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Die entscheidende Variable jeder Erfolgsformel ist keine Zahl
Reihe „Zeitenwende“ | Je stärker sich Manager auf die Zahlen konzentriert haben, desto schneller sind ihnen die Menschen abhandengekommen, und zwar an allen Ecken und Enden: als Mitarbeiter, als Kunde und als Bürger. Der Chef der Zukunft muss vor allem eins sein: ein Mensch.
Bisher in der Reihe „Zeitenwende“ erschienen:
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- Anna Schneider: Freiheit
- Prof. Dr. Dr. Hermann Simon: Geschäftsmodell
- Reinhold Messner: Verzicht
- Dr. Jörg Haas: Digitalisierung
- Professor Dr. Ulrich Walter: Wissenschaft
- Professor Dr. Bettina Büchel: Kooperationen
- Frank Dopheide: Führung
- Dr. Daniel Stelter: Realitätssinn
- Yasmin Weiß: Bildung
- Marie-Christine Ostermann: Unternehmertum
- Milosz Matuschek: Jugend
- Marc Müller: Zukunftsfähigkeit
- Carsten Linnemann: Föderalismus
- Hauke Burkhardt: Rohstoffe
- Manfred Deues: Technologie
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Von Frank Dopheide
Stefan – nennen wir ihn stellvertretend so – fühlt sich für die Zahlen verantwortlich. Er hat den Buchwert des Unternehmens gesteigert. Er hat alle Lehrbuchlektionen abgearbeitet, die Toolbox und die Trickkiste geplündert und jedes Steuerschlupfloch genutzt. Jetzt blickt er sich um und entdeckt: Er ist allein auf weiter Flur. Eine Erkenntnis, die bei den Erfolgsverwöhnten zu Verwunderung führt. Niemand will sich mehr in ihrem Glanze sonnen. Außer Berater, also der Wirtschaftsflügel der Escort-Branche. Sie zeigen strategische Anteilnahme, mit Tiefenanalyse und Zahlenfetisch. Und abgerechnet in Stundensätzen.
Die eigenen Mitarbeiter dagegen, die Gesellschaft und auch die Politiker meiden die Nähe der Topmanager inzwischen. Natürlich, Outsourcing ist kein Freundschaftsgewinnungsprogramm, doch der Grund liegt tiefer. Je stärker sich Stefan auf die Zahlen konzentriert hat, desto schneller sind ihm die Menschen abhandengekommen. Die Gründe dafür haben wir schon analysiert: Beim Führungsmodell Spardose zählt nur, was Zinsen bringt. Empathie gehört nicht dazu. Auf dem Weg zur Karrierespitze hat Stefan Potenziale gefunden, aber die Menschen verloren, und zwar an allen Ecken und Enden: als Mitarbeiter, als Kunde und als Bürger. Und die Menschen verloren den Glauben an Stefan.
„Zum Können muss der Charakter kommen. Dann erst wirkt der Manager in seiner Gänze“
Und da steht er jetzt, der Mensch Stefan. Manager im Zenit seiner Schaffenskraft – und vor der Frage seines Lebens: Wie kann man ein Unternehmen führen, wenn nur noch fünfzehn Prozent der Mitarbeiter mit Herz bei der Sache sind? Wie reagieren die Führungsetagen, wenn in Deutschland sechs Millionen Menschen innerlich gekündigt haben? Der Chef selbst hat den Draht zu seinen eigenen Leuten gekappt. Nur 26 Prozent der Mitarbeiter sehen in ihrem Chef ein Vorbild. Weniger als fünfzehn Prozent können sich vorstellen, mit ihm privat etwas zu unternehmen.
Dabei ist das Vertrauenskapital entscheidend für die Reputation und die Wirkkraft des Chefs – im Unternehmen und darüber hinaus. Das aber verlangt andere Kompetenzen und Fähigkeiten. Stefan, der sich bisher als Zahlendompteur gesehen hat, und als Heizer, der Druck in den Kessel gibt, muss jetzt seine Menschlichkeit ins Spiel bringen. Zum Können muss der Charakter kommen. Dann erst wirkt der Manager in seiner Gänze und über die Wiedervorlagemappe hinaus. Persönlichkeit matters. Mit menschlicher Kompetenz öffnen sich fünf neue Rollen, in denen man Menschen und Unternehmen bewegen kann.
> Die Identifikationsfigur
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Gerade Unternehmen, die mit unterschiedlichen Produkten, Märkten und Standorten jonglieren, brauchen einen sichtbaren inneren Haltepunkt. Im Fernsehen tragen sie den schönen Namen Anchorman. Solange wir abends den Fernseher einschalten und Claus Kleber uns mit bekannter Lässigkeit und gut gescheitelt anblickt, wissen wir: Die Welt ist noch nicht untergegangen, es kann so schlimm nicht sein. Und wenn an der Spitze deines Unternehmens ein echter Rock ‘n‘ Roller namens Richard Branson steht, langhaarig, fröhlich und offen für wilde Herausforderungen, dann kann diese eine Person mit ihrer Kraft auch einen Zwanzig-Milliarden-Konzern mit so verschiedenen Industrien wie Musik, Luftfahrt und Mobilfunk zusammenhalten.
