Mut zur schöpferischen Erneuerung – Was Deutschland von den neuen Wirtschafts-Nobelpreisträgern lernen kann

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Die Verleihung des diesjährigen Alfred-Nobel-Gedächtnispreises für Wirtschaftswissenschaften an Joel Mokyr, Philippe Aghion und Peter Howitt hat nicht nur die wissenschaftliche Gemeinde aufhorchen lassen – ihre Forschung berührt hochaktuelle Fragen für Deutschland.

Von Professor Dr. h.c. mult Roland Koch

Alle drei Ökonomen untersuchen, unter welchen Bedingungen Innovation nachhaltigen Fortschritt erzeugt. Mit ihren Arbeiten können wir herausfinden, warum Deutschland heute beim Wachstum das Schlusslicht ist.

Insbesondere Aghion und Howitt knüpfen an Joseph Schumpeters Konzept der „schöpferischen Zerstörung“ an. Sie zeigen, dass großer wirtschaftlicher Fortschritt selten durch die immer weitere Verfeinerung bestehender Technologien entsteht, sondern vielmehr durch radikale Innovationen, die alte Prozesse vollständig ablösen. Unternehmen, die zu lange am Altbewährten festhalten, werden dabei oft vom Markt verdrängt.

Stabilität und Berechenbarkeit sind nicht alles

Diese Erkenntnisse treffen einen wunden Punkt. Deutschlands ausgeprägter Wunsch nach Stabilität und Berechenbarkeit verträgt sich nur schwer mit der Schumpeter’schen „schöpferischen Zerstörung“. Fortschritt „Made in Germany“ wird traditionell eher mit schrittweisen Verbesserungen bestehender Produkte und Prozesse in Verbindung gebracht. Dieses Erfolgsrezept der Vergangenheit, vom Automobilbau bis zum Maschinenbau, steht nun in Frage: Aghion und Howitt  warnen  nämlich, dass solche rein evolutionären Verbesserungen auf Dauer nicht ausreichen. Wenn neue Technologien globale Märkte umwälzen – Digitalisierung oder Künstliche Intelligenz sind die aktuellen Beispiele – droht der Anschlussverlust, falls man Veränderungen zu lange zögerlich begegnet. Zu viel Beharrung und zu wenig Mut zum Risiko gefährden langfristig Wohlstand und Wettbewerbsfähigkeit.

Offenheit und Mut zu Neuem sind gefragt

Was bedeutet das konkret für Deutschland? Zum Ersten brauchen wir mehr Offenheit für Neues – in Wirtschaft, Politik und Gesellschaft. Joel Mokyr hat in seinen historischen Arbeiten eindrucksvoll gezeigt, dass technischer Fortschritt vor allem dort gedeiht, wo neue Ideen willkommen sind und alte Dogmen hinterfragt werden dürfen. Ein bekanntes Beispiel Mokyrs: Noch um 1500 war China technologisch mindestens ebenbürtig mit Europa. Doch die konfuzianische Bürokratie schottete das Reich nach außen ab und unterband den kreativen Wettbewerb der Ideen, während Europa sich dem intellektuellen Austausch öffnete. Die Folge war Europas Innovationsschub und Chinas Schwäche.

Für uns in Deutschland ist das die Aufgabe, eine Kultur zu fördern, die Experimente, Gründergeist und sogenanntes Out-of-the-box-Denken zulässt. Wie Ifo-Präsident Clemens Fuest jüngst betonte, befindet sich Deutschland in einer strukturellen Wachstumskrise – „eine Rückkehr zu Wachstum erfordert mehr Offenheit für Neues“, insbesondere durch Weiterbildung, Innovation und Unternehmensgründungen. Investitionen in Bildung und Forschung zahlen sich aus, wenn daraus auch mutige Anwendungen entstehen.

Wettbewerb und Förderung ohne Vorgaben werden gebraucht

Zum Zweiten müssen Wettbewerb und gezielte Förderung Hand in Hand gehen. Schumpeters Nachfolger Aghion und Howitt haben in ihrem bekannten Wachstumsmodell von 1992 formal gezeigt, dass Wettbewerb der Motor für Innovation ist, er aber nur dann volle Wirkung entfaltet, wenn neue Akteure auch wirklich eine Chance bekommen. Künstliche Barrieren – wie überbordende Regulierung oder Marktzugangshürden für junge Firmen – bremsen das Innovationstempo und somit auch den Erneuerungsprozess. Hier besteht Handlungsbedarf. Ein Beispiel ist die Künstliche Intelligenz. Der geplante EU AI Act teilt KI-Systeme in Risikoklassen ein und könnte strenge Auflagen bringen – während in den USA und China neues KI-Unternehmertum mit größerer Risikobereitschaft gefördert wird. Das heutige Ergebnis ist leider schon durch hier nicht verfügbare IT-Anwendungen sichtbar. Europa hinkt in der Konsequenz auch bei KI-Startups hinterher.

