Deutschland entwickelt sich in Europa zu einem Hauptproblem

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Sie kennen das bestimmt inzwischen auch. Sie fühlen sich zunehmend schlecht informiert, gegängelt und politisch bevormundet. Wir fragen uns sogar: Werden Gebote und Verbote wieder zur neuen Normalität? Am Ende könnten wir uns in einer Rationierungswirtschaft wiederfinden. Doch wissen unsere Regierenden wirklich besser, was gesellschaftlich gut und notwendig ist?

Von Stephan Werhahn und Ulrich Horstmann

Deutschland entwickelt sich in Europa zu einem Hauptproblem. Der Regierungs-Zug fährt in die falsche Richtung, da insbesondere die erfolgreichen ordnungspolitischen Grundsätze nicht mehr gelten. Wir haben den Eindruck, dass sich das Gefüge von Wirtschaft und Gesellschaft immer mehr zu Lasten der bürgerlichen Freiheit, der unternehmerischen Unabhängigkeit und des Werte orientierten Handelns verschiebt. Vor allem machen wir uns verstärkt Sorgen um den deutschen Mittelstand, der von der Energiepreisexplosion und dem Zusammenbruch der Lieferketten stark getroffen ist. Deutschland könnte, wie bereits vielfach befürchtet, wieder der „kranke Mann Europas werden“.

Der Marktmechanismus wird immer ungenierter durchbrochen. Anscheinend vertraut man ihm nicht mehr. Es fing an mit den Mindestlöhnen und dem Mietpreisdeckel. Jetzt wird auch der Energiemarkt mit Deckelungen befrachtet. Zu Gunsten der Erneuerbaren wird planwirtschaftlich und ineffizient von oben gesteuert. Das Ergebnis wird doppelt teuer sein. Einerseits wurde durch den grundsätzlichen Verzicht auf Kernenergie und Kohle das Angebot ohne Not weiter verknappt. Andererseits wurde die Abhängigkeit von einem einzigen Lieferanten, der die gesteuerte Öl- und Gas-Verknappung als Kriegswaffe einsetzt, zusätzlich erhöht und die Preise explodierten.

„Die Lage war vermutlich wirklich seit dem Zweiten Weltkrieg in der EU und für Deutschland nicht mehr so ernst wie jetzt“

Dieses teure Interventionsversagen wird dann noch ergänzt durch soziale Abfederungsmaßnahmen bzw. Entlastungen für die Wirtschaft. Auch in unseren EU-Nachbarstaaten schüttelt man nur noch den Kopf über die Unvernunft inländischer Politiker, die zuviele großzügige Almosen verteilen. Mit dem Krieg in der Ukraine wurde die Lage nicht besser. Der inländische Wirtschaftsminister Robert Habeck steht jetzt vor dem Spagat, den verfehlten klimapolitischen Sonderweg Deutschlands in der EU zu korrigieren und das seiner Partei zu vermitteln. Bislang sind nur halbherzige Kompromisse zu beobachten. Vielleicht hilft nur ein „Blackout“ in diesem Winter, damit im Sinne der Bürger wieder verantwortlich gehandelt wird. Wir können uns utopische Weltveränderungsspielchen und reiche Almosen nicht mehr leisten, wenn vor unserer Haustür in Kiew Krieg geführt und gefroren wird. Der Krieg ist in Europa und wir müssen mit denen, die ihn für Europa ausfechten, solidarisch sein und ebenfalls sparsam mit Energie umgehen.

Die Lage war vermutlich wirklich seit dem Zweiten Weltkrieg in der EU und für Deutschland nicht mehr so ernst wie jetzt. Westeuropa müsste einiger zusammenstehen. Scholz und Macron sind bislang kein Erfolgsduo, der Vergleich mit Staatsmännern wie Charles de Gaulles und Konrad Adenauer, aber auch Helmut Schmidt und Giscard d‘Estaing fällt bescheiden aus. Scholz und Macron verbindet zwar, dass sie etatistisch und interventionistisch durchregieren können, vertreten aber verteidigungs-, bündnis- und energiepolitisch zum Teil unterschiedliche Welten. Daran könnte die EU scheitern und zerbrechen, statt Europa jetzt in der Not stärker aufzustellen.

