Führung braucht Integrität und Empathie

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Reihe Führungshappen / „Unternehmenslenker brauchen Authentizität und ein Gespür für emotionale und soziale Kompetenzen“ – das sagt Birgit Kersten-Regenstein, die Führungskräfte seit fast 20 Jahren in ihrer Kompetenzentwicklung begleitet und Menschen unterstützt, ihre Resilienz, ihre innere Unabhängigkeit und ihre Integrität zu stärken.

Führungskräfte tragen immer mehr Verantwortung – nicht nur für ihr eigenes Team und Unternehmen, sondern auch für gesamtgesellschaftliche Themen wie Diversität, Nachhaltigkeit und Zukunftsfähigkeit. Es wäre so schön, wenn es ein Rezept gäbe, nach dem jede Führungskraft und jeder Unternehmer dasselbe Leadership-Süppchen kochen könnte. So einfach ist es leider nicht. Aber Inspiration und Best-Practice hilft – trotz aller individuellen Herausforderungen. In unserer Reihe “Führungshappen” befragen wir daher Deutschlands Top-Führungsexperten nach ihrem wertvollsten Wissen, von dem jede einzelne profitieren kann.

Zu den Kunden unserer Interviewpartnerin Birgit Kersten-Regenstein zählen Kunden wie Dr. Oetker, Miele, s.Oliver oder die Deutsche Bahn. Ihrer Erfahrung nach braucht gute Führung vor allem eins: Persönlichkeit. Im Interview spricht sie darüber, warum Integrität und Empathie inzwischen zu den erfolgversprechenden Führungsqualitäten zählen.

Was bedeutet es, eine empathische und integre Führungskraft zu sein?

Heute gibt es so viele Ansätze, wie eine Führungskraft zu sein hat, wie noch nie. Mit welchem Ansatz wir auch gehen, die authentische Persönlichkeit ist es, die den Unterschied macht. Das heißt, einerseits brauchen echte Leader die Fähigkeiten, sich in andere hineinversetzen zu können und diese Personen wirklich zu respektieren. Andererseits gehört dazu, dass dieser Umgang nicht nur für andere, sondern auch für die Führungskraft selbst gilt. Denn echte Empathie bedeutet auch, ein gutes Gespür und Gefühl für sich selbst zu haben. Und das ist ein mindestens genauso wesentlicher Aspekt für Führung wie das Einfühlungsvermögen in andere. Wer sich selbst führt, kann auch andere lenken. Das beinhaltet natürlich, die eigenen Werte zu kennen und zu leben. Aber auch zu wissen, wenn meine Seele oder meine körperliche Gesundheit leidet, spielt eine Rolle.

Ist das bisher bei Führungskräften noch nicht angekommen?

Leider nein. Verstärkt ab der Ebene des mittleren Managements ist immer wieder zu beobachten, dass Führungskräfte wenig auf sich und ihr Körpergefühl achten. Empathische Selbstführung heißt, die eigene Gesundheit, Zeit- und Kraftkapazitäten ernst zu nehmen. Pausen zu machen, wenn wir sie brauchen und hier mit gutem Beispiel voranzugehen. Auch ein Chef benötigt ein Offline-Wochenende oder einen Urlaub ohne ständige Erreichbarkeit. Das ist ein Teil der Verantwortung, die dazugehört, wenn wir eine Führungsrolle innehaben, weil wir in dieser Rolle eine Vorbildfunktion haben, insbesondere für die Generationen Y und Z. Die schauen genau – ich verallgemeinere an dieser Stelle –, ob das glaubhaft ist, was ich als Führungskraft sage. Wenn ich da empathisch nur für andere bin, aber Raubbau an mir selbst betreibe, werde ich schnell als nicht tragfähig und wenig vertrauenswürdig erlebt.

Was hat es in diesem Rahmen mit Integrität auf sich?

Betrachten wir das Ganze einmal aus der Perspektive von Mitarbeitenden: Ich finde es erschreckend, dass in vielen Unternehmen zwar eine definierte Kultur besteht, diese aber nicht gelebt wird. Häufig passiert es, dass zum Beispiel eine höher gestellte Person eine Führungskraft oder einen Teamleiter im Meeting abkanzelt – vor allen anderen. Und was geschieht? Niemand greift ein, obwohl im Leitbild von Wertschätzung und Respekt die Rede ist. Das ist weder menschlich noch klug. Die Glaubwürdigkeit der Führungsetage leidet darunter immens. Die öffentliche Herabwürdigung hat einen direkten negativen Effekt auf sie. Die Zuhörenden indes können so eine Situation selten auflösen und stehen somit ebenfalls fragwürdig da. Dann sind Werte wie Menschlichkeit, eine offene Fehlerkultur und die Einladung zur Mitbestimmung nicht das Papier wert, auf das sie gedruckt wurden. Die gelebte Firmenkultur zeigt in diesem Fall offensichtlich das Gegenteil. Wer so vorgeht, erwartet dann häufig von externen Coaches, die Menschen wieder aufzubauen. Kurzfristig kann das klappen, aber langfristig kostet das nicht nur das Geld für die Coaches, sondern auch das Vertrauen der Mitarbeitenden und die mentale und auch körperliche Gesundheit der Menschen in Unternehmen. Ich weigere mich inzwischen, hier Teil des Systems zu sein.

