
Wachstumswende: Wie es auch diesmal sein muss
Neue Reihe Deutschland im Aufbruch / Aufschwung ist möglich – erforderlich sind aber strukturelle Reformen und bessere Rahmenbedingungen für Betriebe und Beschäftigte. Das haben die beiden großen bisherigen Stagnationskrisen in der Geschichte der Bundesrepublik gezeigt.
Die wirtschaftliche Lage lässt sich nicht mehr schönreden. Die Zeit des politischen Handelns ist gekommen. Was ist jetzt zu tun, damit Deutschland auch in Zukunft handlungsfähig bleibt und seine Wirtschaft stark und dynamisch? Im Vorfeld der Bundestagswahl bringt DDW mit seiner Reihe “Deutschland im Aufbruch” Fahrpläne für die Fahrt Richtung Wohlstand. (Red.)
von Prof. Dr. Dr. h.c. Karl-Heinz Paqué
Während sich andere Industrienationen seit 2020 zügig von Corona erholt haben, stagniert bzw. schrumpft Deutschland. Es geht dabei nicht um ein Luxusproblem. Zugegeben, Deutschland ist im internationalen Vergleich noch immer ein wohlhabendes Land, aber es genügen nur zwei Jahrzehnte einer schwachen Wirtschaftsdynamik, um dramatisch an Boden zu verlieren – im Vergleich zu den Wettbewerbern auf den Weltmärkten. So sorgt ein Abstand zur Konkurrenz von gerade mal zwei Prozentpunkten in der jährlichen Wachstumsrate nach 20 Jahren im Ausland für ein Niveau der Wertschöpfung und Pro-Kopf-Einkommen, das um die Hälfte höher liegt als im Inland. Schnell kann dann ein Teufelskreis entstehen: Junge qualifizierte Arbeitskräfte wandern ab, innovative Unternehmen suchen sich neue boomende Standorte außerhalb des Landes, neues technisches Wissen entsteht anderswo.
“Historische Augenblicke von überragender Bedeutung”
Noch ist dies ein düsteres Zukunftsszenario, aber es kann Wirklichkeit werden, wenn nicht gegengesteuert wird. Auch die Demokratie kann durch wirtschaftliche Stagnation und Schrumpfung in Gefahr geraten: Lässt sich der eigene Wohlstand nur mehr dadurch erhöhen, dass man anderen etwas wegnimmt, verschärfen sich die Verteilungskonflikte in einem zunehmend giftigen politischen Klima. Der Aufstieg des Rechtspopulismus ist in dieser Hinsicht wie ein Wetterleuchten: Ob berechtig oder nicht, viele Menschen fühlen sich „abgehängt“, also nicht mehr Teil eines optimistischen Zeitgeists, der ihnen positive Lebenschancen und -perspektiven bietet.
Wie bisherige Stagnationskrisen in der Bundesrepublik bewältigt wurden

Krisen der wirtschaftlichen Stagnation hat es in der Geschichte der Bundesrepublik bisher eigentlich nur zwei Mal gegeben: Nach dem Wachstumsschub der bei den Nachkriegsjahrzehnte kamen in den siebziger und frühen achtziger Jahren die beiden Ölkrisen – mit hoher Arbeitslosigkeit, Haushaltsdefiziten, Inflation und Rezession; und um die Jahrtausendwende – nach Auslaufen des Booms der deutschen Vereinigung – wurde Deutschland der „kranke Mann Europas“ (The Economist), mit Stagnation und steigender Arbeitslosigkeit. Beide Male kam es nach langem Zögern zu tiefgreifenden Reformen: in den achtziger Jahren zu einer Wende zur Wachstumspolitik mit fiskalischer Konsolidierung, in den 2000er Jahren zu den sogenannten Hartz-IV-Reformen am Arbeitsmarkt und im Sozialstaat. Beide Male – 1983 und 2005 – kam es auch zu vorzeitigen Neuwahlen und einem Wahlkampf, der stark von wirtschaftlichen Themen dominiert war. Beide Male erwies sich Deutschland als reformfähig und kehrte nach politischen Turbulenzen zu einem Wachstumskurs zurück. Es sind historische Augenblicke von überragender Bedeutung, auch für die Zukunft der Demokratie. Nur wenn sich das Establishment der demokratischen Parteien als lernfähig erweist, gibt es eine Chance der Rückkehr zur wirtschaftlichen Dynamik mit politischer Stabilität.
So muss es auch diesmal sein. Dafür braucht es aber ein wirtschafts- und finanzpolitisches Programm, das eine Perspektive schafft. Im Jahr 1982 war dies das legendäre „Lambsdorff-Papier“ der FDP, das mit einer gewissen konsequenten Radikalität die Rückkehr zu einem Ordnungsrahmen verlangte, in dem sich private Investitionen und Innovationen lohnten – bei gleichzeitiger Sanierung des Haushalts. Es war gewissermaßen der „Weckruf“ zurück zur sozialen Marktwirtschaft, die mehr als 30 Jahre zuvor den Grundstein für den wirtschaftlichen Wiederaufstieg Deutschlands und die Stabilisierung seiner jungen Demokratie gewährleistet hatte.
