So sozialistisch denken die Deutschen in der Wirtschaftspolitik

Keine Kommentare Lesezeit:

Die meisten Menschen wissen kaum etwas über die Methoden der Meinungsforschung. Schon deshalb ist das neue Buch des Insa-Chefs Hermann Binkert wichtig, denn es klärt über die Methoden der Meinungsforschung auf.

Von Dr. Dr. Rainer Zitelmann

Meinungsforscher haben es schwer. Wenn sie das bestätigen, was wir zu wissen glauben, halten wir ihre Ergebnisse für banal („wusste man doch schon vorher“). Widersprechen die Befunde hingegen dem, was wir denken, zweifeln wir an ihren Methoden („kann gar nicht stimmen, in meinem Bekanntenkreis denkt keiner so“). Die meisten Menschen wissen kaum etwas über die Methoden der Meinungsforschung. Schon deshalb ist das neue Buch des Insa-Chefs Hermann Binkert „Wie Deutschland tickt. Ein Meinungsforscher packt aus“ (Fontis-Verlag) wichtig, denn es klärt über die Methoden der Meinungsforschung auf.

Und er präsentiert zahlreiche Ergebnisse seiner Befragungen, die so manchen überraschen werden. Auf die Frage etwa, ob die eigene wirtschaftspolitische Einstellung „eher sozialistisch“ oder „eher kapitalistisch“ sei, antworten die meisten Deutschen „sozialistisch“. Nicht verwunderlich ist, dass 76 Prozent der Linke-Wähler mit „sozialistisch“ antworten oder 69 Prozent der SPD-Wähler, 66 Prozent der BSW-Wähler und 57 Prozent der Grünen-Wähler. Aber auch bei den AfD-Wählern antworten 40 Prozent mit „eher sozialistisch“ und nur 35 Prozent mit „eher kapitalistisch“. Das hat auch damit etwas zu tun, dass – wie Binkert ebenfalls zeigt – in Ostdeutschland sozialistische Vorstellungen noch stärker dominieren als in Westdeutschland.

Unter CDU/CSU-Wählern ist der Anteil jener, die sich wirtschaftspolitisch „eher sozialistisch“ verorten ebenso groß wie derjenigen, die sich „eher kapitalistisch“ verorten

Unter CDU/CSU-Wählern ist der Anteil jener, die sich wirtschaftspolitisch „eher sozialistisch“ verorten ebenso groß wie derjenigen, die sich „eher kapitalistisch“ verorten. Nur bei den FDP-Wählern überwiegen mit 57 Prozent diejenigen, die ihre wirtschaftspolitische Einstellung mit „eher kapitalistisch“ bezeichnen. Das Wort “Sozialismus” hat in Deutschland einen besseren Klang als das Wort “Kapitalismus”.

Freiheit nicht so wichtig wie „soziale Gerechtigkeit“

Freiheit ist den Deutschen nicht so wichtig wie „soziale Gerechtigkeit“. Insa fragte die Deutschen: „Wenn Sie sich entscheiden müssten zwischen mehr wirtschaftlicher Freiheit oder mehr sozialer Gerechtigkeit, wofür würden Sie sich entscheiden?“ Insgesamt sagten 58 Prozent, soziale Gerechtigkeit sei ihnen wichtiger und nur etwa jeder Dritte (34 Prozent) meinte, wirtschaftliche Freiheit sei ihm wichtiger. Aus meiner Sicht ein trauriges Ergebnis. Erfreulich ist dagegen, dass ausgerechnet bei den Jüngeren, also in der Altersgruppe der 18- bis 29-Jährigen immerhin fast die Hälfte sagt, wirtschaftliche Freiheit sei wichtiger als soziale Gerechtigkeit. Auch bei dieser Frage zeigte sich wieder, dass Ostdeutschen „soziale Gerechtigkeit“ noch wichtiger ist als Westdeutschen.

Nur Grüne vertrauen dem Verfassungsschutz

Manche Ergebnisse mögen auf den ersten Blick überraschen. Früher waren GRÜNE und LINKE gegen den Verfassungsschutz, forderten sogar dessen Abschaffung, da sie den Inlandsgeheimdienst tendenziell als eher gegen linke Bestrebungen gerichtet sahen. Heute ist das anders. Dass der Verfassungsschutz zu politischen Zwecken missbraucht wird, hält in Deutschland fast jeder Zweite für sehr oder eher wahrscheinlich (48 Prozent). Nicht einmal jeder Dritte (31 Prozent) findet, dies sei unwahrscheinlich. Den Missbrauch für politische Zwecke hielten vor allem Wähler der AfD (74 Prozent) und der FDP (62 Prozent) für wahrscheinlich – nur bei den GRÜNEN gibt es eine relative Mehrheit (45 Prozent), die es für unwahrscheinlich hält, dass der Verfassungsschutz in Deutschland zu politischen Zwecken missbraucht wird. Vielleicht haben sich nicht die Meinungen der Deutschen verändert, sondern der Verfassungsschutz, der heute eher gegen rechts als gegen links positioniert ist.