> Der Vertrauensanker
Er wirkt in die breite Öffentlichkeit, wenn die See rauer wird und die Wogen hochschlagen. Daran, dass man ihn braucht, denkt man oft lange Zeit nicht. Dann läuft ja alles gut. Die Märkte, die Produktion, der Vertrieb, das Wetter, die Mitarbeiter, die Kunden sind frohgemut, die Konkurrenz schläft, die eigenen Juristen kommen entspannt zur Arbeit, der Aufsichtsrat schreitet schulterklopfend durch die Gänge, die Börsenprofis sind im »Buy«-Modus und die politischen Zampanos in aller Herren Länder zaubern keine absurden Ideen aus dem Hut. In solchen Zeiten braucht der Manager die Akzeptanz der Öffentlichkeit nicht. Für alle anderen Fälle empfiehlt sich ein vertrautes Verhältnis mit der breiten Bevölkerung. Wenn die Krise, der schlecht gelaunte Präsident, der Staatsanwalt plötzlich auf der Matte stehen, hilft nur eins: Vertrauenskapital. Das lässt sich nicht einkaufen, aber aufbauen. Es funktioniert nach dem Allianzprinzip Lebensversicherung. Durch dein Gesicht, deine Worte und deine Taten zahlst du Tag für Tag kleine Beträge auf das Vertrauenskonto ein, und über die Jahre trägt das Früchte und Zinsen. Vertrauen beginnt mit Vertrautheit. Irgendwann kommt die Krise. Wie im richtigen Leben. Wer Kapital angespart hat, kann schwere Zeiten überbrücken.
„Vertrauen ist der Superdünger, der jede Beziehung zum Blühen bringt“
Claus Hipp hat bei frischgebackenen Eltern mehr Vertrauenskapital, als der hundertfach größere Nestlé-Konzern es je aufbauen kann. »Dafür stehe ich mit meinem Namen«, verspricht er uns, und wir glauben ihm. Vertrauen ist der Superdünger, der jede Beziehung zum Blühen bringt. Auf dieser Wiese fühlen wir uns sicher. Eine Vertrauenskultur wächst heran, auf der, wie von unsichtbarer Hand gesät, das Verständnis füreinander sprießt. Unbezahlbar, wenn es mal zur Krise kommt. Wer dann einen No‐Name vor die Kameras schiebt, dessen Gesicht, Namen, Geschichte noch nie jemand gehört hat, ist nicht mehr zu retten.
> Der Wertgarant
So unwahrscheinlich es klingt: Auch Anteilseigner schauen in erster Linie auf Menschen. Bei jeder Unternehmensbewertung hat die Qualität des Managements eine dominante Bedeutung. Zu Recht. Bei regelmäßigen Investorencalls lässt der CEO die wichtigen Anleger routiniert den Puls der Firma und der Führungsriege fühlen. Roland Berger verriet mir sein Erfolgsrezept zur Geldanlage: »Ich bin zeit meines Lebens ein People Investor gewesen. Denn egal, wo Theodor Weimer (Deutsche Börse) oder Wolfgang Reitzle (Linde) hingehen, Sie können fest damit rechnen, die kriegen es gewuppt.« Manchmal ist es ganz einfach.
> Der Kommunikationsturbo
Wen Journalisten kennen und wem sie vertrauen, der findet leichter Gehör. Dafür braucht man eine Stimme und eine Botschaft. Steve Jobs gilt zu Recht als Marketing-Genie. Ihm genügte es, bei einer internen Veranstaltung ein Telefon in die Luft zu halten, damit es 24 Stunden später die ganze Welt kannte: iPhone. Ohne einen Dollar Werbebudget. Die Welt hing an seinen Lippen.
> Der Talentmagnet
Die Persönlichkeit der Spitzenkraft strahlt in die Organisation und darüber hinaus. Wenn sie gut ist, übt sie große Anziehungskraft auf junge Talente und begehrte High Potentials aus. John Legere war der schillerndste Paradiesvogel, dem die Deutsche Telekom je einen Anstellungsvertrag geschickt hat. Er hat neue Talente und darüber hinaus neue Energie und einen neuen Spirit in die amerikanische T‐Mobile gebracht und das Unmögliche geschafft: den Merger mit dem drittgrößten amerikanischen Mobilfunkanbieter Sprint, trotz Gegenwind und Donald Trump. Und er hat nun eine eigene kleine Gedenkwand in Bonn. Elon Musk braucht für seine neue Fabrik in Brandenburg 40.000 neue Mitarbeiter. Ein Tweet »Bitte arbeiten Sie bei Tesla GIGA Berlin, es wird super Spaß machen!!!« in seine fast 25 Millionen zählende, teilfreudige Followerschar, und der Laden dürfte voll sein. Employer Branding 4.0.
Wir lernen: Der Chef der Zukunft muss vor allem eins sein: ein Mensch.
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Frank Dopheide war u.a Chairman von GREY Worldwide sowie zuletzt Sprecher der Geschäftsführung der Handelsblatt Media Group. 2020 gründete der die Purpose-Agentur human unlimited. https://humanunlimited.de/
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