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Föderalismusreform von unten: Pilotregionen einführen
Wer meckert, der muss auch sagen, wie es besser gehen könnte. Dabei nehme ich für mich nicht in Anspruch, dass ich es besser weiß. Politik bedeutet nur in seltenen Fällen wirkliche Gewissheit. Mir geht es darum, dass wir in Deutschland „einfach mal wieder machen“ und diese lähmende Angst überwinden, wir könnten an unseren Fehlern scheitern. Deshalb stelle ich eine solcher Ideen hier „einfach mal“ zur Diskussion: Pilotregionen einzuführen| Reihe „Zeitenwende“
Von Carsten Linnemann
Viele Menschen und Unternehmer, mit denen ich für mein neues Buch gesprochen habe, haben mir deutlich gemacht, dass es vor allem die Strukturen sind, die uns in Deutschland lähmen. Ein überbordender Staatsapparat, der engmaschig reguliert und detailliert vorschreibt, macht träge und erstickt jeden Impuls, etwas auszuprobieren, im Keim. Oder anders ausgedrückt: Uns ist in Deutschland die „Einfach mal machen“-Mentalität abhandengekommen. Statt mutig neue Wege zu probieren, verstecken wir uns hinter Paragrafen und Gesetzen. Und will man unter diesen Paragrafen und Gesetzen etwas ausmisten, gibt es sofort ein „Wenn“ und ein „Aber“ und am Ende nicht weniger, sondern mehr Bürokratie. Und Verantwortung? Die will sowieso kaum noch jemand übernehmen – egal wo man sich umschaut.
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In Sonntagsreden sind immer alle Politiker – egal welcher politischen Couleur – für Bürokratieabbau und für effizientere Strukturen. Aber wenn es konkret wird, finden Bedenkenträger immer tausend gute Gründe, warum etwas nicht geht. Das hat ein solches Ausmaß angenommen, dass es nicht mehr nur für die Bürger oder Mittelständler ein Ärgernis ist – nein, es bedroht die Zukunftsfähigkeit unseres gesamten Landes.
Dabei hat gerade die Coronakrise gezeigt, dass es anders gehen kann. Rostock ist das beste Beispiel. Wie der mutige damalige Oberbürgermeister von Rostock und heutige Wirtschaftsminister Schleswig-Holsteins, Claus Ruhe Madsen. Als die Einzelhändler dicht machten, suchte Claus Ruhe Madsen nach neuen Wegen und führte „Click & Meet“ ein.
Der Erfolg gab ihm recht. Von allen Seiten gab es Applaus. Und in einem Interview war kurz darauf nachzulesen, was nicht Herrn Madsen, sondern unseren Staat beschämen müsste: Für die erfolgreiche Coronastrategie habe er es mit den Vorschriften nicht so eng nehmen dürfen. Und auf die Frage, welche er genau meine, antwortete er: „Ich will ja nicht direkt ins Gefängnis.“
Mein Vorschlag: Warum übertragen wir nicht einfach einen pragmatischen Ansatz auch auf andere Bereiche unseres gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Lebens? Lasst uns Pilotregionen schaffen, in denen Vorschriften beherzt aufgehoben werden. Und dann schauen wir nach einem Jahr, wie es gelaufen ist. Wenn es zu massivem Missbrauch und Schäden führt, kann man ja Vorschriften wieder einführen. Aber ich vermute, in den meisten Fällen wird es besser laufen als vorher.
„Mein persönlicher Wunsch: Deutschland wird zu einem Land der Experimentierräume“
Diese Logik nutzen wir bereits vereinzelt in sogenannten Reallaboren bei der Erprobung von Spitzentechnologien wie autonomes Fahren, Telemedizinlösungen oder neue Identifizierungsverfahren. Indem sie einige Unternehmen bereits einsetzen können, werden die Technologien im realen Umfeld erlebbar. So kann nicht nur das Unternehmen ermitteln, welche Technologien und Geschäftsmodelle funktionieren. Auch der Gesetzgeber lernt, welche Regeln sinnvoll sind und welche nicht.