Allein die deutsche Wirtschaft steht jetzt vor einem Scherbenhaufen. Inzwischen wird nicht mehr nur sanft durch Anreize gelenkt, sondern in einer Weise interveniert, die Ludwig Erhard zumindest als „befremdlich“ empfunden hätte. Am Ende könnten wir uns in einer Rationierungswirtschaft wiederfinden, die kurz nach dem Zweiten Weltkrieg als überwunden schien. Ludwig Erhard, seit 1949 Wirtschaftsminister in Westdeutschland, hatte während des Korea-Krieges (1950-1953) standgehalten und den Forderungen widersprochen, zu rationieren und staatlich lenkend in die Wirtschaft einzugreifen. Das forderten sogar die Amerikaner. Erhard ließ sich nicht beirren und behielt recht. Danach begann der Aufstieg der deutschen Wirtschaft („Wirtschaftswunder“) deren Vertreter jetzt zu Recht einen dramatischen Abstieg fürchten.

„Die Bundesregierung geht zunehmend den interventionistischen Weg zur ideologischen Welt- und Klimarettung und vieles mehr. Etwas kleiner geht es nicht mehr“

Die Bundesregierung geht zunehmend den interventionistischen Weg zur ideologischen Welt- und Klimarettung und vieles mehr. Etwas kleiner geht es nicht mehr. Dennoch: Das hört sich alles überzeugend gut an, soll auch oft vermeintlich einer sozialen und gerechteren Struktur weltweit dienen. Max Weber hätte das als Gesinnungsethik (als Gegensatz zur Verantwortungsethik) bezeichnet.

Am Ende könnten sich die Begründungen für ein immer stärkeres Eingreifen in die persönliche Lebensführung der Bürger als desinformierende Parolen erweisen. Womöglich wird mehr zerstört (auch ökologisch) als durch die vielfachen Lenkungsmaßnahmen gewonnen wird. Ein Beispiel: 25 Prozent der Ausgaben für die Anschaffung E-Lastenfahrrad bzw. Lastenfahrradanhänger mit E-Antrieb (maximal 2.500 Euro pro Fahrzeug) werden durch staatliche Förderungen abgedeckt. Ähnliches gilt für E-Autos. Hier wird künstlich ein Anreiz geschaffen. Mitnahmeeffekte nicht ausgeschlossen!

Es ist die „Anmaßung des Wissens“ (Hayek) in der Politik, die uns abschreckt. Wissen unsere Regierenden wirklich besser, was gesellschaftlich gut und notwendig ist? Diejenigen, die die Subventionen bekommen, hier die für E-Autos, sind oft „gut betuchte“ Städter. Sie brauchen das Geld nicht. Die Akkus sind umweltpolitisch ohnehin umstritten. Hier scheint sich eine politisch gut vernetzte Klientel Einnahmen sichern zu wollen. Das ist mit klassischen ordnungspolitischen Vorstellungen unvereinbar. Nicht staatliche Behörden wissen es besser und entscheiden, was wir kaufen, sondern der mündige Konsument, der auch nicht durch Fehlregulierungen behindert wird. Schon aus Eigeninteresse heraus, wird er nicht verschwenderisch handeln. Ansonsten gilt: Jeder sollte sein Leben selbst gestalten. Nur im seltenen Notfall echter wirtschaftlicher Not darf der Staat eingreifen, wenn dies im näheren Umfeld z.B. in der Familie, nicht mehr möglich ist.

