Brexit – Was kommt auf deutsche Unternehmen zu?

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In dem gestrigen Referendum haben sich die Wähler im Vereinigten Königreich mit Mehrheit gegen einen Verbleib in der Europäischen Union entschieden. Unabhängig davon, wie sich das künftige Verhältnis der Europäischen Union zum Vereinigten Königreich darstellt, steht fest, dass sich die rechtlichen Rahmenbedingungen vermutlich jeden geschäftlichen Verkehr mit dem Vereinigten Königreich verändern werden. Von Dr. Stephan König.

 

Infolge dessen wird die britische Regierung mit den Spitzen der EU in Verhandlungen über einen Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union eintreten. Sofern keine einvernehmliche Regelung erzielt wird, erfolgt der Austritt des Vereinigten Königreichs aus der Europäischen Union automatisch mit Ablauf von zwei Jahren nachdem die britische Regierung ihre Absicht auszutreten offiziell angezeigt hat.

Naturgemäß ist der Umfang dieser Veränderungen zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht absehbar, da dieser maßgeblich durch die Austrittsverhandlungen, aber auch durch die Entscheidungen des britischen Gesetzgebers, inwieweit umgesetztes europäisches Recht beibehalten wird, beeinflusst wird.

Unsere Kanzlei hat nachfolgend beispielhaft eine Reihe von Themen identifiziert, bei denen es aus heutiger Sicht zu einer Änderung der rechtlichen Rahmenbedingungen kommen kann.

 

 

1. Gesellschafts- und Kapitalmarktrecht

Im Bereich des Gesellschaftsrechts könnte der Brexit insbesondere Auswirkungen bei der Wahl der Rechtsform und der Planung von Umstrukturierungen haben:
  • Die Europäische Aktiengesellschaft, SE, beruht auf einer EU-Verordnung. Mit Wirksamwerden des Brexit könnten SEs mit Sitz im Vereinigten Königreich ihre Rechtsgrundlage verlieren und in eine britische Rechtsform (zwangs-) umgewandelt werden.
  • Die Möglichkeit grenzüberschreitender Verschmelzungen, Spaltungen und Formwechsel unter Einbeziehung britischer Gesellschaften könnte wegfallen.
  • Die Möglichkeit, den Verwaltungssitz einer britischen Ltd. nach Deutschland zu verlegen, beruht auf der EU-Niederlassungsfreiheit, gilt aber nicht für Drittstaaten. Mit Wirksamwerden des Brexit würde eine Ltd. mit Verwaltungssitz in Deutschland ihren Status als Kapitalgesellschaft verlieren – mit weitreichenden Haftungsfolgen für die Gesellschafter.
  • Mit dem Brexit fiele der führende Finanzplatz London aus dem europäischen Regel- und Aufsichtssystem (ESFS) heraus. EU-Recht, etwa die in wenigen Tagen in Kraft tretende EU-Marktmissbrauchsverordnung, würde nicht mehr gelten. Die Vorteile der Kapitalmarktharmonisierung gingen so wieder verloren.

 

2. Verträge und Prozessführung

Infolge eines Ausscheidens aus der EU wären die britischen Gerichte nicht mehr an die Rom-Verordnungen gebunden. Dadurch entsteht eine Unsicherheit, ob zukünftig das aus deutscher Sicht auf ein Rechtsverhältnis anwendbare Sachrecht auch dasjenige ist, das aus britischer Sicht auf dieses Rechtsverhältnis Anwendung findet.

Auch an die EU-Verordnung zur Zuständigkeit der Gerichte eines Mitgliedstaates für einen Rechtsstreit und zur Lösung von Kompetenzkonflikten zwischen Gerichten mehrerer Mitgliedstaaten wären britische Gerichte nicht mehr gebunden. Ebenso würden die Vereinfachungen im Hinblick auf

  • die automatische Anerkennung eines mitgliedstaatlichen Urteils in den anderen Mitgliedstaaten; sowie
  • die Inanspruchnahme von Rechtshilfe in Gerichtsverfahren bei grenzüberschreitenden Streitigkeiten
    entfallen.