Genau diese Logik über die Zulassung von neuen Technologien sollten wir auf ganz viele Regelungsbereiche ausweiten. Einzelne Städte und Landkreise sollten als Pilotregionen schlanke, pragmatische und innovative Regulierungen ausprobieren können. Warum nicht mal mit neuen, flexiblen Arbeitszeiten experimentieren? Warum nicht den Schulleitern einfach mal mehr Entscheidungsbefugnisse geben? Warum nicht mal alle Gründer im ersten Jahr von Pflichten in den Bereichen Steuer- und Arbeitsrecht befreien? Warum nicht mal datenrechtliche Vorgaben eindampfen, wenn in einer Region ein neues Mobilitätskonzept ausgetüftelt wird? Warum nicht mal auf das Ausfüllen von bestimmten Statistiken für Handwerker verzichten?
Um diesen Pilotregionen klare Bedingungen und damit rechtliche Sicherheit zu geben, brauchen wir ein Bundesexperimentiergesetz und einen wirksamen Experimentierklausel-Check. Mein persönlicher Wunsch: Deutschland wird zu einem Land der Experimentierräume, in denen neue Wege, flache Hierarchien und bürokratiearme Projekte getestet werden. Und testen heißt eben auch: genau analysieren, was lief gut, was lief schlecht? Was floppt, wird gestoppt, was gut läuft, wird auf ganz Deutschland ausgerollt. Vielleicht kann man so eine Föderalismusreform, die Deutschland dringend braucht, von unten angehen.
Es ist Zeit, dass wir in Deutschland wieder einmal etwas wagen. Einfach mal machen lassen! Wer eine Idee hat, muss losstürmen dürfen, ohne dass gleich jemand sagt: „Geht nicht, weil…“ Es braucht Kreativität und Tatkraft, um die Zukunft zu gestalten. Denn es geht um nicht weniger als um den Erhalt unseres Wohlstands und unserer freiheitlichen Art zu leben. Wir sollten mehr Rostock wagen, auch und erst recht nach den Erfahrungen, die wir während der Pandemie gesammelt haben.
Dr. Carsten Linnemann, geboren 1977, ist Sohn einer Buchhändlerfamilie. Er studierte nach dem Wehrdienst Betriebswirtschaftslehre an der FHDW Paderborn. Es folgte das Promotionsstudium der Volkswirtschaftslehre an der TU Chemnitz. 2006 bis 2007 war er Assistent des Chefökonomen der Deutschen Bank, Norbert Walter. Danach arbeitete er als Volkswirt bei der IKB Deutsche Industriebank im Bereich Konjunktur und Mittelstand. 2009 wurde Linnemann erstmals in den Deutschen Bundestag gewählt (Direktmandat im Wahlkreis Paderborn), dem er bis heute angehört. Seit 2013 gehört er dem Bundesvorstand der CDU an, 2022 wurde er stellvertretender Bundesvorsitzender. Seit Januar 2022 ist er Vorsitzender der CDU-Programmkommission und damit für die Neuausrichtung seiner Partei zuständig. Ehrenamtlich engagiert er sich u. a. für die Stiftung LEBENSlauf, deren Gründer und Vorsitzender er ist.
Bisher in der Reihe „Zeitenwende“ erschienen:
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- Anna Schneider: Freiheit
- Prof. Dr. Dr. Hermann Simon: Geschäftsmodell
- Reinhold Messner: Verzicht
- Dr. Jörg Haas: Digitalisierung
- Professor Dr. Ulrich Walter: Wissenschaft
- Professor Dr. Bettina Büchel: Kooperationen
- Frank Dopheide: Führung
- Dr. Daniel Stelter: Realitätssinn
- Yasmin Weiß: Bildung
- Marie-Christine Ostermann: Unternehmertum
- Milosz Matuschek: Jugend
- Marc Müller: Zukunftsfähigkeit
- Carsten Linnemann: Föderalismus
- Hauke Burkhardt: Rohstoffe
- Manfred Deues: Technologie
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