Ein „Bürgergeld“ (ein beschönigender Begriff für vielfältige soziale Stützungsmaßnahmen mit immer weniger Nachweispflicht für die Bedürftigkeit) wie heute geplant, entspricht nicht dem Subsidiaritätsprinzip, das von dem Theologen Oswald von Nell-Breuning entwickelt wurde. Dieser oberste sozial-philosophischer Grundsatz findet sich in der Enzyklika Quadragesimo anno aus dem Jahr 1931 (Nr. 79):

“Wie Dasjenige, was der Einzelmensch aus eigener Initiative und mit seinen eigenen Kräften leisten kann, ihm nicht entzogen und der Gesellschaftstätigkeit zugewiesen werden darf, so verstößt es gegen die Gerechtigkeit, das, was die kleineren und untergeordneten Gemeinwesen leisten und zum guten Ende führen können, für die weitere und übergeordnete Gemeinschaft in Anspruch zu nehmen; zugleich ist es überaus nachteilig und verwirrt die ganze Gesellschaftsordnung. Jedwede Gesellschaftstätigkeit ist ja ihrem Wesen und Begriff nach subsidiär; sie soll die Glieder des Sozialkörpers unterstützen, darf sie aber niemals zerschlagen oder aufsaugen.“

Es ist unschwer zu erkennen, dass die aktuelle Regierung dagegen immer mehr verstößt. Sie verteilt Geld unproduktiv um und fördert mit den zunehmenden Ineffizienzen auch eine weniger ressourcenschonende Wirtschaft. Lösungen „von unten“ sind inzwischen verpönt, Familie, Kirchen und Vereinsleben vor Ort, das ist eher Schnee von gestern. Das Landvolk ist den großstädtischen „Umerziehern“ von oben suspekt. Ihre neue Lenkung, vielfach als „Ökodiktatur“ bezeichnet, bedarf einer planwirtschaftlichen Legitimierung. Deshalb spielen die Krisen in die Hände. Der nicht zu beschönigende Angriffskrieg des russischen Präsident Putin schafft den Boden für eine gesellschaftspolitische Veränderung, die mehr dem alten Sowjetmodell ähnelt als der aktuellen Situation in Russland, die von kapitalistischen Oligarchen geprägt ist.

Das subsidiäre Gesellschaftsmodell, das Nell-Breuning im Verbund mit dem ersten deutschen Nachkriegskanzler Konrad Adenauer und Ludwig Erhard schufen, ist u.E. weit überlegen. Wir müssen es nur wieder reaktivieren. Ludwig Erhard formulierte in Wohlstand für Alle, 1957, auf S. 262 u.E. zutreffend:

„Soziale Sicherheit ist nicht gleichbedeutend mit Sozialversicherung für alle, – nicht mit der Übertragung der individuellen menschlichen Verantwortung auf irgendein Kollektiv. Am Anfang muss die eigene Verantwortung stehen, und erst dort, wo diese nicht ausreicht oder versagen muss, setzt die Verpflichtung des Staates und der Gemeinschaft ein.“

Eigenverantwortung ist, das zeigte auch der Erfolg der Politik von Erhard und auch Adenauer besser als eine heute geschickt geschaffenen Organisation der Unverantwortlichkeit von grün-roten Ideologen. Es droht sonst wirklich eine irreparable „Ökodiktatur“, wenn jegliche bürgerliche Vernunft beiseitegeschoben wird. Eine „Melonenpartei“, so hat Franz Josef Strauß die Grünen einst bezeichnet. „Außen grün, innen rot.“

„Der Staat kann die Lebensrisiken nicht übernehmen und sollte das auch nicht. Verbote helfen am Ende nicht, sondern zerstören die freiheitlich konzipierte Gesellschaft“

Sozialistische Heilslehren haben schon oft in die Irre geführt. Die Übernahme eigener Verantwortung ist besser, schuldhafte Verfehlungen sind dann eben auch individuell. Der Staat kann die Lebensrisiken nicht übernehmen und sollte das auch nicht. Verbote helfen am Ende nicht, sondern zerstören die freiheitlich konzipierte Gesellschaft. Wer Fehler machen kann, sündigt auch. Das kann man beichten, zumindest wenn man christlich orientiert ist. Wenn wir aber keine Eigenspielräume mehr haben und wie in China total überwacht und gelenkt werden, sind wir als Individuen nicht mehr handlungsfähig.