 

3. Übernahmen und M&A Transaktionen

Die Übernahme börsennotierter Gesellschaften vollzieht sich auf der Grundlage nationalen, wenngleich auf Grundlage von Richtlinien harmonisierten, Rechts. Bei einem Auseinanderdriften der Systeme im Laufe der Zeit könnten Wertpapiere, die sowohl im Vereinigten Königreich als auch in einem EU Mitgliedsstaat notiert sind, zwei unterschiedlichen Regelungsregimen unterfallen.

Rechtliche und wirtschaftliche Unwägbarkeiten im Hinblick auf die Konsequenzen des Brexit werfen auch im Rahmen von M&A Transaktionen außerhalb von öffentlichen Übernahmen eine Reihe von Fragen auf:

  • Löst bereits das Referendum MAC Klauseln in bestehenden Verträgen aus?
  • Absicherung der rechtlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen des Brexit in laufenden und künftigen Transaktionen?
  • Wie können wirtschaftliche Unsicherheiten aufgrund des Brexit bei dem Abschluss von langfristigen Nebenvereinbarungen berücksichtigt werden?

 

4. Arbeitsrecht

Arbeitsrechtlich könnte  der Brexit Auswirkungen im Bereich der Mitbestimmung und der grenzüberschreitenden Tätigkeit von Arbeitnehmern haben:
  • Vorbehaltlich abweichender Vereinbarungen wären britische Arbeitnehmer bzw. deren Gewerkschaftsvertreter in grenzüberschreitenden Arbeitnehmergremien nicht mehr beteiligt. Dies könnte zu Neuwahlen und einer veränderten Zusammensetzung des europäischen Gremiums sowie möglicherweise sogar zu einer Änderung des anwendbaren Rechtsstatuts führen.
  • Die EU-Grundprinzipien der Arbeitnehmerfreizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit sowie die europäische VO (EG) 883/2004 zur Koordinierung der sozialen Sicherungssysteme fänden insoweit keine Anwendung mehr. Für international tätige Unternehmen bedeutet dies eine Einschränkung bei der Flexibilität des Personaleinsatzes, da zukünftig Visa und Arbeitserlaubnisse für Arbeitnehmerentsendungen erforderlich würden.

 

5. Finanzwirtschaft

Der Verlust des sogenannten „Europäischen Passes“ würde für Einlagenkreditinstitute und Wertpapierunternehmen aus dem Vereinigten Königreich bedeuten, dass sie in den EU Mitgliedstaaten grundsätzlich nicht tätig werden können. Ein von der zuständigen britischen Behörde gebilligter Wertpapierprospekt könnte dann nicht mehr ohne Weiteres in den EU-Mitgliedstaaten für Börsenzulassungen oder öffentliche Angebote des jeweiligen Wertpapiers genutzt werden.

Zudem ist für die Finanzwirtschaft zu berücksichtigen:

  • eine außerhalb der EU ansässige Clearing Counterparty (CCP) darf Clearing-Dienstleistungen nur erbringen, wenn sie von der European Securities and Markets Authority (ESMA) anerkannt wurde;
  • es könnte Auswirkungen auf z.B. Auslagerungsvorgänge (Aufsichtsrecht und Datenschutz) und Finanzierungsverträge (Abzug von Quellensteuern, Kündigung wegen Rechtswidrigkeit / Illegality, Rechtswahl und -verfolgung) geben.