“Wenn bahnbrechende Innovationen anstehen, zählt oft der Zeitfaktor. Zögerlichkeit – etwa langwierige Genehmigungen, Förderbürokratie oder politische Zauderei – kann dazu führen, dass Deutschland Chancen verpasst, während dynamischere Volkswirtschaften vorpreschen”

Die Lektion lautet nicht, Regulierung völlig abzuschaffen, sondern smarter zu regulieren: Philippe Aghion plädierte dafür, Wettbewerbspolitik und aktive Industriepolitik zu versöhnen. Staatliche Impulse – etwa durch Steuererleichterungen oder Forschungsförderung in Gebieten wie Klimatechnologie oder KI – können sinnvoll sein, solange sie Wettbewerb nicht ersticken, sondern neue Innovationen anreizen. Deutschland und Europa sollten also durchaus strategisch in Zukunftsfelder investieren, aber ohne in dirigistische Technologievorgaben zu verfallen. Der Staat soll Rahmen setzen, aber nicht lenken – ein Prinzip Ludwig Erhards, das gerade für Innovationspolitik weiter gelten muss.

Tempo statt Bedächtigkeit

Zum Dritten brauchen wir Tempo bei der Erneuerung! Wenn bahnbrechende Innovationen anstehen, zählt oft der Zeitfaktor. Zögerlichkeit – etwa langwierige Genehmigungen, Förderbürokratie oder politische Zauderei – kann dazu führen, dass Deutschland Chancen verpasst, während dynamischere Volkswirtschaften vorpreschen. Lars Feld und Justus Haucap bringen es mit Ihrem Podcast „Die Hütte brennt“ auf den Punkt. Konkret heißt das Schaffung eines unternehmerfreundlichen Umfelds, das die schnelle Umsetzung neuer Ideen ermöglicht. Die Preisträger machen durch ihre Forschungsarbeiten sehr nachdrücklich klar, dass anhaltendes Wachstum ohne kontinuierliche Innovation nicht denkbar ist. Deutschland muss daher Hemmnisse abbauen, die einen raschen Wandel bremsen. Ob bei der Digitalisierung der Verwaltung, dem Ausbau der Ladeinfrastruktur für E-Mobilität oder der Einführung neuer Geschäftsmodelle – überall dort, wo alte Strukturen Verzögerung verursachen, ist schöpferische Zerstörung kein bedrohliches Szenario, sondern Teil der Lösung. Die Devise lautet: erlauben, ausprobieren, lernen. Dabei müssen wir die für uns Deutsche manchmal schwer verdauliche Erkenntnis im Auge behalten, dass auch das Scheitern Teil des Fortschritts ist. Dieser kulturelle Wandel ist absolut unabdingbar.

Wissenschaftlich belegt: Innovation und Wachstum sind nicht am Ende

Wir können aus den Arbeiten von Mokyr, Aghion und Howitt wichtige Lehren ziehen. Aus ihren Forschungsergebnissen kann man die Zuversicht gewinnen, dass Deutschland seine Stärken – Ingenieurskunst, Mittelstand, Bildung – nutzen kann, wenn es den Mut hat, sich neu zu erfinden. Es gilt, die Balance zu finden zwischen dem Bewahren des Bewährten und dem Begrüßen des Disruptiven. Ludwig Erhard würde uns wohl ermutigen, diesen Weg zu gehen. Sein Vertrauen in die „Wohlstand schaffende freiheitliche Ordnung“ war immer mit der Mahnung verbunden, Stillstand nicht zu dulden. Denn letztlich bedeuten Wandel und Wettbewerb keine Bedrohung, sondern die Chance, Wohlstand für alle auch in Zukunft zu sichern.

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Professor Dr. h.c. mult. Roland Koch ist seit November 2020 Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung. Koch war bis von 1999 bis 2010 Hessischer Ministerpräsident. Altbundeskanzler Ludwig Erhard gründete 1967 die Ludwig-Erhard-Stiftung und gab ihr die Aufgabe, für freiheitliche Grundsätze in Wirtschaft und Politik einzutreten und die Soziale Marktwirtschaft wachzuhalten und zu stärken. Die Stiftung ist von Parteien und Verbänden unabhängig und als gemeinnützig anerkannt. Sie tritt politischem Opportunismus und Konformismus mit einem klaren Leitbild entgegen: Freiheit und Verantwortung als Fundament einer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung für den mündigen Bürger. Infos

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