Weltreise eines Kapitalisten: Zürich, Schweiz

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Viele Menschen träumen von einer Weltreise. Ich habe eine Weltreise in 30 Länder gemacht: Meine »Liberty Journey«, immer der Freiheit auf der Spur. Mein erstes Ziel: Zürich, Schweiz. / Neue Reihe: Weltreise eines Kapitalisten

Von Dr. Dr. Rainer Zitelmann

Die Schweiz ist ein guter Ausgangspunkt für meinen Liberty Road Trip, denn im Index der wirtschaftlichen Freiheit steht sie auf Platz zwei von 176 Ländern, nur 0,1 Punkte hinter dem Spitzenreiter Singapur. Das Land hat Spitzenwerte in den Kategorien »Property Rights«, »Judicial Effectiveness«, »Fiscal Health« und »Government Integrity«. Das Gesamtergebnis wäre noch besser, wenn der Staat nicht zu viel Geld ausgeben würde und es weniger staatliche Regulierung im Arbeitsmarkt gäbe.

Dennoch: Die Schweiz ist das kapitalistischste Land der Welt. In der Schweiz lässt es sich gut leben. Eine Freundin von mir, Jenna, wohnt seit vielen Jahren in dem Land. Sie möchte auf keinen Fall mehr nach Deutschland zurück. Ich war mit ihr vor 13 Jahren fest zusammen.

Der Historiker und Soziologe Rainer Zitelmann hat 30 Länder auf vier Kontinenten bereist. Sein Buch lässt die Leser die Länder gründlicher erfahren, als es jede touristische Visite vermag. Vorgestellt werden die Gesellschaften und ihre Hintergründe, die Nationen mit ihrer Geschichte und ihrer Zukunft. Aus der Perspektive eines intellektuellen Freiheitsfreundes wird gezeigt, wie Armut und Reichtum entstehen. Bestellinfos

Hohe Lebenshaltungskosten

Damals war sie 25 Jahre alt und leitet heute die Kommunikationsabteilung einer der renommiertesten Luxusmarken der Welt in Zürich. Warum sie es in der Schweiz so toll findet? Einer der Gründe ist, dass sie hier fast drei Mal so viel verdient wie ihre Kollegen in Deutschland und dazu noch weniger Steuern zahlt. Sie bekommt hier etwa 10.000 Franken im Monat. »Natürlich sind auch die Lebenshaltungskosten höher, aber eben nicht drei Mal so hoch. Und die Steuern sind viel niedriger.«

Hohe Lebenshaltungskosten? Das bestätigt mir eine andere Bekannte, mit der wir am Vorabend Essen waren. Sie ist Arzthelferin, kommt aus Syrien und hat früher in Berlin gewohnt. Sie sagt, dass sie 5.800 Franken verdient – allerdings zahlt sie auch 1.400 Franken für eine winzige, 20 Quadratmeter große Wohnung.

Bevor ich mit meinem Vortrag starte, hält Olivier Kessler, der Leiter des Liberalen Instituts, ein kurzes Eingangsstatement, in dem er erklärt, warum die Schweiz gerade kein kapitalistisches, sondern ein halbsozialistisches Land sei. Er verweist auf die zahlreichen Regulierungen und Beschränkungen, die dem Geist der Marktwirtschaft widersprechen. Der Kapitalismus, so seine Argumentation, sei ein System, in dem die einzige Aufgabe des Staates darin bestehe, das Privateigentum zu schützen. Es herrsche unbeschränkte Vertragsfreiheit auf unbehinderten Märkten. Angesichts zahlreicher Staatseingriffe sei all dies in der Schweiz nicht der Fall. Seine Folgerung: »Wir leben in der Schweiz nicht im Kapitalismus.«

Fast alle seine Kritikpunkte teile ich. Aber den reinen Kapitalismus gibt es in keinem Land auf der Welt, und immerhin ist die Schweiz kapitalistischer als fast alle anderen Staaten. Ich selbst messe ein Land nicht in erster Linie an einem Ideal, sondern an anderen Ländern.

Der Sozialismus ist wieder zurück

Nach dem Vortrag kommt ein Schweizer Ökonom, Hans Rentsch, auf mich zu und drückt mir ein Buch in die Hand: »Wie viel Markt verträgt die Schweiz?« Es ist ein skeptisches Buch, denn es zeigt, dass die schweizerische Politik in den vergangenen Jahrzehnten auf nationaler Ebene kaum je aus eigener Initiative marktwirtschaftliche Reformen angestoßen hat. Skeptisch sieht Rentsch auch die oft gelobte »direkte Demokratie« der Eidgenossen. Die Schweiz ist bei Anhängern der direkten Demokratie sehr beliebt, weil die Bürger über viele Themen direkt abstimmen. Oft erweisen sich die Schweizer dabei als klug, aber Rentsch führt auf vielen Seiten eine Menge Beispiele dafür an, dass seine Landsleute gegen mehr Marktwirtschaft und für mehr staatliche Beschränkungen der Freiheit gestimmt hätten, ob das nun die Liberalisierung des Strommarktes oder das Gesundheitswesen betrifft.

Positiv sieht er dagegen den Wettbewerb der einzelnen Gemeinden und Kantone in der Schweiz, der viel Gutes bewirkt habe. Viele Bekannte von mir sind Anhänger der »direkten Demokratie«. Sie wollen, dass das Volk selbst unmittelbar entscheidet. Ich war da schon immer skeptisch, wobei ich zugeben muss, dass die Entscheidungen der gewählten Parlamentarier, zum Beispiel in Deutschland, auch nicht besser sind als die des Volkes. Aber die Deutschen sind anders als die Schweizer. 56 Prozent der Berliner haben 2021 für eine Enteignung großer Immobilienunternehmen gestimmt. Der Sozialismus ist wieder zurück. Auch in Deutschland.