 

6. Versicherungswirtschaft

Der Europäische Pass für Versicherer und Vermittler dürfte entfallen mit weitreichenden Konsequenzen: Eine Geschäftstätigkeit von britischen Versicherern in EU-Staaten und damit auch in Deutschland auf der Basis der Dienstleistungsfreiheit entfällt völlig. Für das Geschäft über Niederlassungen gelten dann die Drittstaatenregelungen und könnten Anpassungen der gesellschaftsrechtlichen und der Kapitalstruktur erfordern. Weitere Schwierigkeiten sind zu erwarten u.a. für
  • grenzüberschreitende Verschmelzungsvorgänge und Bestandsübertragungen
  • Verwaltung langfristiger grenzüberschreitender Verträge (Aufsichtsrecht, Rechtswahl und -verfolgung)
  • Auslagerungsvorgänge (Aufsichtsrecht und Datenschutz)
  • Investitionen in britische Vermögenswerte und Staatsanleihen
Unmittelbar geltende Solvency II-Regeln sind in britisches Recht zu überführen. Ob die Äquivalenz anerkannt wird, wäre bei unterschiedlichen Regulierungsstandards fraglich.

 

7. Kapitalanlagen

Der Europäische Pass für EU-Kapitalverwaltungsgesellschaften im Vereinigten Königreich entfällt mit dem Brexit. Verwaltung von Fondsvermögen durch  britische Manager sowie der Vertrieb von Fondsanteilen innerhalb der EU werden dadurch komplexer. Der Brexit könnte auch Auswirkungen auf Bestandsinvestments haben, wie z.B.:
  • Vorgaben zur Belegenheit von Anlagen (z.B. Sicherungsvermögen innerhalb der EWR).
  • Ggf. außerordentlicher Kündigungsgrund (z.B. Rechtswidrigkeit / illegality).
  • Einfluss auf vertragliche (Erstattungs-)Regelungen zum Abzug von Quellensteuern nach europäischen Vorgaben.

 

8. Steuerrecht

Vergünstigungen unter EU Richtlinien fallen für wirtschaftliche Beziehungen über die Grenzen des Vereinigten Königreichs weg. Dies könnte zu einer erhöhten Quellensteuerbelastung auf Ausschüttungen zwischen verbundenen Unternehmen aus dem Vereinigten Königreich in die EU und umgekehrt führen. Hier gelten nach dem Brexit grds. die entsprechenden DBA-Steuersätze. Daneben würden steuerneutrale Umwandlungen über die Grenze zwischen dem Vereinigten Königreich und der EU nicht mehr möglich sein. Dies betrifft auch Restrukturierungen der Vergangenheit, in denen Haltefristen noch nicht abgelaufen sind. Das Erfordernis der Steuerverstrickung von stillen Reserven in der EU würde dann für im Vereinigten Königreich befindliche Vermögenswerte verletzt.

Weitere Auswirkungen könnte der Brexit unter anderem auch auf folgende Bereiche des Steuerrechts haben:

  • Das Vereinigte Königreich muss seine Umsatzsteuergesetzgebung überdenken. Daneben werden Vergünstigungen wie etwa die Möglichkeit des one-stop-shop-Umsatzsteuerverfahrens innerhalb der EU für das Vereinigte Königreich  nicht mehr zur Verfügung stehen.
  • Das Vereinigte Königreich wird Freihandelsabkommen neu abschließen müssen. Zudem benötigen britische Unternehmen für zollrechtliche Privilegien künftig einen Vertreter in der EU.
  • Für natürliche Personen kann der Brexit unmittelbar zu Steuerzahlungspflichten aus Wegzugsteuer führen. Da Wegzugsteuern regelmäßig gestundet werden solange der Betroffene in der EU ansässig ist, führt ein EU-Austritt bei britischem Wohnsitz zum Wegfall der Stundung und damit zur Fälligkeit der betroffenen Steuern.

 

9. Gewerblicher Rechtsschutz

Im gewerblichen Rechtsschutz stellt sich vor allem anderen die Frage nach der Zukunft der gewerblichen Schutzrechte:
  • Bei den Marken etwa tauchen Probleme für den auf, der auf die Gemeinschaftsmarke vertraut und englische, nationale Marken aufgegeben oder bisher nicht beantragt hat – welche Wirkung die EU-Marke künftig im Vereinigten Königreich haben wird, ist nicht klar.
  • Auch ist unklar, ob das europäische Patentsystem jetzt wie geplant kommen wird.
  • Daneben werden vertragliche Fragen entstehen, etwa bei Lizenzverträgen: Gilt die für das Gebiet der Europäischen Union erteilte Lizenz nach einem Austritt auch im Vereinigten Königreich fort?

