Ich kann nicht mehr
Es gibt diese Abende, an denen ich am Küchentisch sitze, stumm in den dunklen Garten starre und der Kaffee längst kalt geworden ist. Der Körper funktioniert, aber die Seele hat längst aufgegeben. Da ist keine Kraft, kein Drang, kein Ziel. Nur Müdigkeit. Keine, die man mit Schlaf wegwischen könnte, sondern diese andere Müdigkeit. Die, die sich tief in die Brust setzt und flüstert: „Ich kann nicht mehr.“
Von Ben Schulz
Wenn ich Unternehmer sage, meine ich nicht die Figur im Lehrbuch. Ich meine uns. Diejenigen, die seit 20, 25 Jahren Verantwortung tragen. Für 80, 200, 400 Menschen. Für Familien, Existenzen, Häuserkredite. Für Märkte, die keine Gnade kennen. Für Krisen, die nicht mehr aufhören. Und wenn ich ehrlich bin, meine ich auch mich.
Der alte Krieger ohne Ziel
Vor einiger Zeit bin ich auf einen Text gestoßen, der mir unter die Haut ging. Worte über einen alten Krieger, der so viele Schlachten überstanden hat und nun mit leerem Herzen dasteht. Energielos, kraftlos, hoffnungslos. Genau dieses Bild treffe ich in Beratungen immer wieder an. Gestandene Geschäftsführer, die alles gegeben haben – und die nun wirken wie ausgebrannte Schwämme. Ausgepresst bis zum letzten Tropfen.
Menschen werden müde, nicht weil sie schwach sind, sondern weil sie zu lange stark waren. Weil sie getragen haben, ohne gefragt zu werden, wie schwer es eigentlich war. Weil sie gebraucht wurden – und das mit geliebt verwechselt haben.
Die stille Erschöpfung der Funktionierenden
In meinen Beratungen erlebe ich dieselbe Szene: Ein Geschäftsführer, 52, Maschinenbauer. Er sagt: „Ben, ich habe keine Lust mehr, morgens ins Büro zu fahren.“ Dann lacht er kurz, als wolle er den Satz sofort wieder zurückholen. Aber es ist die nackte Wahrheit. Er ist leer. Und er ist nicht allein. Studien bestätigen, dass Führungskräfte in Deutschland unter Rekordbelastung stehen. Überlange Arbeitszeiten, kaum Abschalten, ständige Erreichbarkeit – Erschöpfung ist längst keine Ausnahme mehr, sondern Normalzustand.
Das Gefährliche daran: Von außen sieht es oft wie Faulheit aus. In Wahrheit ist es die stille Erschöpfung vom Dauer-Funktionieren. Ein permanenter Modus, in dem Fehler nicht erlaubt sind, Pausen als Schwäche gelten und Rückzug verdächtig wirkt.
Hoffnung als Führungsaufgabe
In meinem Buch Führungskräfte als Hoffnungsträger schreibe ich über genau diese Momente. Ich nenne es das Kapitel der „Hoffnungslosigkeit in den Führungsetagen“. Da, wo der Druck so groß ist, dass selbst gestandene Entscheider den Glauben verlieren. Doch Hoffnung ist keine naive Emotion. Hoffnung ist ein Führungsinstrument. Sie ist eine bewusste Entscheidung, die man trifft, auch wenn der Horizont dunkel wirkt.
Ich habe erlebt, wie ein Geschäftsführer mitten in der Kriese seine komplette Mannschaft verlor. Nicht, weil die Leute keine Arbeit wollten. Sondern weil sie keinen Sinn mehr sahen. Als wir zusammenarbeiteten, sprachen wir nicht über Kennzahlen oder Prozessoptimierung. Wir sprachen über Perspektive. Über ein „Wofür“. Erst als er selbst wieder Hoffnung spürte, konnte er sie an sein Team weitergeben.
Die Falle der Selbstführung
Viele meiner Klienten sind Meister im Tragen von Verantwortung. Aber Anfänger darin, Verantwortung für sich selbst zu übernehmen – also in Selbstführung. Ohne Selbstführung kippt jedes System. Genau hier beginnt die Spirale: unklare Entscheidungen, Kontrollwahn, Misstrauen, Erschöpfung.
Ich sage es so direkt: Wer sich selbst nicht führen kann, darf sich nicht wundern, wenn das Team die Orientierung verliert. Und Selbstführung heißt eben nicht, sich noch mehr Termine in den Kalender zu pressen, sondern Pausen einzuplanen, Grenzen zu ziehen und auf die innere Stimme zu hören, die flüstert: „Stopp.“
Permakrise frisst Seele
Wir alle spüren die „Permakrise“. Kaum ist eine Welle überwunden, reißt die nächste an uns. Lieferketten, Krieg, Energiepreise, Digitalisierung – die Liste endet nie. Das Problem ist nicht die einzelne Krise. Das Problem ist das permanente Grundrauschen der Unsicherheit.
