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Wittes Weg zum Erfolg
WITTE Automotive wächst zum Milliardenunternehmen: Der Automobilzulieferer aus Velbert hat jüngst die VAST Automotive Group übernommen und stärkt damit seine globale Präsenz. Ist die Expansion des Technologieführers für mechatronische Schließsysteme zugleich den Standortnachteilen in Deutschland geschuldet? Was sind die Herausforderungen eines Mittelständlers auf dem Weg der Globalisierung? Ein Gespräch mit dem Gesellschafter und CEO der WITTE Automotive GmbH, Rainer Gölz.
Herr Gölz, Sie gehen mit WITTE, wie jetzt mit der Übernahme der VAST Automotive Group, konsequent den Weg der Internationalisierung. Kann man für Ihre Branche shakespearisch sagen: „International sein oder Nichtsein?“
Rainer Gölz: Die globalen Trends in der Automobilindustrie haben zu deutlichen Verschiebungen auf den Märkten geführt. Für uns als Automobilzulieferer kann das nur bedeuten, dieser Entwicklung Rechenschaft zu zollen, unseren Kunden zu folgen und in den Märkten präsent zu sein. Wenn man das in einer führenden Rolle tun und letztlich auch den Heimatstandort sichern will, gibt in der Tat keine Alternative, als zu wachsen – und das geht nur global.
Wo sehen Sie die Wachstumsmärkte für sich, und damit im Automotive-Segment insgesamt?
Unsere Produkte werden zunehmend in Asien nachgefragt, vornehmlich natürlich China, aber auch Indien und Japan. Das sind die größten Wachstumsmärkte, und auf diesen wollen wir mitspielen. Besonders gefragt sind aktuell neue Zugangskonzepte zum Fahrzeug und generell mechatronische Systeme, über die sich Türen und jegliche Klappen am Fahrzeug bedienen lassen. Systeme also, die seit Jahren von uns auch in Kooperation mit den VAST-Werken in China und Indien entwickelt und produziert werden.
Viel wird zurzeit über die Standortnachteile Deutschlands gesprochen, über Produktionsverlagerungen und Abwanderungen. Ist das auch ein Grund für Ihre ausländischen Aktivitäten: dass Produktion in Deutschland kaum noch wettbewerbsfähig ist?
Es geht uns vorrangig darum, in den internationalen Märkten selbst präsent zu sein. Wahr ist aber auch, dass die erschwerten Rahmenbedingungen – um mit dem Thema Energiekosten nur eine zu nennen – es nicht leichter machen, mit industrieller Produktion vor Ort wettbewerbsfähig zu sein. Ganz generell fällt auf, dass Produktion Deutschland verlässt und dass Investitionen eher im Ausland getätigt werden.
Welche Standortvorteile haben andere Länder, die Deutschland nicht hat?
Zum einen erleben wir in verstärktem Maße, dass andere Standorte erhebliche Subventionen oder sonstige Erleichterungen aufbringen, um Ansiedlungen und Investitionen anzulocken – siehe die USA. Doch abgesehen von geringeren Belastungen bei Steuern oder dem Lohnniveauthemen haben Unternehmen in vielen anderen Ländern weniger bürokratischen Aufwand. Auch die Frage der Verfügbarkeit von Fachkräften wird zunehmend ein Thema.
Andersherum gefragt: Welche Standortvorteile, außer der gewachsenen Firmentradition, hat Deutschland? Wie definieren Sie bei WITTE strategisch und praktisch die Rolle des Heimatstandorts und Ihres Firmensitzes in Velbert?
Unsere eigenen internationalen Investitionen und Aktivitäten gehen nicht zu Lasten unseres Heimatstandortes Velbert, sondern sichern ihn. Wir haben hier unseren Ursprung, sind ihm verbunden und fühlen uns wohl. Nach wie vor bietet uns unsere „Schlüsselregion“ zudem ein gutes Netzwerk und kluge Köpfe, um unsere anspruchsvollen Produkte, die auf einzigartige Weise Mechanik, Elektrik und Elektronik verbinden, zu entwickeln und zu produzieren. Wir Unternehmen müssen aber auch unseren aktiven Beitrag leisten, diese Standort- und Arbeitsbedingungen zu erhalten und zu fördern. Wir bei WITTE tun dies beispielsweise mit unserem jüngst eröffneten WITTE Project Space. Das hochmoderne Büroumfeld wurde gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern geplant und orientiert sich an den New Ways of Working Prinzipien: offene Flächen, flexible Arbeitsplätze, Think Tanks und High-end IT-Ausstattung.
WITTE Automotive stellt Schließ-, Verriegelungs- und Sicherheitssysteme der neuesten Art her – von der Produktvision über das schlüssige Konzept bis hin zur Fertigung von Großserien und intelligenten Systemlösungen an, in denen Steuerung, Elektronik und Mechanik perfekt aufeinander abgestimmt sind. 1899 am Stammsitz in Velbert gegründet, begann das Unternehmen zunächst mit der Herstellung von Kofferschlössern, bevor man sich auf die Produktion von Autobeschlägen spezialisierte. Der spätere VW-Käfer war das erste Auto, welches mit einem WITTE-Türgriff durch die Welt fuhr. Aktuell auf Rang 439 im Ranking der größten Familienunternehmen Deutschlands, wird es künftig zu dem Kreis der rund 270 „Umsatzmilliardäre“ unter den deutschen Familienunternehmen gehören. 6.000 Beschäftigte gehören zum Unternehmen, davon 520 am Stammsitz in Velbert und 1.100 in Deutschland insgesamt.
