Genuß ohne Reue: Gänge 1 bis 3

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In einer kleinen neue Reihe unserer Rubrik “Stilvoll reisen“ serviert uns Winfried D. E. Völcker einen gastronomischen Small Talk der 14 Gänge eines Essens. Heute: Von Amusettes über Amuse gueule bis Amuse bouche.

Bislang erschienen:

Genuß ohne Reue: 1. Gang: Amusettes

Wußten Sie, daß ein Gast einst jener Fremdling war, der als Feind den Göttern geopfert wurde? Später wurde er zum Mitesser, doch dafür mußten unsere Vorfahren erst einmal das Kochen erlernen.

Genetisch unterscheiden sich Menschen kaum vom Schimpansen, und doch sind sie keine Menschen. Es kommt demnach weniger auf die Zahl abweichender Gene, sondern darauf an, wie die Gene arbeiten. Wissenschaftler der Uni Chicago untersuchten Gene aus Leberproben und ermittelten, dass neben den Rezepten für die Bausteine der Zellen auch Anleitungen für ihren Einsatz schlummern.

So war die Beherrschung des Feuers möglich und der dadurch entstandene Kochprozess hat den erweiterten Zugang zu den Nährstoffen erst möglich gemacht. Es lebe die Kulinarik, die Kunst des Kochens, aus Lebensmitteln exquisite, schmackhafte und attraktive Speisen frisch zuzubereiten!

Das Kochen, man höre und staune, feuerte die Evolution zum Menschen unserer Art an. Alles andere kam danach…

Genuß im Blut: Feinkost Völcker Ensemble mit Familie Völcker, 1954, Lübeck. Schwester Rita Brandenburg-Kross, Vater Ernst, Mutter Margrit und „Winnielein“, Mitte rechts, der Autor dieser Rubrik, der heute mit seiner VHC Völcker Family of Hospitality auf das Betreiben, Entwickeln und Sanieren von Hotels konzentriert

Was sind Amusettes?

Das sind kleine winzige Geschmacksreize, die den Gaumen kitzeln und amüsieren. (franz. amuser = amüsieren).
Noch vor den Amuse gueule und Amuse bouche, den etwas größeren Grüßen aus der Küche, werden sie gerne zum Cocktail oder zum Aperitif gereicht.

Genuß ohne Reue, 2. Gang: Amuse Geulles

Ist Deutschland ein Stiefkind, gezeugt im traurigen Umfeld der Übellaune und der Lebensfeindlichkeit? Missraten in preußischer Erziehung zu stetem Pflichtgefühl und freudlosem Dasein? Wurde Genuß in hektischer Betriebsamkeit und abgeschottetem Karrierestreben vergessen?

Genuß ohne Reue. Aus jedem der drei Wörter schaut das immanent schlechte Gewissen. Lädst Du heute eine Frau – weil Du Stil hast – zum Essen ein, mußt Du mit Anschuldigungen der Übergriffigkeit rechnen, dabei macht Abwechslung das Leben doch erst süß.

Wer genießt muß bereuen und jedenfalls büßen, sich also in die Pflicht nehmen. Ist wer genießt nicht verdächtig, den lieben Gott einen guten Mann sein zu lassen? Verdächtig, am Ende gar so viel Geld zu haben, sich eben dies auch noch leisten zu können?

Genießen hat viel mit Gönnen zu tun. Wer sich Genuß hingeben kann, ist zu Neid nicht fähig. Er gönnt anderen das gleiche Gute, das entspannende Gefühl, das sich beim Genießen einstellt.

Brillat-Savarin, Zeitgenosse und ein „Goethe de Goût“ der Franzosen, berühmtester Gastrosoph und geistiger Vater aller Tafelfreudianer, fand eine geschmackreiche Erklärung für den Genuß: „Indem der Schöpfer uns Menschen die Verpflichtung auferlegte zu essen, um zu leben, lädt er uns durch den Appetit ein und belohnt uns durch den Genuß.“

Appetit, die Lust zu speisen, ist die psychologische Grundlage des Essens, im Gegensatz zur physiologischen Bedürftigkeit, allen als „tierischer Hunger“ bekannt. Goethe, unser Endgültigkeitsformulierer, Sohn der Metropolregion Frankfurt, formulierte es so:
„Genießen heißt anderen in Fröhlichkeit angehören.“

Was sind Amuse Geulles?

Ähnlich den Amusettes, sind das winzige Wonnen mit feinen Aromen. Kitzelnde Kehlenfreude, deren Düfte unsere Nase betören, manchmal sogar den Verstand. Im Bereich der Appetit anregenden Amüsements sind Amuse Gulles ein etwas größerer „Gruß aus der Küche“, der mehr auf den Magen zielt, als auf die Zunge. Auch als „Gourmandises“ bekannt.

Alles, was kurz vor dem Hauptgenuss den Appetit weckt ist auch als Appetizer bekannt. Appetit ist Kopfsache, ansteckend und vermehrbar durch Abwechslung in den Speisen und deren Präsentation: Pfiffig getellert, freundlich serviert. Dazu zählen „Assiettes Volantes“ zu deutsch „Fliegende Teller“, bekannt als vorbeieilende Speisen.

Wir kennen alle den TIP, kein Trinkgeld, sondern eine dezente Gabe vorab, die ihren Ursprung in England hat: TIP steht für To Insure Promptness.. Meine Praxis: Einen „Zehner“, dezent in die Hand gegeben, und kein Teller fliegt mehr an mir vorbei…

Genuß ohne Reue, 3. Gang: Amuse Bouches

Amuse Bouches, ebenfalls als Gourmandises bekannt, sind größer als die beiden ersten Gänge, aber noch nicht das, was den Appetit befriedigen könnte. Bis dahin haben wir noch etwas Zeit für Gastrosophisches.

