Ja zum großen Sprung nach vorn

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Woher kommt eigentlich unser Wohlstand von morgen? Was bewahrt uns unsere Prosperität, an die wir uns so gewöhnt haben? Und wie stellen wir sicher, dass wir in der Lage sind, mit veränderlichen Anforderungen Schritt zu halten und die digital vernetzte Zukunft so zu gestalten, dass sie lebenswert bleibt?

Bisher in der Reihe “Zeitenwende” erschienen:

Von Prof. Dr. Yasmin Weiß

Diese Fragen sollten uns alle beschäftigen. Denn derzeit wird eine Menge durcheinandergewirbelt. Vieles, was über Jahrzehnte hinweg für uns selbstverständlich war, ist es nun nicht mehr. Wir befinden uns mitten in einer heiklen Übergangszeit – gesundheitlich, ökonomisch, ökologisch und politisch – und werden damit zu Zeitzeugen eines historischen Umbruchs, der unsere Zukunft erheblich beeinflussen wird.

Gerade kristallisiert sich eine neue Weltordnung heraus: Geopolitisch ist die Welt, wie wir sie bislang kannten, seit dem Einmarsch der russischen Truppen in die Ukraine am 24. Februar 2022 eine andere. Technologisch werden diejenigen Nationen, die in den Schlüsseltechnologien der Zukunft die Nase vorn haben, wirtschaftlich führend sein und in der Weltpolitik von morgen maßgeblich den Ton angeben können.

Noch zählt Deutschland zu den wettbewerbsfähigsten Nationen der Welt. Aber wir dürfen es uns in nächster Zeit nicht bequem machen, denn sonst verpassen wir den Anschluss. Wir müssen technologisch einen großen Sprung nach vorne machen, unsere Innovationskraft steigern, gemeinsam mit unseren europäischen Partnern an der technologischen Souveränität Europas arbeiten sowie das Geschäftsmodell unserer Volkswirtschaft neu ausrichten.

“Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren”

Das macht uns nicht nur nach außen stark, sondern auch nach innen. Denn nur eine florierende Wirtschaft sichert eine stabile Gesellschaft, in der Zusammenhalt und Solidarität größer sind als das, was uns spaltet.

Deutschland wie auch der Rest Europas leben schon seit einiger Zeit von ihrer Substanz. Unsere Gesellschaft ist in weiten Teilen überaltert, sozial undurchlässig, gesättigt und technologieskeptisch. Unsere Wirtschaft wird von den Supermächten USA und China massiv herausgefordert, die sich technologisch an die Spitze gesetzt haben und uns gerade bei den so wichtigen datengetriebenen Geschäftsmodellen und zentralen Schlüsseltechnologien der Zukunft in vielen Bereichen abhängen.

Wie können wir trotz der großen Herausforderungen optimistisch in die Zukunft blicken und eine ambitionierte Vision für Deutschland im Jahr 2030 in die Tat umsetzen?

Der Schlüssel lautet: Investitionen in »weltbeste Bildung«. Und zwar jetzt. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren.

Wir müssen nun endlich etwas tun

Unsere wirtschaftliche und persönliche Zukunft liegt in der Bildung. Yasmin Weiß zeigt in ihrem Buch, wie es gelingt, Berührungsängste vor der Digitalisierung und neuen Technologien abzubauen. Sie liefert konkrete Denkanstöße und Impulse, um durch die weltbeste Bildung unseren Wohlstand zu sichern. Erhältlich im Campus Verlag

Wir müssen alle mitmachen, damit weltbeste Bildung gelingen kann und nicht nur ein politisches Schlagwort bleibt. Die Faktenlage beweist ja, wie groß die Defizite gerade in der digitalen Bildung in unseren Kitas, Schulen und Hochschulen sind. Da gibt es nichts schönzureden. Das Ambitionsniveau der Verantwortlichen aus Bildung und Politik, unsere Bildung gerade in den Wohlstandsjahren vor der Corona-Krise zu revolutionieren und zukunftsfit zu machen, lag kurz oberhalb der Nulllinie. Unser wirtschaftlicher Erfolg schien uns Recht zu geben. Wirtschaftshistorisch gesehen, lagen zwischen der Finanzkrise vom Jahr 2009 und der Corona-Krise von 2020 Deutschlands beste Jahre. Anstatt diese gute Zeit zu nutzen, um uns sturmfest für die Herausforderungen der Zukunft zu machen, haben wir sie als Freibrief aufgefasst, um so weiterzumachen wie bisher. Christian Rickens kommentiert im Handelsblatt vom 3. Januar 2022: »Wir haben sie verschwendet wie ein Feierbiest, das seinen Lottogewinn durchbringt.«

Aber lamentieren, ohne tätig zu werden, bringt eben auch nichts. Wir müssen nun endlich etwas tun. Denn wir befinden uns inmitten einer intensiven Transformation unserer Wirtschaft, und das zudem in schwierigen Zeiten. Die drei kritischen Faktoren Demografie, Digitalisierung und Dekarbonisierung (3-D) schlagen gleichzeitig zu und verändern die Arbeitswelt grundlegend.