Sie haben jetzt die VAST übernommen. Wie lief die Übernahme ab?
Wir waren ja bereits Gründungsmitglied der VAST Automotive Group und seit 23 Jahren ein aktiver strategischer Gesellschafter. Gemeinsam mit den zwei amerikanischen Partnern ADAC Automotive und STRATTEC bedienten wir unsere Kunden auf der ganzen Welt mit innovativen Lösungen. Wir sind jetzt seit 30.06.2023 alleiniger Eigentümer der VAST Automotive Group einschließlich China, Indien und Japan, ADAC hat die Einheit der VAST in Brasilien und STRATTEC die in Südkorea übernommen.
War das eine Ideallösung, weil Sie sich Integrationsprobleme, wie sie bei üblichen Zukäufen zu bewältigen sind, ersparen konnten?
Durch die neue Verteilung der Eigentumsverhältnisse innerhalb der VAST haben wir nun einen noch besseren Zugang zu unseren Kunden im asiatischen Raum. In der Tat lief die Zusammenarbeit mit unseren Kollegen in Asien bereits seit vielen Jahren sehr erfolgreich und wir freuen uns sehr darüber, diese jetzt noch intensiver gestalten zu können. Wir profitieren gegenseitig von unserem Know-how in allen Bereichen. So entstehen innovative Zugangssysteme für die Fahrzeuge von morgen. In diese gemeinsame Zukunft investieren wir weiter. Wir kooperieren aber weiterhin mit unseren nordamerikanischen Partnern und können so die globalen Bedürfnisse unserer Kunden da, wo sie uns brauchen, erfüllen.
Was sind die größten, ganz praktischen Herausforderungen für den deutschen Mittelstand, wenn er in Auslandsmärkten aktiv ist? Was steht bei Ihnen auf der Management-Agenda?
Da gibt es einige. Zum einen kann die Einhaltung der gesetzlichen und regulatorischen Anforderungen in verschiedenen Ländern komplex sein und erfordert oft lokale Expertise, wie zum Beispiel bei Emissionsstandards und Umweltauflagen. Zum anderen funktionieren die Märkte zum Teil unterschiedlich, auch darauf müssen wir uns einstellen. Nicht zuletzt geht es aber auch darum, die kulturellen Unterschiede zu kennen, zu respektieren und entsprechend zu handeln. All dies ist erfolgsentscheidend.
Was heißt das für das Management? Wie oft sind Sie und Ihr Führungsteam in der Welt unterwegs?
Wir haben tolle Teams vor Ort, auf die wir uns verlassen können. Aber natürlich sind wir auch viel unterwegs und besuchen unsere Standorte. Der persönliche Austausch ist extrem wichtig, um ein besseres Verständnis füreinander zu entwickeln.
Persönliche Frage: In welchem Land bzw. welcher Kultur im Ausland sind Sie am liebsten; mit welchen Menschen arbeitet man besonders gut und gerne?
Das kann ich so gar nicht beantworten. Ich bin grundsätzlich sehr interessiert an anderen Kulturen und finde die Besonderheiten bereichernd. Überrascht hat mich allerdings der Humor und die ausgelassene Stimmung aller Beschäftigten in China bei meinen Informationsveranstaltungen nach der VAST-Übernahme Anfang Juli.
Träumen Sie manchmal schon in Englisch?
Oh ja, tatsächlich tue ich das auf längeren Dienstreisen manchmal. Aber auch ohne Reisen findet zunehmend viel im Tagesgeschäft in der englischen Sprache statt, da der gemeinsame Nenner bei der Kommunikation mit Mitarbeitern, Kunden und anderen Geschäftspartnern meist Englisch ist.
Wie oft bekommen Sie selbst Kaufangebote, und war das in Ihrem Gesellschafterkreis je ein Thema?
Natürlich ist WITTE als bekannter Hersteller hochspezialisierter und erfolgreicher Produkte im Markt bekannt und man trifft auch viele Gesprächspartner. Aber wir sind seit nunmehr fast 125 Jahren ein eigenständiges Familienunternehmen und haben nicht vor, daran etwas zu ändern.
Machen Sie sich Sorgen um den Automobilstandort Deutschland?
Wir Automobilzulieferer sind ja bereits weitestgehend international. Aber es kann einen schon die Sorge umtreiben, dass wir in Deutschland unser einzigartiges automobiles Industrie-Knowhow abbauen, wenn nicht nur die automobile Mobilität selbst, sondern auch die Rahmenbedingungen der Produktion weiter eingeschränkt und erschwert wird. Wir reden hier nicht über eine verzichtbare Nische, sondern über die ganze Breite starker Familienunternehmen mit ihrer entsprechend essenziellen Bedeutung für Arbeitsplätze, für Steuern und für die Heimatstandorte. Diese einzigartige Struktur gilt es, zu erhalten und zu stärken. Ich hoffe, dass das die Politik weiß und in ihren Entscheidungen noch stärker berücksichtigt.
Rainer Gölz, Gesellschafter und Nachfahre des Firmengründers in der vierten Generation, trat 1999 dem Unternehmen bei und ist seit 2001 Geschäftsführer des Automobilzulieferers. Der 53-jährige Familienvater war maßgeblich an der Bildung der globalen strategischen Allianz VAST beteiligt. Er ist bis heute für eine Reihe von Funktionen und Geschäftseinheiten der WITTE-Gruppe verantwortlich.
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