreundliche Investitionen sorgen.“

Es wird nicht möglich sein, diese Ziele zu erreichen. Die Staatsfinanzen in wichtigen Mitgliedsländern sind auf einem nicht nachhaltigen Kurs.

Frankreich ist der größte Problemfall!

  • Citigroup schätzt, dass das strukturelle Defizit des französischen Staates bei 5 Prozent des BIP liegt. Das bedeutet, dass die Staatsschulden dauerhaft schneller wachsen als die Wirtschaft.
  • Die französische Staatsschuldenquote wird bis Mitte der 2020er-Jahre weiter auf 118 Prozent steigen.
  • Die Verschuldung des Privatsektors ist ebenfalls eine der höchsten in der Eurozone und wächst schnell. Seit Euroeinführung hat sie sich von 120 auf über 240 Prozent des BIP verdoppelt.
  • Der französische Bankensektor ist übermäßig groß. Die Banken sind gerade auch in problematischen Ländern aktiv. Wenn hier Schieflage drohen, muss der Staat eingreifen – oder aber die von Frankreich, Italien und Co. geforderte europäische Bankenunion, also der deutsche Steuerzahler. Übrigens nicht zum ersten Mal: Auch bei der „Griechenland-Rettung“ haben wir vor allem französische Banken gerettet.

Das ist der wahre Grund, warum Frankreich und Italien alles daran gesetzt haben, mit dem sogenannten Wiederaufbaufonds in eine Schulden- und Transferunion einzutreten. Mit erheblichen Risiken, wie der Bundesrechnungshof vorgerechnet hat. Der Bundesrechnungshof schrieb in seinem Bericht zu den “möglichen Auswirkungen der gemeinschaftlichen Kreditaufnahme der Mitgliedstaaten der Europäischen Union auf den Bundeshaushalt” unter anderem:

„Der Wiederaufbaufonds etabliert ein Haftungsregime, bei dem Mitgliedstaaten gegenseitig für ausstehende Verbindlichkeiten eintreten müssen, ohne dass es im haftungsauslösenden Moment einer erneuten Einwilligung ihrerseits bedarf. Sie haften dabei für die Schulden des Fonds über ihre künftigen Beiträge zum EU-Haushalt, und zwar nicht nur für die als Zuschüsse, sondern auch für die als Darlehen ausgereichten Mittel. Sollte ein Mitgliedstaat seinen Zahlungsverpflichtungen nicht mehr nachkommen können oder wollen, müssen die übrigen Mitgliedstaaten für dessen Anteil an den Schulden einstehen. Faktisch handelt es sich daher um eine Vergemeinschaftung von Schulden.“

Woher kommt der Druck gegen Christian Lindner?

Und jetzt fragen wir uns: Woher kommt der Druck gegen Christian Lindner?

  • Lindner hat sich in der Vergangenheit kritisch zur Umverteilung in der EU geäußert.
  • Er hat im Wahlkampf eine Rückkehr zur finanziellen Solidität in Deutschland und Europa angemahnt.
  • Er hat letztlich das gesagt, was der Bundesrechnungshof, der uns Bürgern dient, auch sagt.
  • Deshalb gab es aus Frankreich, Italien, Spanien und Brüssel kritische Stimmen zu Lindner als Finanzminister. Die offen ausgesprochene Sorge: Lindner könnte den Weg zu mehr Schulden und Umverteilung verhindern.

„…Politiker und Ökonomen in Deutschland, die das Projekt Europa über die deutschen Interessen stellen, weil sie denken, es wäre im deutschen Interesse und weil sie glauben, dass die anderen Staaten ähnliche übergeordnete Ziele verfolgen, was sie allerdings nicht tun“

Deshalb war es auch kein Zufall, dass die ZEIT mit einem Anti-Lindner-Artikel nachlegte. Kein geringerer als der Nobelpreisträger Joseph Stiglitz warnte darin vor einem Finanzminister Christian Lindner:

„Das Problem ist nicht nur, dass Lindners Wirtschaftslehre – zur Schuldenbremse oder zu fiskalischen Regeln für Europa – eine Aneinanderreihung konservativer Klischees ist. Das Problem ist, dass es die Klischees einer vergangenen Ära sind: der 1990er Jahre.” (…)
“Die Welt, in der wir uns derzeit befinden, ist unklar. Was jedoch klar zu sein scheint, ist, dass umfangreiche öffentliche Investitionen der Schlüssel sind und dass die Wiederbelebung des 1992 ratifizierten Maastrichter Fiskalvertrags keine Lösung ist.“

Dazu lässt sich eine Menge sagen:

