„Der Staat ist überall stark, wo er schwach sein sollte und überall schwach, wo er stark sein sollte“

Keine Kommentare Lesezeit:

Reihe Deutschland im Aufbruch / Die krisenhafte Situation Deutschlands ist hinlänglich beschrieben. Doch was sind die tieferliegenden Gründe – und Grundlagen für einen notwendigen Wandel? Der Historiker und Soziologe Dr. Dr. Rainer Zitelmann im Interview mit Michael Oelmann.

Die wirtschaftliche Lage lässt sich nicht mehr schönreden. Die Zeit des politischen Handelns ist gekommen. Was ist jetzt zu tun, damit Deutschland auch in Zukunft handlungsfähig bleibt und seine Wirtschaft stark und dynamisch? Im Vorfeld der Bundestagswahl bringt DDW mit seiner Reihe „Deutschland im Aufbruch“ Fahrpläne für die Fahrt Richtung Wohlstand.(Red.)
> Folge 1: Wachstumswende: Wie es auch diesmal sein muss 

Die dramatische Lage Deutschlands, insbesondere hinsichtlich der Wirtschaft, ist hinlänglich bekannt. Wie konnte es soweit kommen?

Dr. Dr. Rainer Zitelmann: Ludwig Erhards Marktwirtschaft hat Deutschland erfolgreich gemacht. Leider vergessen Nationen immer wieder nach einiger Zeit, was sie erfolgreich machte und Umverteiler gewinnen die Oberhand. Deutschland wurde Ende der 90er Jahre schon einmal Europas kranker Mann, aber durch Gerhard Schröders Reformen – massive Steuersenkungen und Deregulierung des Arbeitsmarktes – kam die Wirtschaft wieder auf Wachstumskurs. Leider ruhte sich Angela Merkel nicht nur darauf aus, sondern ging Stück für Stück wieder in Richtung mehr Staat und weniger Markt. So hat sie z.B. die Energiewirtschaft sukzessive in eine Planwirtschaft verwandelt, auch im Automobilbereich haben Merkel und von der Leyen damit begonnen. Und Planwirtschaft hat noch niemals funktioniert. Wir sehen das ja jetzt in der Energiewirtschaft und der Autoindustrie. Nach Merkel wäre eine 180-Grad-Wende nötig gewesen, aber Robert Habeck hat den Kurs Richtung Planwirtschaft sogar noch beschleunigt.

Oftmals wird als Krisengrund das Scheitern des „Geschäftsmodells Deutschland“ wegen der technologischen und weltpolitischen Veränderungen genannt. In Ihren Studien und Büchern zeigen Sie, dass eines der wichtigsten Kennzeichen erfolgreicher Unternehmer darin liegt, Fehler oder Gründe für Misserfolg nie in äußeren Faktoren zu suchen, sondern bei sich. Auf Deutschland bezogen: Warum konnten und können wir auf die unbestreitbar existierenden Herausforderungen keine Antworten finden?

Weil unser Land auch geistig desorientiert ist. Das Gift des Etatismus ist in den Köpfen. Die Unternehmer haben versagt, den Menschen zu erklären, warum Unternehmertum und Marktwirtschaft so wichtig sind. Während sie sich zu 100 Prozent auf ihre wirtschaftliche Tätigkeit konzentrierten, haben sich die Antikapitalisten darauf konzentriert, das Denken der Menschen zu beeinflussen – in Universitäten, Schulen oder Medien. Das sind Leute, die fast stets vom Steuergeld leben oder von Zwangsgebühren wie beim ÖRR. Und die den ganzen Tag nichts anderen machen, als Ideologie zu produzieren und zu verbreiten.

Sie meinen, in den Schulen fängt es an?