Lieber arm und gesund als reich und krank?

Meinungsforschung beschäftigt sich nicht nur mit Politik, sondern auch mit vielen anderen Themen. Beliebt sind Sprüche wie „Geld allein macht nicht glücklich“ oder „lieber arm und gesund als reich und krank“. Dabei zeigen Umfragen, dass es eine Korrelation zwischen Krankheit und Einkommenssituation gibt. Nur 45 Prozent der Bezieher von Haushaltseinkommen unter 1000 Euro sagten bei einer Insa-Befragung, sie seien in dem Sommer, in dem die Befragung stattfand, nicht krank gewesen. Zum Vergleich waren es 50 Prozent bei Haushaltseinkommen zwischen 1000 und weniger als 2000 Euro, 60 Prozent bei Haushaltsnettoeinkommen zwischen 2000 und weniger als 3000 Euro, 69 Prozent bei Haushaltseinkommen zwischen 3000 und weniger als 4000 Euro und 76 Prozent bei Haushaltseinkommen von 4000 Euro und mehr.

Diese stimmt mit zahlreichen anderen Untersuchungen überein, die beispielsweise zeigen, dass Personen mit höherem Einkommen länger leben als solche mit niedrigem Einkommen, was unter anderem damit zu tun hat, dass es in der unteren Einkommensgruppe mehr Raucher und Übergewichtige gibt.

“Der demoskopische Blick zeigt im Normalfall, dass es den einen Willen des Volkes gar nicht gibt.“

„Geld allein macht nicht glücklich“ – das stimmt sicherlich. Und ich kenne eigentlich niemanden, der behaupten würde, Geld allein mache glücklich. Aber mit mehr Geld steigt nicht nur die Gesundheit, sondern es sinkt auch die Angst vor Einsamkeit, wie eine andere Umfrage belegt: Einsamkeit, so Binkert, ist auch eine Frage des Einkommens: Je geringer es ausfällt, desto größer ist die Angst vor Einsamkeit. Von 47 Prozent bei einem Haushaltseinkommen bis zu 1000 Euro sank der Wert kontinuierlich auf 32 Prozent bei einem von 4000 Euro oder mehr. Das heißt: Jeder zweite Geringverdiener hat Angst vor Einsamkeit, aber nur jeder dritte Besserverdiener.

Das Buch enthält zahlreiche weitere faszinierende Umfrageergebnisse. Bevor man reflexhaft Ergebnisse bezweifelt, weil sie nicht zum eigenen Weltbild passen, empfiehlt es sich, eine andere Überlegung anzustellen: Vielleicht habe ich ein soziales Umfeld mit Menschen, die tendenziell ähnlich denken und vielleicht wird diese Tendenz noch durch die Algorithmen in sozialen Netzwerken verstärkt, wo mir eher jene Meinungen gezeigt werden, die der eigenen entsprechen. Manchmal wird man finden, dass die eigene Meinung gar nicht so abseitig ist, wie man vielleicht dachte, sondern von vielen geteilt wird. Doch, so schreibt Binkert, auch das Gegenteil ist denkbar: „Jemand erkennt, dass die eigene Meinung durchaus nicht mehrheitsfähig ist oder in beträchtlichem Umfang auch andere Positionen vertreten werden als im persönlichen oder jeweiligen politischen Umfeld. Darauf hinzuweisen, kann gerade dann angebracht und heilsam sein, wenn Politiker den Anspruch erheben, ‚Volkes Willen’ gegen abgehobene Eliten zu vertreten. Der demoskopische Blick zeigt im Normalfall, dass es den einen Willen des Volkes gar nicht gibt.“

Mehr zum Thema:

Dr. Dr. Rainer Zitelmann ist Historiker – und war auch als Unternehmer und Investor erfolgreich. Er hat 29 Bücher geschrieben und herausgegeben, die in über 30 Sprachen übersetzt wurden (“Weltreise eines Kapitalisten“, “Warum Entwicklungshilfe nichts bringt und wie Länder Armut wirklich besiegen“, “Die 10 Irrtümer der Antikapitalisten“). Sein jüngstes Buch ist der Anti-Woke Roman 2075. Wenn Schönheit zum Verbrechen wird“.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Language