Meine Begleitung Isabelle ist auf Anhieb begeistert von der Schweiz, zumal alles hier sehr sauber ist und man sich sicher fühlt, auch wenn man nachts auf der Straße geht. Die Menschen sind viel gepflegter gekleidet als in Berlin.

Im weltweiten Vergleich des Verhältnisses der Bürger zum Kapitalismus liegt die Schweiz nur im Mittelfeld (Studie: Allensbach Institute/ Ipsos MORI / Indochina Research / FACTS Research & Analytics / Research World International Ltd. für Rainer Zitelmann)

Am Tag nach meinem Vortrag fahren wir nach Zug. Wir besuchen Hans-Peter Wild, der wie so viele aus Deutschland stammende Milliardäre in der Schweiz lebt. Wild ist Inhaber von Capri-Sun, einer der weltweit führenden Marken für nicht-alkoholische Getränke. Zug ist besonders beliebt, weil es als kleines Steuerparadies gilt. Hier haben renommierte und innovative Unternehmen ihr Domizil oder größere Niederlassungen – etwa der Lebensmittelkonzern Nestlé, Unternehmen in den Bereichen Biotechnologie und Handel oder auch viele Start-ups, die als »Crypto-Valley« der Schweiz an neuen Technologien arbeiten. Der Spitzensteuersatz des Kantons Zug liegt im Durchschnitt bei rund 23 Prozent – ein Traum für Steuerpflichtige in vielen anderen Ländern wie etwa Deutschland.

Wild ist heute 80 Jahre alt und hat gerade seine Autobiografie geschrieben. Ich habe sie als erster gelesen, weil ich das Vorwort schreiben sollte. Besonders fasziniert hat mich, dass er durch die ganze Welt gereist ist, weil sein Unternehmen weltweit aufgestellt ist.  In seinem Büro steht ein riesiger Globus – ein Mann wie Wild, auch wenn er in einer Kleinstadt mit 30.000 Einwohnern wohnt, denkt global. »Mein Ziel war es von Anfang an, Capri-Sonne und WILD-Flavors zu Global Players zu machen. Man muss sich Ziele setzen und darf sie, trotz mancher Unwägbarkeiten auf der Strecke, nicht aus den Augen verlieren«, so Wild unter Nennung des zweiten von ihm aufgebauten Weltunternehmens, des Aromen-Herstellers WILD Flavors Inc.

Wird die Schweiz dauerhaft ihren tollen Spitzenplatz behalten?

Wie sieht die wirtschaftliche Zukunft der Schweiz aus? Für mein Buch »Die 10 Irrtümer der Antikapitalisten« hatte ich 2021 eine Befragung in der Schweiz durchführen lassen. Das Ergebnis war, dass die Menschen in der als kapitalistisch geltenden Schweiz dem Kapitalismus ähnlich skeptisch gegenüberstehen wie in Deutschland. Die größte Zustimmung bei der Umfrage unter den Eidgenossen fanden die Aussagen, Kapitalismus führe zu steigender Ungleichheit und zu Monopolen, fördere Egoismus und Profitgier, die Reichen bestimmten die Politik und die Menschen würden zum Kauf von Produkten animiert, die sie gar nicht brauchten. Nur 21 Prozent der Schweizer sagten in der Umfrage, Kapitalismus bedeute wirtschaftliche Freiheit, und ebenfalls nur 21 Prozent befanden, Kapitalismus führe zu Wohlstand.

Das Beispiel der Schweiz zeigt, dass es zwischen dem objektiven Stand der wirtschaftlichen Freiheit (wie er im Index of Economic Freedom gemessen wird) und der Einstellung der Menschen (die Ipsos MORI in der Umfrage ermittelt hatte) nicht unbedingt einen Zusammenhang gibt.

Aber was heißt es für die Zukunft, wenn die Menschen in einem Land wie der Schweiz dem Kapitalismus skeptisch gegenüberstehen? Volksabstimmungen könnten künftig häufiger anti-marktwirtschaftlich ausfallen als in der Vergangenheit. Dies hatte ich schon direkt nach der Umfrage von Ipsos MORI vorhergesagt, und leider wurde diese pessimistische Prognose schon bald darauf bestätigt: Im März 2024 stimmten 58 Prozent der Schweizer für einen Vorschlag der Gewerkschaften, wonach der Staat den Rentnern ein 13. Monatsgehalt zahlen muss. Das Referendum wurde von linken Parteien unterstützt.

Die Frage stellt sich: Wird die Schweiz dauerhaft ihren tollen Spitzenplatz im Ranking der wirtschaftlichen Freiheit behalten?

Mehr von Dr. Dr. Rainer Zitelmann:

Dr. Dr. Rainer Zitelmann ist Historiker und Soziologe – und war auch als Unternehmer und Investor erfolgreich. Er hat 29 Bücher geschrieben und herausgegeben, die in über 30 Sprachen übersetzt wurden (zuletzt „Weltreise eines Kapitalisten„, „Der Aufstieg des Drachen und des weißen Adlers: Wie Nationen der Armut entkommen„, „Die 10 Irrtümer der Antikapitalisten„). In den vergangenen Jahren schrieb er Artikel oder gab Interviews in führenden Medien wie Wall Street Journal, Times, Le Monde oder Corriere della Sera. Seit kurzem kann auch eine Master-Class „Finanzielle Freiheit – Schluss mit der Durchschnittsexistenz“ belegt werden. Bei dem vorliegenden Beitrag handelt sich hier um einen von der Redaktion stark gekürzten Auszug aus Rainer Zitelmanns neuestem Buch, das insgesamt 41 Kapitel enthält.

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