Die Friedrich-Naumann-Stiftung sowie die Verbände Familienunternehmer und Junge Unternehmer haben 40 Schulbücher der Fächergruppen Wirtschaft, Politik, Sozialwissenschaften, Wirtschaft, Geschichte und Geografie untersuchen lassen. Die Studie war sehr aufwändig und erfolgte mit Methoden der quantitativen Inhaltsanalyse. Das Ergebnis: Unternehmerisches Denken und Unternehmerpersönlichkeiten kommen nur am Rande vor. Dies gilt jedoch nicht für den Staat: Er tritt in den Büchern als universeller und häufig als paternalistischer Problemlöser auf. Insgesamt, so die Autoren über die Schulbücher der Fachgruppe Wirtschaft-Politik, „finden wir ein sehr begrenztes, teilweise Karikatur ähnliches Zerrbild von Unternehmern“.

Was für ein Zerrbild wird dort gezeichnet?

Für Schulbücher der Fächergruppe Geschichte beispielsweise gilt, dass die Darstellung von historischen Unternehmern „primär der Darstellung von Missständen dient, die angeblich durch den ‚freien Wettbewerb’ sowie die zweifelhaften Charaktereigenschaften der Unternehmer“ entstanden seien. Technischer Fortschritt? Er fällt häufig vom Himmel, erzeugt vor allem Probleme, die dann natürlich vom Staat gelöst werden müssen. Moderne Aspekte der ökonomischen Globalisierung würden zum Teil monokausal und einseitig negativ dargestellt, wenn Themen wie Lohndumping und Klimawandel im Vordergrund stehen. Wenn die Schüler in den Schulen so einen Mist lernen, kein Wunder, dass die meisten Menschen total verquaste Vorstellungen von Wirtschaft haben.

Haben wir aus Ihrer Sicht den Tiefpunkt der wirtschaftlichen Krise schon erreicht?

Auf keinen Fall. Schlimmer geht immer. Ich sehe kaum eine Chance auf Besserung, denn eine neue Regierung müsste ja die Energie- und Mobilitätswende für beendet erklären und radikal den Wohlfahrtsstaat reformieren. Das wird Friedrich Merz nicht machen, zumal er vermutlich mit SPD und GRÜNEN koalieren wird. Eine gewisse Chance wäre eine Minderheitsregierung aus Union und FDP, die mit wechselnden Mehrheiten regiert. Beispielsweise in der Russland-Ukraine-Politik gemeinsam mit den Grünen, in der Migrations- und Klimapolitik mit der AfD. Aber das sehe ich leider nicht, dass so etwas jetzt kommt.

„Wenn sich ein Mensch ändern will, muss er zuerst sein Denken ändern. Aber das gilt nicht nur für das Individuum, sondern auch für ein Land“

Was wäre der Weg heraus aus der Krise?

Kurzfristig sehe ich keine Lösung. In meinem Buch WOHIN TREIBT UNSERE REPUBLIK habe ich gezeigt, wie die ganze negative Entwicklung schon in den 60er Jahren begann, im geistigen Bereich, an den Unis. Wenn sich ein Mensch ändern will, muss er zuerst sein Denken ändern. Aber das gilt nicht nur für das Individuum, sondern auch für ein Land. Bevor beispielsweise Milei in Argentinien gewählt wurde, haben erstmal libertäre Thinktanks über viele Jahre daran gearbeitet, das Denken der Menschen zu ändern.

Sehen Sie diesen anderen Typus von Politikern wie Milei auch bei uns?

Politiker finden sich schon, wenn das Denken sich erstmal geändert hat. Im Zweifel kann das dann auch ein Schauspieler sein wie Ronald Reagan, für mich einer der besten Politiker im vergangenen Jahrhundert. Oder vielleicht ein Charismatiker mit der Kettensäge wie in Argentinien oder eine Eiserne Lady wie in den 80er Jahren in Großbritannien.

Wie kann ein solche „geistige Wende“ erzeugt werden?

Ich war in 20 Monaten in 30 Ländern und habe dort mit liberalen und libertären Thinktanks gesprochen. Die gibt es kaum in unserem Land. Ich selbst bin ja so etwas wie ein 1-Mann-Thinktank, aber für solche Aktivitäten braucht man natürlich mehr Leute und auch Geld. Wir brauchen solche Thinktanks auch in Deutschland und ich suche nach wie vor nach Unterstützern aus dem Unternehmerlager.

