Die Last des Lieferkettengesetzes: Mittelstand soll jetzt auch noch die Welt retten

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Die weltweite Förderung der Menschenrechte ist ein hehres Ziel. Dass hierzu die weitere bürokratische Belastung von Unternehmen mit dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz einen Beitrag leistet, bezweifelt die Wirtschaft. Das Gegenteil könnte eintreten, wenn deutsche Unternehmen weiter an Wettbewerbsfähigkeit verlieren.

Auf Betreiben der FDP-Bundesminister Christian Lindner und Marco Buschmann wird Deutschland der geplanten EU-Lieferkettenrichtlinie nicht zustimmen. Diese hätte das bereits seit 2023 in Deutschland geltende Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) nochmals verschärft. Statt für Unternehmen ab 1.000 Mitarbeitern hätte sie bei Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten und einem weltweiten Umsatz von über 150 Millionen Euro gegriffen.

BDI-Präsident Siegfried Russwurm zieht angesichts der Ergebnisse einer BDI-Umfrage schon für die bestehende deutsche Regelung eine ernüchternde Bilanz: „Der enorme bürokratische Aufwand, den das Gesetz erzeugt, bringt viele Betriebe, insbesondere kleine und mittlere Unternehmen, an den Rand der Verzweiflung. Die Ausweitung des Anwendungsbereichs seit Januar 2024 auf Unternehmen ab 1000 Mitarbeitende erhöht das Konfliktpotential in den Lieferketten und die unverhältnismäßige bürokratische Belastung noch weiter.“ Das Gesetz erschwere die Diversifizierungsbemühungen der deutschen Industrie. Ein Mehr an Resilienz würde so nicht erreicht. Die Politik solle akzeptieren, dass die Einflussmöglichkeiten deutscher Unternehmen jenseits ihrer direkten Vertragspartner begrenzt sind. Sein Fazit: „Aus Unternehmenssicht ist das LkSG kein Gütesiegel, das Gesetz vielmehr ein geopolitisches Eigentor. Gut gemeint ist nicht gleich gut gemacht.“

Für Marie-Christine Ostermann, Präsidentin der Familienunternehmer, ist der Stopp der EU-Verschärfung angesichts der Rezession ein notwendiger Schritt. Die Korrektur der ursprünglichen Fehlentscheidung sei „aktiver Bürokratieabbau“. „Der grundlegende Ansatz der Lieferkettenrichtlinie, dass europäische Mittelständler strafbewehrt hunderttausendfach dieselben Informationen über weltweite Zulieferer beschaffen, überprüfen und vorhalten müssen, ist und bleibt regulatorischer Wahnsinn“, so Ostermann. Ohne jedes Wenn und Aber sei die weltweite Förderung der Menschenrechte wichtig und richtig. „Dies kann aber nachhaltig nur erfolgen, wenn dabei die Wirtschaft in Europa nicht durch ein praxisfernes EU-Bürokratiemonster aus schwierigen Ländern vertrieben wird, weil sie wegen der heimischen Bürokratiekosten regelmäßig weitaus weniger menschenrechtsachtenden Wettbewerbern unterliegt.“

Von einem „unsägliches Bürokratiemonster“ spricht auch Wolfgang Steiger, Generalsekretär des Wirtschaftsrates: „Die europäische Sorgfaltspflichtenrichtlinie konfrontiert Unternehmen in der gesamten Wertschöpfungskette – und damit auch KMU in der Zulieferung – mit unkalkulierbaren Haftungsrisiken, Rechtsunsicherheit und immenser Bürokratie.“ Die Politik versuche mit der Richtlinie Unternehmen für etwas in die Pflicht zu nehmen, wozu sie gar keine Verantwortung tragen könnten. Steiger warnt: „Wer glaubt denn ernsthaft, dass wir als Kunden in Europa für Lieferanten weltweit etwa bei wichtigen und seltenen Rohstoffen alternativlos sind? Wenn globale Geschäftsbeziehungen durch kleinteiligste Dokumentation und komplizierte Auflagen belastet werden, steht heute immer China als Partner bereit.“

Auch für Dr. Dirk Jandura, Präsident des Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen ist die geplante Europäische Lieferkettenrichtlinie „ein echtes Konjunkturprogramm für alle außereuropäischen Konkurrenten“ und „für die Außenhandelsnation Deutschland ein absoluter Tiefpunkt“. „Mittelständische Unternehmen sollen 23 Umwelt- und Menschenrechtsübereinkommen, 29 Menschenrechtskonventionen und -erklärungen, sowie 15 Umwelt- und Klimaschutzkonventionen einhalten und ihre sämtlichen Produkte überwachen. Wer soll das noch leisten? Am Ende droht bei Versäumnissen die zivilrechtliche Haftung. So regulieren wir uns selbst aus dem Wettbewerb“, so Jandura.

Professor Dr. Hermann Simon, renommierter Experte für Weltmärkte, hält das Lieferkettengesetz ebenfalls für ein unsinniges Bürokratiemonster und illustriert dies mit einem Aufsatz aus dem Jahre 1920 von Professor Wilhelm Launhardt, Volkswirten vielleicht noch bekannt durch den „Launhardtschen Trichter“. Dieser beschreibt bis ins letzte Detail die Lieferkette für einen Regenschirm einer Hamburger Firma und braucht dafür sechs Seiten. „Für ein einfaches Produkt wie einen Regenschirm – sechs Seiten. Apple hat allein in Deutschland 767 Zulieferer, wie sieht da die Lieferkette aus?“, so Professor Simon.

Aus einer ganz anderen Perspektive betrachtet Professor Dr. Dr. Dr. Franz Josef Radermacher, Mitglied des Club of Rome, das Thema. Er sieht mit dem Versuch, über die Unternehmen hiesige Standards auf Partner in anderen Weltregionen zu oktroyieren, eine Verletzung der Entwicklungsmöglichkeiten ärmerer Länder und der Logik der Welthandelsordnung, wie er anlässlich seiner Rede beim Festakt Innovator des Jahres ausführte. „Wir erleben eine zunehmende Spaltung zwischen dem Süden und reichen Welt. In fast allen Fragen ist die Sicht auf die Probleme in den ärmerer Länder eine völlig andere. Wir haben in der reichen Welt eine gewissen Tendenz, die Dinge so darzustellen, dass wir die Guten sind“, so Radermacher.

BDI-Präsident Russwurm hat Vorschläge parat, wie das beabsichtigte Ziel besser erreicht werden könne, als durch weitere Bürokratielasten für die Unternehmen: Wirksamer wäre aus seiner Sicht ein strategischerer Einsatz der Entwicklungszusammenarbeit, um Standards in der Lieferkette deutscher Unternehmen zu erhöhen. Doppelte Berichtspflichten müssten ausgeschlossen werden. Eine Positivliste von Ländern, in denen die Erfüllung der Anforderungen staatlicherseits sichergestellt ist, solle erstellt werden. Und Brancheninitiativen anerkannt werden.

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Bild oben: Brigitte Werner from Pixabay

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