Aus der Geschichte wissen wir, dass ein Staat auch zu einem ideologischen „Höllenhund“ mutieren kann. Wehret den Anfängen!

Der Ludwig Erhard-Gipfel am 3.-4. Mai 2023 wird aus unserer Sicht möglicherweise Gelegenheit geben können, den Ideen Ludwig Erhards wieder zum Gehör verhelfen zu können. Vielleicht lässt sich ja auch Ricarda Lang, Bundesvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen (sie nimmt voraussichtlich an dem Gipfel teil), von den Ideen Ludwig Erhards inspirieren.

Der Wertekompass des Instituts Europa der Marktwirtschaft bleibt Ludwig-Erhard bezogen. Seine ordnungspolitischen Vorstellungen wären für Europa eine Chance, aus der selbst gestellten Sackgasse wieder herauszufinden. Ein „Europa von unten“ verantwortlich handelnder Bürger und Werte-orientiert handelnder Unternehmer, das ihm (und auch Konrad Adenauer sowie seinen damaligen europäischen Kollegen) vorschwebte, ist sicher erfolgversprechender als das der ideologisch getriebenen Funktionäre, die unser Leben von oben steuern wollen. Dabei geht es dann nicht mehr nur um den Krümmungswinkel der Banane. Es geht um die Freiheit, das Leben noch eigenverantwortlich führen zu können.

Dazu sind solide Rechtsprinzipien erforderlich. Exekutive, Legislative und Judikative müssen klar getrennt sein. Der Wert der Freiheit muss neu entdeckt werden (Gegenmodell zur Zeit: China unter Xi, inzwischen gibt es im Volk immer mehr Widerstand gegen die Unterdrückung einer staatlich unabhängigen Lebensführung). Wir brauchen eine Verfassung für die Bürger, die zweifelsfrei im Mittelpunkt stehen muss. Das sichert Subsidiarität und eine Demokratie, die u.E. auch föderal verankert sein muss.

Mehr zum Thema:

Stephan Werhahn ist Gründer und Direktor des Instituts Europa der Marktwirtschaften und Enkel Konrad Adenauers .Dr. Ulrich Horstmann ist Vorstand im Institut Europa der Marktwirtschaften, Buchautor und Publizist. Aktuelle Bücher des Autorenkollektivs „Ludwig Erhard jetzt!“ und „SOS Europa“.

2 Antworten zu “Deutschland entwickelt sich in Europa zu einem Hauptproblem”

  1. Sehr geehrter Herr Werhahn, sehr geehrter Herr Horstmann,
    Ihr Artikel ist extrem einseitig, um nicht zu sagen reaktionär.
    Der aktuellen Regierung die Schuld für die aktuelle Misere zu geben, zeigt genau die von Ihnen kritisierte fehlende Selbstverantwortung. Große Teile der Wirtschaft, insbesondere Großunternehmen hatte die letzten Jahrzehnte vielfach die Gelegenheit selbst Reformen anzustoßen und das Thema Nachhaltigkeit in den Fokus zu nehmen. Stattdessen hat man sich billigen Gases und Öls aus Russland bedient, um weiter nach dem Motto „Geiz ist geil“ zu agieren.
    Ein wenig mehr Differenziertheit wäre sicherlich angebracht.
    Jeder von uns, auch ich, hat zu der aktuellen Situation beigetragen.
    Hierzu gehört auch, über seine Verhältnisse zu leben und der Glaube an ewiges Wachstum.
    Ein bißchen Demut und Ehrlichkeit tut Not.

  2. Top Artikel!
    Wir sind mittlerweile verseucht von Ideologien und Sozialisten. Ich empfehle jeden Basic Ecomonics zu lesen und die Bücher von Herrn Dr.Dr. Zitelmann.

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