Wie kann wieder echtes Wirtschaftswachstum entstehen? Das diskutierten auch auf dem Zukunfts-Dialog der Friedrich-Naumann-Stiftung am 9.1.2025 in Gelsenkirchen Dr. Marco Buschmann MdB mit Wachstumsexperte Prof. Dr. Guido Quelle und Paul Weinzierl, Geschäftsleiter und Prokurist bei der 02elf travel GmbH und Co. KG. Buschmann skizzierte dort seine Ideen einer liberalen Wirtschaftsagenda. (Eventbild: Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit
Heute – mehr als vier Jahrzehnte später – ist die Situation ähnlich, vielleicht sogar noch deutlich dramatischer, weil heute die Wachstumsflaute der deutschen Wirtschaft sich im Vergleich zu anderen Industrienationen noch viel stärker abzeichnet. Diesmal hat der FDP-Parteivorsitzende Christian Lindner mit seinem Papier „Wirtschaftswende Deutschland – Konzept für Wachstum und Generationengerechtigkeit“ eine Diagnose der Lage vorgelegt, die an Klarheit nichts zu wünschen übriglässt. Auffallend dabei, dass die Resonanz in Kreisen der Wirtschaft und Wissenschaft überaus positiv war, vielleicht noch uneingeschränkter positiv, als dies seinerzeit bei Lambsdorff der Fall war. Auch dies liegt wohl am internationalen Vergleich, der heutzutage noch viel verheerender für Deutschland ausfällt als Anfang der achtziger Jahre.
“Heute stehen wir wirklich an einer Wegegabelung der Geschichte”
„It’s the economy, stupid!“ Dieser Satz, geprägt 1992 im Präsidentschaftswahlkampf des Teams von Bill Clinton, ist längst zu einem geflügelten Wort in Kampagnen geworden. Er trifft zur Bundestagswahl in Deutschland 2025 mehr denn je zu, und zwar in einem viel ernsteren und tieferen Sinn, als er damals von den demokratischen Protagonisten in den Vereinigten Staaten gemeint war. Heute stehen wir wirklich an einer Wegegabelung der Geschichte: Entweder Deutschland findet durch kluge Politik mit seiner Wirtschaft zurück auf einen dynamischen Kurs des Wachstums oder es landet in der ökonomischen Mittelmäßigkeit, die auf Dauer sogar zu einer Gefahr für die Stabilität der Demokratie werden könnte. Dabei geht es nicht nur um Deutschland, sondern auch um Europa. Gewählt wird immerhin in der bevölkerungsreichsten Nation der Europäischen Union, gelegen in der Mitte Europas mit Landgrenzen zu neun (!) Nachbarnationen, tief integriert in die europäische Wirtschaft, den Welthandel und die internationalen Kapitalmärkte, das Ankerland der Währungsstabilität in der Eurozone und die geopolitisch gewichtigste Nation des Kontinents mit Blick auf die Sicherheitslage in Mittel- und Osteuropa nach der „Zeitenwende“ durch Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine.
Eine echte Renaissance der Angebotspolitik
Nur mit einer Wirtschaft, die wieder dynamisch wächst, wird Deutschland all die anstehenden Aufgaben bewältigen können – bis hin zu der überragenden sicherheits- und geopolitischen Herausforderung, die mit einem Rückzug des neuen amerikanischen Präsidenten Donald Trump aus der Hilfe für die Ukraine verbunden sein könnte. Es geht um sehr viel: „It’s the economy, stupid!“ Prof. Justus Haucap zeigt in seinem Policy Paper „So geht Aufschwung: Impulse für eine liberale Wachstumsagenda“ für die Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit, was in der aktuellen Situation aus ökonomischer Sicht geboten ist, um die wirtschaftliche Lage in Deutschland zu verbessern. Er fordert eine echte Renaissance der Angebotspolitik – mit Strukturreformen, Steuererleichterungen und Bürokratieabbau auf allen Ebenen. Nur wenn Deutschland seine Standortbedingungen signifikant verbessert, kann unser Land wieder auf seinen einstigen Wachstumspfad zurückkehren.
In seinem Policy-Paper “So geht Aufschwung – Impulse für eine liberale Wachstumsagenda” legt Prof. Justus Haucap, Direktor des Düsseldorfer Instituts für Wettbewerbsökonomie, dar, was aus ökonomischer Sicht zu tun und zu unterlassen ist, um die wirtschaftliche Lage in Deutschland wieder zu verbessern. Bei dem hier abgedruckten Beitrag handelt es sich um das Vorwort zu dem Policy-Paper.
>>> zum Download des Policy-Paper
Karl-Heinz Paqué ist Vorsitzenden des Vorstandes der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit. Er studierte Volkswirtschaftslehre in Saarbrücken und Kiel sowie an der University of British Columbia. Er war danach wissenschaftlicher Direktor und Professor am Institut für Weltwirtschaft in Kiel und nach seiner Habilitation den Lehrstuhl für Volkswirtschaftslehre an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg, den er bis heute innehat. Von 2002 bis 2006 war er Finanzminister des Landes Magdeburg, anschließend dortiger FDP-
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