Führungskräfte agieren dadurch ständig auf brüchigem Fundament. Sie verlieren Energie, weil sie in jedem Meeting nur reagieren, anstatt zu gestalten. Das Ergebnis: Hoffnungslosigkeit. Genau hier muss ein Umdenken beginnen. Resilienz bedeutet nicht, immer wieder aufzustehen wie früher, sondern nach vorne zu springen – Bounce Forward.
Persönliche Niederlagen als Lehrmeister
Ich erinnere mich an eine Phase, in der mein eigenes Unternehmen vor die Wand zu fahren drohte. Über 30 Mitarbeitende, volle Verantwortung, und dann der Crash. Ich saß da, körperlich gesund, seelisch am Ende. Diese Nächte auf der Bettkante, leer, ratlos, ohne Plan. Genau dort habe ich am meisten über mich gelernt. Über Selbstführung. Über radikale Akzeptanz. Über die Kraft, Dinge anzunehmen, die ich nicht ändern kann.
Und vielleicht ist das der entscheidende Punkt: Nicht alles im Griff haben zu müssen. Sondern den Mut, ehrlich zu sagen: „Ich kann gerade nicht mehr.“
Vom Hoffnungsträger zum Perspektivmacher
Führungskräfte sind Hoffnungsträger – nicht, weil sie alles wissen, sondern weil sie Richtung geben. Mitarbeitende brauchen kein Superman-Image. Sie brauchen jemanden, der in dunklen Zeiten ein Licht hält. Jemanden, der Fragen stellt, die niemand zu stellen wagt. Jemanden, der sichtbar zeigt: „Auch ich zweifle. Aber ich gehe weiter.“
In Führungskräfte als Hoffnungsträger beschreibe ich diese Rolle als Perspektivmacher. Einer, der nicht vorgibt, alle Antworten zu haben, aber die richtigen Fragen stellt.
Und jetzt?
Wenn Sie das lesen und sich ertappt fühlen, dann wissen Sie, wovon ich spreche. Vielleicht sitzen Sie gerade in Ihrem Büro, die Tür zu, und denken: „Das bin ich.“ Dann habe ich eine Bitte: Hören Sie auf, zu funktionieren, als wäre nichts. Nehmen Sie Ihre Müdigkeit ernst. Ziehen Sie sich zurück, nicht um sich zu rechtfertigen, sondern um sich selbst nicht zu verlieren.
Und feiern Sie sich dafür, dass Sie überhaupt noch stehen. Dass Sie schon tausendmal wieder aufgestanden sind. Jeder Schritt, den Sie gegangen sind, ist ein Beweis Ihrer Stärke. Vergessen Sie das nicht.
Schlussgedanke
Hoffnung ist kein Zustand, der irgendwann von selbst kommt. Hoffnung ist eine Entscheidung. Eine, die Sie heute treffen können. Für sich. Für Ihr Team. Für Ihr Unternehmen.
Und wenn Sie jemanden kennen, der diesen Text gerade dringender braucht als Sie – bitte schicken Sie ihn weiter. Vielleicht ist genau das Ihr erster Schritt zurück in die Kraft.
- Stellenbeschreibung: Hoffnungsträger Führungskraft
- Ben Schultz im Lexikon des Chefwissens
- Wird KI Sie als Führungskraft überflüssig machen?
Ben Schulz ist Sparringspartner für Geschäftsführer und Führungsteams in klein- und mittelständischen Unternehmen, wenn es um deren Strategie und Transformationsprozessen geht. Sein neuestes Buch “Führungskräfte als Hoffnungsträger” wurde in kurzer Zeit zum Spiegel-Bestseller. Der Vorstand des Beratungshauses Ben Schulz & Partner AG legt den Schwerpunkt seiner Tätigkeit, gemeinsam mit seinem Team, auf die Schwerpunkte Unternehmensleitbildentwicklung, Kulturwandel, Führungskräfteentwicklung und strategischen Unternehmersparrings, bei denen es um die Steigerung von Perfomance geht. Mehr Infos





















Ein in der Tat mitreissender Kommentar, der einen nachdenklich macht. Aber auch Geschäftsführer und Unternehmer agieren nicht im luftleeren Raum. Was in dem Kommentar nicht ausgesprochen wird, aber an den meisten Stellen der Unsicherheit die Ursache des Übels ist, die deutsche Politik der letzten Jahre. Warum wird das nicht deutlich thematisiert?