Zwischen Geschichte und Gegenwart: Barcelonas zweite Blüte

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Barcelona neu entdeckt: Das El Palace, versteckte Museen, ein neues In-Viertel mit Tapas-Bars – und warum die Stadt gerade ihre beste Version lebt. / Unser Reisebericht in der Rubrik Stilvoll reisen

Barcelona hat sich neu erfunden. In den letzten zehn Jahren ist viel passiert in der katalanischen Metropole: Der Massentourismus, der einst wie eine Welle über die Altstadtviertel hereinbrach, ist spürbar zurückgedrängt worden – nicht zuletzt durch kluge Maßnahmen der Stadtverwaltung und ein neues Bewusstsein der Einheimischen für Qualität statt Quantität. Statt der Selfiestick-Horden auf der Rambla entdeckt man heute wieder das authentische Leben in Vierteln wie Sant Antoni, wo junge Barcelonins auf der Plaça del Dubte in der Nachmittagssonne Vermut trinken und Tapas teilen. Die Stadt hat nicht ihren Rhythmus verloren – sie hat ihn nur neu gestimmt.

Die Grand Hall des El Palace Barcelona

Ein Palast für die Sinne: Das El Palace Barcelona

Wer die Katalanische Hauptstadt mit Stil erleben will, findet im legendären El Palace Barcelona eine Adresse mit Geschichte und Grandezza. In den goldenen Zwanzigern eröffnet, war es das letzte große Hotelprojekt, an dem César Ritz persönlich mitwirkte – ein Prestigeobjekt, das 1919 unter dem Namen Hotel Ritz Barcelona seine Pforten öffnete. Obwohl Ritz das Hotel selbst nicht mehr erleben sollte – er verstarb 1918 –, war es seine Vision von diskretem Luxus und kompromissloser Gastlichkeit, die diesem Haus von Anfang an eingeschrieben war.

Der Glanz vergangener Zeiten ist hier bis heute bewusst gelebte Kultur. Hohe Decken, Marmorflure, Art-déco-Elemente – all das wurde behutsam restauriert und trägt doch die Patina eines Jahrhunderts. Selbst der imposante Wintergarten, heute ein beliebter Ort für Afternoon Tea, erinnert an die Ära, in der der exzentrische Salvador Dalí im Haus lebte und das Hotelpersonal auf Trab hielt. Zum Geburtstag seiner Frau übrigens mit einem weissen Pferd, das er sich aufs Zimmer bringen ließ. Je nachdem welcher Legende man glaubt, ein echtes oder ein Ausgestopftes.

Dass das Hotel heute El Palace Barcelona heißt, ist dem Umstand geschuldet, dass es nach einem langjährigen Rechtsstreit mit der Ritz-Carlton Gruppe 2005 seinen ursprünglichen Namen ablegen musste. Man verzichtete auf einen neuen Markenauftritt und besann sich auf das, was es ohnehin war: ein Palast.

Doch es ist nicht nur die Geschichte, die diesem Haus seinen Reiz verleiht. Es ist der dezente Luxus, der sich einem in zahlreichen Gesten äußert – im diskreten Service, im handgeschriebenen Gruß auf dem Zimmer, im warmen Licht des Grand Salón, wo manchmal noch eine Harfenistin spielt.

Das EL Palace Rooftop mit Pool, Restaurant und Open-Air Kino

Und auf dem Dach erwartet Gäste ein Dachgarten, wie man ihn in Barcelona kaum vermutet: mit Pool, Stadtpanorama und Orangenbäumen, die im Frühling süß duften. Serviert werden köstliche Tapas und katalanisch-mediterrane Küche. Donnerstags ist Rumba Catalana Abend mit einer Live-Band. In den Sommermonaten verwandelt sich der Dachgarten dann auch noch in ein exklusives Open-Air Kino unter dem Sternenhimmel.

Zimmer im El Palace Barcelona

Die Zimmer sind nichts weniger als prächtig und doch sind es vor allem die Mitarbeiter, die dieses Hotel zur besonderen Empfehlung machen, Ein Ort, der nicht im Wettbewerb mit modischen Designhotels steht – sondern sie mit einer hochgezogenen Augenbraue betrachtet. Wer nicht hier wohnt, der hat viele andere Gründe auf Besuch zu kommen, ob zum After-Work Cocktail oder zu einer der vielen Live-Jazz Veranstaltungen in die Bluesman Bar – und kann dort in den Genuss dieser großartigen Grand-Hotel Inszenierung a la Cesar Ritz kommen.

Sant Antoni – das Herz der Tapas-Kultur

Abseits des touristischen Trubels hat sich Sant Antoni zum neuen In-Viertel der Stadt gemausert. Früher ein wenig vergessen zwischen Eixample und dem Raval, erlebt das Quartier dank der Rückkehr junger Kreativer und seiner gewachsenen Gastro-Szene eine stille Renaissance. Zentrum des Viertels ist der imposante Mercat de Sant Antoni, ein neugotisches Eisen-Glas-Bauwerk aus dem späten 19. Jahrhundert, das nach jahrzehntelanger Renovierung 2018 wiedereröffnet wurde – großzügig, lichtdurchflutet, mit Fisch-, Fleisch- und Gemüseständen, wie man sie nur in Katalonien findet. Auch ein Antiquitätenmarkt gehört dazu, der sonntags Sammler, Flaneure und Buchliebhaber anzieht.

Die Bottega 1900 in Sant Antoni

Besonders abends entfaltet sich rund um den Markt das kulinarische Leben – mit Tapas-Bars, die Innovation und Tradition verbinden. Bar CaldersEls Sortidors del Parlament und unser Favorit, die Bodega 1900 (eine Hommage von Albert Adrià an das klassische Vermut-Lokal) sind nur einige der Adressen, an denen man sich in das moderne Barcelona verliebt.