Es ist also essentiell, dass Führungskräfte zu den definierten Werten stehen und das auch zeigen?

Ja, Integrität bedeutet genau das: zu den definierten Werten zu stehen. Sie wird mit Anständigkeit, Ehrlichkeit, Rechtschaffenheit und Verlässlichkeit in Verbindung gebracht. In der Konsequenz heißt das: Wer integer ist, ist unbestechlich, lässt sich von niemandem korrumpieren. Diese Führungsqualität bedarf allerdings dringend noch mehr Aufmerksamkeit und Fokussierung. In der Studie »The Real Future of Work« von Gallup stimmt lediglich jeder dritte Beschäftigte in Deutschland zu, dass ihr Unternehmen und somit dessen Führungskräfte mit einem hohen Maß integer arbeitet. Und eine niedrigere Abstufung sollte es eigentlich nicht geben. Entweder sie arbeiten integer oder eben nicht. Da gibt es keine Schattierungen. Die Studie zeigt auch, dass es in hohem Maße von der Kommunikation mit den Führungskräften abhängt, ob Mitarbeiter das Verhalten des Arbeitgebers als integer einstufen. Integrität gehört zur Persönlichkeit, damit zur Authentizität eines Menschen und infolgedessen zu dessen Glaubwürdigkeit. Um erfolgreich zu führen ist Fachkompetenz eine Voraussetzung, aber erst eine integre Persönlichkeit schafft echte Führung, die alle im Unternehmen mitnimmt und sich nicht negativ auf Mitarbeitende auswirkt.

Was halten Sie noch für bedeutend für die Führungsarbeit von heute?

Es gibt noch zahlreiche weitere Punkte, die eine große Rolle spielen. Auf zwei weitere möchte ich näher eingehen: Humor und Demut. Klingt zunächst einmal so, als ob die nichts miteinander zu tun haben. Sie fallen aber beide unter die Fähigkeit zu charismatischer Führung. In Japan und in den USA zählt Humor bereits zu den Einstellungskriterien für Führungskräfte. Ich glaube aber, das ist nicht ganz selbsterklärend. Es geht nicht darum, regelmäßig Schoten zu reißen oder Schenkelklopfer rauszuhauen. Stattdessen dürfen wir uns selbst nicht immer so wichtig nehmen und müssen auch einmal über uns selbst lachen können.

„Mit einer humorvollen Betrachtung lassen sich viele schwierige Situationen entschärfen.“

Das kann verhindern, dass gleich alles eskaliert. Wer in der Lage ist, Herausforderungen mit einem Augenzwinkern zu betrachten, verhindert zusätzlichen Stress für sich selbst und für das Team. Das hat einen wahnsinnigen Effekt auf die Mitarbeitenden, bringt Entspannung und führt zu mehr Vertrauen und mehr Einsatz.

Humor und Charisma bedeuten immer auch eine gesunde Portion Demut. Es gibt den relativ neuen Begriff »Servant Leadership«, den ich sehr passend finde. Diese Art der Führung legt den Fokus auf Wachstum und auf das Wohlbefinden des Teams. Die Führungskraft dient also dem Team und nicht umgekehrt. Die Erfahrung zeigt, dass die Zusammenarbeit dadurch nicht nur entspannter wird, sondern für alle effizienter und produktiver. Langfristig sichern diese Kompetenzen nicht nur die eigene Position, sie binden auch Mitarbeiter an das Unternehmen, an das Team und an die Führungskraft selbst.

Die gesamte Interviewreihe ist erschienen im Buch „Der Führungshappen“: Die Herausgeberinnen Jana Assauer und Mona Schnell haben in diesem Buch 13 führenden Leadership-Expert und -Expertinnen aus Deutschland mit insgesamt über 200 Jahren Erfahrung in Führung und der Arbeit mit Unternehmern, Vorständen, C-Levels und Managern Fragen rund um drängende Fragen um das Thema Führung im 21. Jahrhundert gestellt. Sie verraten ihre besten Tipps und Hacks für Führungskräfte. (Montagshappen Verlag 2024, 252 Seiten, € 29,99,
ISBN: 978-3-98640-019-4).

Bislang erschienen in der Reihe:

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