„Als Historiker weiß ich: Manchmal gehen Änderungen sehr, sehr schnell, in wenigen Wochen“

Das hört sich nach einem langfristigen Prozess an. Für die kommende Bundestagswahl sehen Sie noch wenig Hoffnung?

Ich denke immer langfristig. Schon bei meinen Investments hatte ich stets einen Zeithorizont von 10 Jahren plus. Gold beispielsweise habe ich vor 21 Jahren gekauft als das Kilo 10.000 bis 14.000 Euro kostete. Jetzt erst zahlt es sich richtig aus, der Preis liegt jetzt bei 84.000 Euro. Manche Menschen verstehen unter „langfristig“ so etwas wie sechs Monate. Ich trainiere seit 47 Jahren Kraftsport, halte manche Immobilien in Berlin seit 25 bis 30 Jahren. Jetzt sage ich nicht, dass Änderungen in Deutschland ebenso lang dauern werden. Ich verstehe die Ungeduld der Menschen. Ich selbst bin auch ungeduldig. Aber als Historiker weiß ich: Manchmal gehen Änderungen sehr, sehr schnell, in wenigen Wochen. Aber das sind dann nur Ergebnisse von vorangegangenen Prozessen, die Jahre oder Jahrzehnte gedauert haben. Fragen Sie mal die Thinktanks in Argentinien, wie lange sie das vorbereitet haben, was dann mit Milei einen Höhepunkt fand. Bauern wissen, dass sie erst den Boden bereiten und säen müssen, bevor sie ernten können. Heute denken die Menschen oft zu kurzfristig.

Wie müsste von einer neuen politischen Kraft vorgegangen werden?

Was man tun muss, ist sonnenklar: Steuern massiv senken, am besten eine Flattax von 15 Prozent. Energie- und Mobilitätswende beenden. Entwicklungshilfe komplett streichen – die nützt auch den Menschen in den armen Ländern nichts. Deregulieren, das bürokratische Dickicht ausmisten. Es gibt in Deutschland z.B. 25.000 Bauvorschriften. Wie wäre es, alle außer 100 abzuschaffen? Das sind immer noch eine Menge. Dann muss Deutschland massiv aufrüsten, denn Merkel hat auch die Bundeswehr zerstört. Der Staat muss sich wieder auf seine Kernaufgaben fokussieren, also auf äußere und innere Sicherheit. Das Problem bei uns: Der Staat ist überall stark, wo er schwach sein sollte, also in der Wirtschaft oder bei der Meinungsbildung. Und er ist überall schwach, wo er stark sein müsste, also in der inneren und äußeren Sicherheit.

Könnten Beispiele wie Milei und Musk quasi als externe Katalysatoren auch auf Deutschland wirken, weil sie neue globale Benchmarks effizienter Staatsorganisation setzen, die auch unsere politische Klasse unter Druck setzt?

Milei hat Signale ausgesendet, die hoffentlich auch bei uns dazu beitragen werden, dass mehr Menschen erkennen: „Kapitalismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung“ – ein Titel eines Buches von mir, das Milei übrigens auch gelesen hat.

Mehr zum Thema:

Dr. Dr. Rainer Zitelmann ist Historiker und Soziologe – und war auch als Unternehmer und Investor erfolgreich. Er hat 29 Bücher geschrieben und herausgegeben, die in über 30 Sprachen übersetzt wurden (zuletzt „Weltreise eines Kapitalisten„, „Der Aufstieg des Drachen und des weißen Adlers: Wie Nationen der Armut entkommen„, „Die 10 Irrtümer der Antikapitalisten„). In den vergangenen Jahren schrieb er Artikel oder gab Interviews in führenden Medien wie Wall Street Journal, Times, Le Monde oder Corriere della Sera. Seit kurzem kann auch eine Master-Class „Finanzielle Freiheit – Schluss mit der Durchschnittsexistenz“ belegt werden.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Language