Das aktuelle Buch von Daniel Stelter: „Ein Traum von einem Land: Deutschland 2040“
  • Zum einen, wenn wir eine neue Tradition begründen würden, die Eignung von Politikern für Ministerämter von externen Experten beurteilen zu lassen, wären viele Posten frei. Ich erinnere an den amtierenden Wirtschafts- , Verkehrs- und Außenminister. Nur mal so.
  • Wir müssten auch davon abstrahieren, dass Stiglitz in der Vergangenheit den venezolanischen Präsidenten und Linkspopulisten Hugo Chavez lobte. Er war begeistert von dessen angeblich effizienten Umverteilungspolitik. Ergebnis: Ein einstmals reiches Land wurde in Grund und Boden gewirtschaftet.
  • Stiglitz und Co. sehen also in noch mehr Schulden die Lösung für eine Krise, die durch zu viele Schulden ausgelöst wurde. Da sind sie ganz auf der Linie von Frankreich, Spanien und Italien.
  • Bekanntlich glaube ich auch nicht, dass es möglich sein wird, aus den Schulden herauszuwachsen.
  • Aber es kann nicht die Antwort sein, einfach nur mehr Schulden zu machen.
  • Vor allem nicht, wenn dies mit einer erheblichen Vermögensverschiebung einhergeht. Und genau das tut es. Es würde Vermögen aus Deutschland in die anderen Länder verschoben.
  • Und das ist nicht gerecht, weil wir keineswegs das reiche Land sind, welches sich das leisten kann.
  • Im Gegenteil müssen wir dringend mehr für den eigenen Wohlstand tun.

Projekt Europa vor deutschen Interessen?

Wer also befürwortet eine Umverteilung zulasten Deutschlands?

  • Die Empfänger. Klar.
  • Ökonomen, die denken, dass man mit Umverteilung die Probleme lösen kann.
  • Politiker und Ökonomen in Deutschland, die das Projekt Europa über die deutschen Interessen stellen, weil sie denken, es wäre im deutschen Interesse und weil sie glauben, dass die anderen Staaten ähnliche übergeordnete Ziele verfolgen, was sie allerdings nicht tun.

Was zur Person des deutschen Finanzministers und seinen Aufgaben führt:

  • Sie/er muss natürlich deutsche Interessen vertreten
  • Sie/er muss daran mitwirken, Europa zu sanieren und voranzubringen, was er nicht kann, indem sie/er ein Weiter-so und einen Marsch in eine Transferunion begrüßt, wie hier gefordert wird.
  • Das kann sie/ er nur, wenn sie/er neue Wege einfordert und einschlägt.
  • Meine bevorzugte Vorgehensweise ist und bleibt eine Altschuldenunion auf EU-Ebene, bei der alle mitmachen und Schulden abladen (Schuldentilgungsfonds), verbunden mit klaren Regeln wie in den USA bezüglich No-Bail-out.
  • Wesentlicher Vorteil: Es gibt keine Umverteilung zwischen Ländern und auch wir können Schulden abbauen und haben dann den gewünschten Spielraum zur Verschuldung.
  • Möglich? Kritiker – darunter nicht wenige Politiker – fragen dann, wie ich eine Wiederholung ausschließen würde. Gegenfrage: Wenn sie dies bezweifeln, wieso glauben sie dann, dass eine Schulden- und Transferunion mit massiver Umverteilung und ohne jegliche Begrenzung besser funktioniert?

Und hier sind wir dann bei einer interessanten Vermutung der Kritiker: Lindner sei unfähig, dies zu erkennen und sich an die Arbeit zu machen, die Eurokrise wirklich zu bereinigen, statt weiter auf Zeit zu spielen. Wirklich?

In Paris knallen die Sektkorken

Was bleibt, ist der Eindruck, dass mit Habeck und dem als Staatssekretär gehandelten GRÜNEN-EU-Abgeordneten Sven Giegold Politiker im Finanzministerium das Sagen bekommen sollen, die Umverteilung und Schulden als Weg zu einer erfolgreichen EU sehen. Das Gegenteil wäre aber der Fall.

Und hierein kommt nun folgendes Gerücht: Mangels der Möglichkeit, sich in Deutschland wegen der Schuldenbremse mehr zu verschulden, wollen die Koalitionäre in spe den Wiederaufbaufonds in Europa wiederholen, diesmal für die „historische Aufgabe“ Klimarettung. So Politico in der letzten Woche und Robert Habeck im DLF.

Im Ergebnis wird es uns noch schlechter ergehen, denn es ist klar, dass wir wie schon beim Wiederaufbaufonds 1.0 die Haftung übernehmen, aber deutlich weniger Geld aus dem Topf bekommen als die anderen.

In Paris knallen die Sektkorken und ich frage: Liebe Koalitionäre, wie stellt ihr sicher, dass es in diesem „Klimarettungsfonds“ NICHT zu einer weiteren Vermögensverschiebung aus Deutschland in die anderen Staaten kommt?

Mehr von Dr. Daniel Stelter auf DDW:

Dr. Daniel Stelter ist Makroökonom und Strategieberater. Er betreibt das Diskussionsforum beyond the obvious und geht wöchentlich mit dem gleichnamigen Ökonomie-Podcast auf Sendung. Als Autor zahlreicher Expertenbeiträge und aktueller Sachbücher liefert er einen unverstellten Blick auf die wirtschafts- und finanzpolitischen Fragen unserer Zeit. Die Frankfurter Allgemeine Zeitung zählt ihn zu den 100 einflussreichsten Ökonomen Deutschlands. Zuletzt erschien von ihm »Ein Traum von einem Land: Deutschland 2040«, dem dieser Beitrag entnommen ist.

 

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