Genuß ohne Reue, der 8. Gang: „Dazwischengesetztes“, L´Entremet

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In einer kleinen Reihe unserer Rubrik “Stilvoll reisen“ serviert uns Winfried D. E. Völcker einen gastronomischen Small Talk der 14 Gänge eines Essens, samt Anekdoten aus der Welt der Top-Gastronomie. Heute: L´Entremet.

Bislang erschienen:

Amusettes, Amuse Guelles, Amuse Bouches, Hors d`Oeuvres, das Entrée, Relevée und Le Rôti haben wir besprochen und genossen. Heute also der 8.Gang eines großen Menüs: L´Entremet, „Dazwischengesetztes“.

Aber wie immer geht es bei unserem kleinen gastrosophischen Small Talk in 14 Gängen um ein bisschen mehr, aus Freude am Beruf des Hotelkaufmanns und Gastronomen. „Dem Kaiser so nah“, versuche ich mich daher in diesem 8. Gang zugleich an zeitgemäßer Etikette, taktvollem Umgang, stilvollem Miteinander – und, man glaubt es kaum, der Frankfurter Sponti-Szene der 68er.

Früher waren Entremets künstlerische Einlagen von Sängern, Akrobaten oder Schlangenbeschwörern

Zu Kaiser´s Zeiten bis zurück zum Mittelalter, waren Entremets künstlerische Einlagen von Sängern, Akrobaten, Schlangenbeschwörern und Tänzern. Manchmal mußte der Hausherr wegen des Fachkräftemangels selber Hand anlegen… Entremets kommen nach dem Käse und vor dem Obst.

Daraus wurde schließlich das „Dazwischengesetzte Gericht“. Man servierte es vom Mittelalter an bis zu Louis XIV. auch, um seinen Gästen zu zeigen, das man gebildet, weitgereist und auf der Höhe der Zeit war. So wurde Frisches von Gemüsen und anderen Köstlichkeiten kredenzt, die vorher noch nicht serviert worden waren.

Alles wandelt sich, nicht nur das Klima, und so hat die Frischeküche unserer Tage diese Besonderheit überflüssig gemacht. Auf dem Weg des steten gesellschaftlichen Wandels wurde aus dem Entremet ein Zwischengericht. Auf Speisenkarten stehen Kocheinlagen wie Omelettes, Crêpes, Vol-au-vents und Beignets unter der Rubrik „Entremets“, weil sie eben kein Hauptgang (Rôti), sondern „Dazwischen-Gerichte“ sind.

Heute ist nach dem Rôti die Zeit für Ansprachen. – Der Maître d´Hotel gibt dem Host ein Zeichen: „Abgeräumt, Tische für den nächsten Gang bereit. Gläser gefüllt. Gäste von ihrer Auffrischung zurück. Servicemitarbeiter sind aus dem Raum“…

Laute und leise Töne sind Zeichen der Abgrenzung und Zugehörigkeit

Bild im Bild: Le Dinner im Adlon der 20er Jahre, gekauft aus Berliner Privatbesitz – für „Mon La Truffe“.

Es folgen Ansprachen an die versammelte Gesellschaft und damit die förmliche Vergewisserung der Devise  „Nichts ist langweiliger als ein Rendezvous mit sich selbst.“ Ist das aus der Zeit gefallen, genau wie andere Formen der Pflege der Geselligkeit und der gegenseitigen Hochachtung (wie die Krawatte beispielsweise), „Manieren“ genannt?

Laute und leise Töne sind Zeichen der Abgrenzung und Zugehörigkeit zugleich. Damals wie heute spielt das Ambiente dabei eine gewichtige Rolle. Orte mit Flair, Chic und Charme waren immer en vogue. Mode kann man kaufen. Stil nicht. Mode vergeht. Stil ist für immer, wenn denn „smarte“ Entwickler und Investoren aus aller Herren Länder solche traditionsreiche Stätten der Begegnung nicht gewinnträchtig sinnentleeren.