„Der Mensch ißt, wie er ist..“ (Brillat-Savarin)

Jeder kennt seine kulinarischen Vorlieben, denn in der Tat, der Speiseplan wird von unserer Persönlichkeit geprägt. Wie stellen Sie sich einen Weintrinker vor? Als Genießer mit ausgeprägter Sinnlichkeit? Denken Sie beim Biertrinker an die zwei Friesen mit ´ner „Flens“? Wie denken Sie über Rohköstler und andere Vegies? Als verbiesterte Mümmelathleten? Unterstellen Sie weiblichen Schokoladenanhängern auch frustrierte Sexualität? Umfragen in den USA haben ergeben, dass für jede zweite US-Amerikanerin ein leckeres Stück Schokolade wichtiger sei als Sex…

Professorin Gisela Gniech von der Uni Bremen will gar wissen, das der Typ „Sensationssucher“ zu geschmacklich eindeutigen, also stark gewürzten, scharfen, salzigen und deftigen Speisen neigt. Auf gesundes Obst und Gemüse setzen hingegen vor allem Menschen, die kompromißbereitt und offen für neue Erfahrungen sind.

Wer beim Essen etwas über die Persönlichkeit seines Gegenübers erfahren will, sollte nicht nur auf das gucken, was er ißt, sondern darauf, wie er/sie/es. es tut. Wenn die einzelnen Bestandteile auf dem Teller akribisch voneinander getrennt werden, lässt das auf einen pedantischen, nicht gerade sinnenfreudigen Charakter schließen. Heiße Liebesnächte sind hier eher nicht zu erwarten.

Allerdings ist es auch kein Zeichen von Wollust, wenn sich jemand auf seinem Teller alles durcheinandermischt, nach dem Motto: „Kommt ja eh alles in einen Magen“. Ein derartig kulinarischer Brutalo-Mix läßt eher auf Unersättlichkeit und mangelndes Differenzierungsvermögen schließen. Mit solchen Leuten ist weder kulinarisch noch rhetorisch gut Kirschen essen.

Einstige Kaderschmiede in der Rotisserie im InterContinental Frankfurt: Rechts unten der Autor als Wirtschaftsdirektor, mit damals zeitgenäßer Hornbrille. Daneben Restaurant-Direktor Kurt Fischer; für seine Leistungen ausgezeichnet mit dem Bundesverdienstkreuz. Oben rechts Küchenmeister Klaus Rupp, mit 27 Chef der 60-köpfigen InterConti Küchenbrigade. Vorne, dritter von links, Herr Ayberk, später Barchef der berühmten Casablanca Bar im Parkhotel Frankfurt

Apropos: „Essengehen“ ist ein gesellschaftliches Ereignis und oft die Fortsetzung von Gesprächen mit kulinarischen Mitteln. Gespräche mit direktem Augenkontakt lassen sich durch nichts ersetzen. Gute Küche auch nicht. „Schau mir in die Augen Kleines“… Humphrey Bogart in Casablanca.

„Essengehen“ als gesellschaftliches Ereignis, seit wann? Der Journalist und Buchautor Jens Mecklenburg (Nordische Esskultur) klärt mit Host Boris Rogosch die Frage, wann Restaurants, so wie wir sie heute kennen, entstanden sind. „Restaurants“ gehen zurück auf die Zeit der französischen Revolution. Das Bürgertum etablierte sich, und grenzte sich von den Ess-Gewohnheiten des Adels ab. Essengehen wurde zum gesellschaftlichen Ereignis.

Es wurden nicht mehr alle Speisen gleichzeitig auf den Tisch gestellt (Table d’hôte), sondern nach ein paar Amuse Geulles und Hors d`Oeuvres wurde Gang für Gang serviert. Der Gast konnte im Restaurant aus unterschiedlichen Speisenangeboten auswählen – á la carte – von der Karte. (Im Vier Jahreszeiten Hamburg neuerdings auch vom Laptop.) Man suchte die Intimität und saß nicht mehr mit allen anderen Gästen an einem Tisch, sondern separat, für sich.

Restaurant kommt von restaurer, sich restaurieren, stärken. Der Namensgeber des Begriffes soll ein Wirt namens Boulanger gewesen sein. Auf jeder klassischen Speisenkarte steht heute noch die Consommé Double – Stärkung pur. Nur eine Tasse Beef-Tea ist stärker.

Zu Zeiten der Französischen Revolution gab es um die 100 Restaurants. 1810 waren es schon über 3.000. Man sagt, die vielen Köche, die mit dem Niedergang des Adels ihre Arbeitsstellen verloren hatten, suchten neue Betätigungsfelder.

Voilá, es entstanden Orte der kulinarischen Restaurierung: Wie die ehemals berühmte Rotisserie in der einstigen Kaderschmiede InterContinental Frankfurt, mit Restaurant Chef und Weinkenner Kurt Fischer. Als die Hotellerie noch als stolze Profibranche glänzte, hatten Hoteliers das Sagen in den Hotelgruppen – nicht Finanzjongleure aus aller Herren Länder mit viel Vermögen in oft unvermögenden Händen…

Winfried D. E. Völcker ist Vollbluthotelier, Manager und ein Patron wie aus dem Bilderbuch. In seiner Karriere hat er ein Dutzend internationale Business-, Kongress- und Leisure-Hotels, sowie mehr als 60 Restaurants als Manager und Patron saniert, entwickelt und geführt. In seinem Newsletter seiner VHC Völcker Family of Hospitality schreibt er über Hotels, Essen und Genuß ohne Reue – empfehlenswert! Hier kostenfrei einschreiben

 

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