
„Ecuador steht an einem kritischen Punkt“
Im „Ferngespräch“: Volker Meinlschmidt wurde als Sohn deutscher Expatriates in Ecuador geboren und ist nach Ausbildungsjahren in Deutschland und Spanien wieder dorthin zurückgekehrt. Als Agent für u.a. Hapag-Lloyd und Lufthansa und Vorstand verschiedener deutscher Institutionen genießt der Logistiker die Vielfalt beider Kulturen.
Herr Meinlschmidt, Sie leben in Guayaquil, der mit 3 Millionen Einwohnern größten Stadt Ecuadors. Ein Ort zum Arbeiten oder ein Ort zum Leben?
Guayaquil bietet eine interessante Kombination zwischen agiler und herausfordernder Arbeitswelt, die mit einem inzwischen deutlich besser werdenden Lebensstandard auch viele Angebote in Sport, Kultur und Freizeit zu bieten hat.
Wie hat sich Ecuador seit der Staatspleite 2008 entwickelt?
Ecuador hat sich rein wirtschaftlich gut, und sogar über dem Lateinamerikadurchschnitt entwickelt. Viele Investitionen wurden im Bereich Straßenbau, auch in der dringend benötigten umweltfreundlicherer Energiegewinnung und dem Sozialwesen wie in Schulen und Krankenhäusern getätigt. Allerdings war dies nur möglich, weil der Oelpreis an den internationalen Märkten hoch war und nach wie vor die Staatsausgaben deutlich über den erwirtschafteten Einnahmen liegen – und ergo durch Außenfinanzierung gedeckt werden müssen.
Ecuador ist mit 51% des Gesamtexports abhängig vom Öelxport. Wie stemmt sich der Staat gegen den Einnahmenrückgang durch den derzeitigen Preiskrieg?
Der von Ihnen gennannte Prozentsatz variiert kontinuierlich, da er sehr stark vom Weltmarktpreis abhängig ist. In den Jahren eines hohen Oelpreises lag die Abhängigkeitsquote sogar deutlich darüber. Heute, bei einem Oelpreis um die 30 USD pro Barrel, ist ein absolut kritischer Punkt für das Land erreicht. Das Land leidet unter Liquiditätsengpässen und muss die Ausgaben deutlich reduzieren, um einen Staatskollaps zu verhindern. Aktuell wurde zum ersten Mal in vielen Jahren der Haushalt des Landes stark reduziert. Es wird zwar versucht, die Exporte anderer Güter wie beispielsweise Blumen zu fördern, leider werden aber auch viele Importe restriktiver gehandelt, um das Kapital im Land zu lassen. Der hierdurch reduzierte Konsum hat seinerseits eine Negativspirale in Gang gesetzt. Auch die stark reduzierte Vergabe von Krediten durch die Banken schwächt die Wirtschaftsimpulse.
Seit dem Streit um den Wikileaks-Gründer Julian Assange, der in der Londoner Botschaft Ecuadorts Zuflucht suchte, ist das Verhältnis des Landes mit seinem größten Handelspartner, den USA, nachhaltig gestört. Gibt es Auswirkungen auf das tägliche Leben?
Der Streit hat natürlich für diplomatische Turbolenzen und Schlagzeilen in der internationalen und lokalen Presse gesorgt. Allerdings bleiben die USA Ecuadors wichtigster Geschäftspartner und es wird daher in der Praxis auf ein gutes Verhältnis gesetzt. Das Land hat aktuell größere Probleme, als sich weiterhin auf dieses Thema zu konzentrieren – wengleich eine Lösung noch aussteht.
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