Tradition und Innovation sind für mich zwei Seiten einer Medaille, wie Kontinuität und Qualität.

Von Frankfurter Krawatten

Dank des „Roten Abs“, dem „Frankfurter Bubb“ Dr. Walter Hesselbach, Boss der Gemeinwirtschaft, Horst van Heukulum und anderen großartigen Menschen aus der Frankfurter Sozialdemokratie hatten wir jungen Leute Anfang der 80er Jahre die Aufgabe und Chance, die Frankfurter „Gudde Stubb“, das Parkhotel Frankfurt, wieder zum ersten Haus der Stadt zu machen. Bis auf Jimmy´s Bar war der Hessische Hof damals eher müde und der Frankfurter Hof, vollbesetzt mit megaguten Profis, lahmte ebenfalls. Egon Steigenberger sagte bei einem Treffen zu mir: „Bubb Du hast uns aufgeweckt…“

Hier ein starkes Zeichen gehobener Gastronomie zum Leben zu erwecken, fand zu einer Zeit statt, in der an anderer Stelle die Straßen brannten. Aus einem Frankfurter Blickwinkel lässt sich die Kulturgeschichte unserer Gastlichkeit und Gesellschaft wie in einem Brennglas betrachten.

Der Autor mit Zigarre, im Gespräch zu vorgerückte Stunde, mit Prinz Michael von Preußen, über Stil & Etikette in der Talkshow „Gespräch am Abend“

Das Verhalten der männlichen Deutschen seit 1968 hat sich verändert, was nicht nur mit ödipalen Reaktionen zu erklären ist. Die verbannte Krawatte beispielsweise nahm ihren Anfang bei linksliberalen Paulskirche-Besuchern, den Verlegern, Regisseuren, Architekten und Literaten. Die Buchpreisverleihung 2022 in der Paulskirche zu Frankfurt am Main  ist für mich, in Fortsetzung der Entwicklung seit 1968, kaum zu überbieten.

Bei den Sozen galt die Ablehnung des Smokings und der demonstrativ offen getragene Kragenknopf nebst gelockerter Krawatte im allgemeinen als Zeichen des Klassenkampfes. Andere, vom militanten Rand der linken Frankfurter Sponti-Szene, zu der auch die sog. Putztruppe zählte, krönten ihre Revoluzzer-Karriere später mit eigenen Sterne-Restaurants (oder Ministerposten). Johnny Klinke mit seinem Tigerpalast oder Klaus Trebes mit dem Feinschmeckerlokal „Gargantua“ im Westend, also genau dort, wo die Politrocker damals die Staatsgewalt zu vernichten trachteten.

Alles kehrt zur Form zurück.

Von Goethe und Schiller weiß man, dass sie zu genießen wußten. Ergo kann Schiller unmöglich an Essen und Trinken gedacht haben, als er in seiner „Glocke“ schrieb: „Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang“. Für die Klinkes und Trebes jener Tage gilt im Umkehrschluß: „Der Wahn war lang, die Reu (wenn überhaupt) nur kurz“.

Bild oben: Frankfurter Runde Ende der 60er im wiedererweckten im Hessischen Hof. Von links nach rechts: Bürgermeister der Stadt Frankfurt am Main, Hans-Jürgen Moog. Albert Speer junior, Winfried D. E. Völcker. Hermann Josef Abs, der einflussreichste deutsche Banker des 20. Jahrhunderts und einer der mächtigsten Männer seiner Zeit, Stadtkämmerer Ernst Gerhardt.

Winfried D. E. Völcker ist Vollbluthotelier, Manager und ein Patron wie aus dem Bilderbuch. In seiner Karriere hat er ein Dutzend internationale Business-, Kongress- und Leisure-Hotels, sowie mehr als 60 Restaurants als Manager und Patron saniert, entwickelt und geführt. In seinem Newsletter seiner VHC Völcker Family of Hospitality schreibt er über Hotels, Essen und Genuß ohne Reue – empfehlenswert! Hier kostenfrei einschreiben

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