10,5 Millionen Jobs in Deutschland sind davon betroffen. Bis 2030 werden rund vier Millionen Beschäftigte in andere berufliche Tätigkeitsfelder wechseln müssen – das sind knapp zehn Prozent aller Beschäftigten. Zusätzlich müssen mehr als 6,5 Millionen Deutsche in erheblichem Umfang neue Kompetenzen aufbauen – allein, um die fortschreitende Digitalisierung umzusetzen und ihre Beschäftigungsfähigkeit zu erhalten.

Konkret stellt die 3-D-Transformation der Wirtschaft unsere Bildung vor eine dreifache Herausforderung. Sie ist nicht trivial, weshalb wir hierfür als gesamtgesellschaftliches und sektorenübergreifendes Team agieren müssen:

  • Erstens muss unsere Bildung dafür sorgen, dass es qualifizierte Arbeitskräfte in ausreichender Anzahl gibt, um die anstehenden Aufgaben zu bewältigen.
  • Zweitens geht es darum, die richtigen Kompetenzen zum richtigen Zeitpunkt an den richtigen Stellen zur Verfügung zu stellen.
  • Drittens müssen alle Bildungsprozesse mit der anhaltend hohen Veränderungsgeschwindigkeit, mit der neue Anforderungen entstehen, mithalten. Dies schließt die Um- und Weiterqualifizierung von Millionen von Berufstätigen und damit Prozesse des Lernens, Verlernens und Neulernens sowie das fortlaufende Erneuern von Curricula und Ausbildungs- und Studiengängen ein.

Besonders die Wirtschaft ist gefordert

Das zu bewältigen, ist eine nationale Aufgabe, für die es uns alle braucht. Ein Delegieren dieser Verantwortung an die Politik und den Bildungsbereich in der Hoffnung, sie werden diese Mammutaufgabe allein stemmen, funktioniert nicht mehr. Das hat die Vergangenheit gezeigt. Daher zielt das sektorenübergreifende Ökosystem für lebenslanges Lernen bewusst darauf ab, Politik, Bildungsbereich, Wirtschaft, Gesellschaft und vor allem die Lernenden selbst als aktive Akteure einzubeziehen und gemeinsam Kräfte zu bündeln. Dabei geht es auch darum, die Theorie mit konkreter Anwendung enger als bislang zu verzahnen, um riskante Zeitverzögerungen zu vermeiden. Gerade darin liegt die große Stärke eines diversen Ökosystems: dass die Akteure in unterschiedlichen Geschwindigkeiten agieren sowie diverse Stärken und Ressourcen in die Aus- und Weiterbildung einbringen können. Davon profitieren schließlich die Lernenden.

Besonders die Wirtschaft muss stärker in die Erst- und die weiterführende berufsbegleitende Ausbildung integriert werden. Nicht eine stärkere Kommerzialisierung des Bildungssystems soll erreicht werden, sondern anwendungsnahe Einblicke und reale, spannende »Use Cases«, die den Funken überspringen lassen und junge Menschen motivieren, sich mit den relevanten Themen zu beschäftigen. Wir brauchen hierfür engagierte Praktiker, die von Unternehmen als praxiserfahrene Lehrbeauftragte an Bildungsinstitutionen entsandt werden, angefangen beim Kindergarten. Im Idealfall wirken sie als inspirierende Vorbilder und machen Lust auf die Jobs und Tätigkeitsfelder der Zukunft. Nur durch eine solch lebendige und greifbare Lehre entsteht die Sogwirkung auf zukünftige Jobs, für die wir so dringend Fachkräfte benötigen.

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Yasmin Weiß ist BWL-Professorin, Start-up-Gründerin sowie mehrfache Aufsichts- und Beirätin. Sie ist Expertin für digitale Bildung und die Arbeitswelt der Zukunft und analysiert, welche Kompetenzen in Zukunft benötigt werden, um die digitale Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft voranzutreiben. Von der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel wurde sie 2014 in den Innovationssteuerkreis der Bundesregierung berufen, vom früheren Bundeswirtschaftsminister Sigmar Gabriel in den Außenwirtschaftsbeirat des Bundeswirtschaftsministeriums. Das Wirtschaftsmagazin Capital wählte sie 2017 in den Kreis der Top 40 unter 40 Jahren in Wissenschaft und Gesellschaft in Deutschland.

Portrait: Charlotte Starup
Bild Buchcover: Campus Verlag

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