MEAM – Barcelona Academy of Art

Kunst abseits der Massen: Das MEAM

Wer das Museum Picasso schon kennt – und meidet –, findet ein echtes Juwel nur wenige Schritte entfernt: das Museu Europeu d’Art Modern (MEAM). Untergebracht in einem barocken Stadtpalast im Viertel El Born, widmet es sich der figurativen, zeitgenössischen Kunst – oft übersehen, aber voller Poesie und überraschender Tiefe. Statt Konzeptkunst gibt es hier Handwerk, Emotion und menschliche Geschichten. Ein Geheimtipp, auch wegen seiner oft hochkarätigen Kammerkonzerte im Innenhof.

Das Gran Teatre del Liceu

Klangvolle Abende in Oper und Theater

Barcelona ist auch eine Stadt der Bühne. Die Gran Teatre del Liceu, eine der bedeutendsten Opernbühnen Europas, begeistert mit einem Programm zwischen Repertoireklassikern und zeitgenössischer Inszenierung. Wer sich für das Musiktheater interessiert, sollte einen Blick auf die Produktionen der Òpera de Butxaca werfen – kleine, feine Formate an ungewöhnlichen Spielorten. Und im Teatre Nacional de Catalunya oder Teatre Lliure zeigt sich das kreative Selbstbewusstsein der katalanischen Dramatik – meist auf Katalanisch, aber mit internationalem Anspruch.

Flanieren, Einkehren, Entdecken

Abseits der Monumente lohnt sich der Blick auf das Alltägliche. Ein Spaziergang entlang der Carrer d’Enric Granados, wo Cafés, Galerien und kleine Designshops das Straßenbild bestimmen. Ein Besuch in der Buchhandlung La Central del Raval, die mehr ein literarisches Wohnzimmer ist als ein Geschäft. Oder ein Frühstück im Brunch & Cake, wo auch das Brot noch hausgebacken ist.
Wer es kulinarisch ambitionierter mag, findet in der Markthalle des Mercat de la Boqueria mehr als nur Fotomotive. Die kleinen Stände mit Austern, iberischem Schinken oder frittiertem Babycalamari sind oft besser als mancher Sternebetrieb – Doch der riesige Markt ist lange kein Geheimnis mehr und an vielen Tagen überlaufen. Dennoch findet sich wohl kein Ort in der Stadt wo alltägliches Leben und Massentourismus so nah beieinander liegen.

Fröhliche Fischverkäuferinnnen im Mercat del Ninot

Mercat de Ninot

Eine schicke, moderne Alternative ist der Mercat de Ninot der sich seit seiner aufwendigen Neugestaltung als eine der spannendsten Feinschmeckeradressen der Stadt etabliert hat. Fünf Jahre lang war das Gebäude geschlossen; der Markt zog in ein Provisorium, während der Spanische Star-Architekt José Luís Mateo das neue Haus mit Bedacht modernisierte. Er schuf größere Stände, integrierte eine grüne Klimaanlage und Platz für Kochkurse – und ließ doch die Seele des Ortes unangetastet. Auch die legendäre Holzfigur des „Ninot“, das hölzerne Schiffs-Galionsbild, das einst eine Taverne zierte und zur Namensgeberin wurde, kehrte nach Jahren im Schifffahrtsmuseum an die Fassade zurück.

Heute sind es vor allem die Verkostungsbars und kleinen Markt-Restaurants, die den Ninot zum Erlebnis machen. Wo früher einfache Cafeterías Tapas und Kaffee für Händler servierten, finden sich nun Austernstände, Fischhändler mit Tagesgerichten und Wermutbars mit traditionellen Spezialitäten. Bei La Medusa 73 genießt man frische Meeresfrüchte direkt an der Theke – begleitet von einem kühlen Glas Cava oder einem Teller Reis mit Ortiguillas, frittierten Seeanemonen, wie man sie sonst nur in Cádiz findet. Klassische Anbieter wie La Barra Perelló, seit 1898 auf Kabeljau und Konserven spezialisiert, servieren neben Casa Mariol-Vermut auch Esqueixada, eine katalanische Ceviche mit gesalzenem Kabeljau, Tomate, frischer Paprika und Olivenöl.

Javier de la Muelas, der Charles Schumann von Barcelona in seiner Bar El Dry Martini

“The three-martini lunch is the epitome of American efficiency. Where else can you get an earful, a bellyful and a snootful at the same time?” – Dieses Zitat wird US Präsident Gerald Ford zugeschrieben. Zu deutsch: „Das Drei-Martini-Mittagessen ist der Inbegriff amerikanischer Effizienz. Wo sonst bekommt man gleichzeitig etwas auf die Ohren, den Magen voll und einen im Tee?“ Wer solches sucht, dem sei die Dry Martini Bar empfohlen – ein Klassiker der internationalen Barkultur und geöffnet von 13 Uhr bis in die tiefe Nacht. Seit über 30 Jahren behauptet sich das Lokal von Javier de las Muelas als feste Größe, und war über sieben Jahre hinweg ununterbrochen in der Liste der World’s 50 Best Bars vertreten – als einzige Bar Spaniens und als eine der am längsten platzierten weltweit. Very British geht es hier zu, mit holzgetäfelten Wänden, Barkeepern in weißen Uniformen und einer fast zeremoniellen „mise en place“ für den perfekten Martini.

Doch es ist mehr als Nostalgie: Signature-Cocktails, eigene Spirituosen und ein dezidiert weiblicher Zugang zur Barkultur machen die Dry Martini zu einem Ort, der klassisch ist – und zugleich seiner Zeit voraus. Ein bisschen wie Barcelona im Ganzen.

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