 

10. Kartellrecht

Das EU Kartellrecht wird für britische Unternehmen auch nach einem Brexit weiterhin Bedeutung haben, wenn sich bestimmte Maßnahmen innerhalb der EU auswirken. Ebenso werden Unternehmen aus EU-Mitgliedstaaten das nationale britische Kartellrecht zu beachten haben, wenn ein Maßnahme Auswirkungen im Vereinigten Königreich hat.

Auswirkungen sind zudem in folgenden Bereichen denkbar:

  • In Zukunft werden Transaktionen, die sowohl die Schwellenwerte der EU Fusionskontrollverordnung als auch die Schwellenwerte des britischen Rechts erreichen, parallel bei der EU Kommission und der britischen Kartellbehörde angemeldet werden müssen.
  • Da die EU-Beihilfekontrolle keine Anwendung mehr findet, könnte das Vereinigte Königreich einen großzügigeren Beihilferechtsrahmen setzen.
  • Es ist nicht ausgeschlossen, dass mittel- bis langfristig im Vereinigten Königreich andere (prozessuale) Regelungen für Follow-on-Klagen im Bereich von kartellrechtlichen Schadensersatzansprüchen implementiert werden als in der EU.

 

11. Datenschutz

Bis zum Wirksamwerden des Austritts aus der EU dürfen personenbezogene Daten weiterhin aufgrund der selben rechtlichen Bestimmungen im Vereinigten Königreich verarbeitet werden wie in Deutschland oder anderen EU-Ländern. Ab Wirksamwerden des Brexit wird das Vereinigte Königreich dann aber zu einem „unsicheren Drittland“ i.S.d. gegenwärtigen Datenschutzrechts und der neuen Datenschutzgrundverordnung.

Dies bedeutet:

  • Für Datenübermittlungen in das Vereinigte Königreich gelten zusätzliche Anforderungen, etwa Abschluss von EU-Standardverträgen.
  • Einfacher wird es, wenn Großbritannien und die EU im Rahmen der Austrittsverhandlungen eine vereinfachte Lösung beschließen, z.B. Anerkennung des Vereinigten Königreichs als sogenannter „sicherer Drittstaat“ durch die EU Kommission bzw. ein EU-UK Privacy Shield.

 

12. Exportkontrolle

Nach einem Brexit wäre der genehmigungsfreie Export von Dual-Use Gütern in das Vereinigte Königreich nicht mehr möglich. Dies betrifft eine Vielzahl von Waren (exportkontrollierte Werkzeugmaschinen, Chemikalien, Halbleiter, besonders leistungsfähige Computer, Sensoren, Laser, etc.) sowie dazugehörige Software und Technologie. Welche Ausfuhrbestimmungen das Vereinigte Königreich für Exporte aus dem Vereinigten Königreich in die EU aufstellt, unterliegt nach dem Brexit der britischen Gesetzgebungshoheit. Das Vereinigte Königreich ist allerdings Teilnehmer an zahlreichen internationalen Regimen der Exportkontrolle, die den Rahmen für das Vereinigte Königreich vorgeben.

 

13. Umweltrecht

 In einigen Bereichen des Umweltrechts werden sich Herausforderungen stellen:
  • Bei der grenzüberschreitenden Verbringung von Abfällen wäre zu berücksichtigen, dass das Vereinigte Königreich dann als „Drittstaat“ im Sinne der EU-Abfallverbringungsverordnung anzusehen wäre, wodurch die Notifizierungs- und Zustimmungserfordernisse für Verbringungen in das Vereinigte Königreich komplexer werden.
  • Hinsichtlich der Einfuhr von Chemikalien in die EU eines nicht in der Gemeinschaft ansässigen Herstellers bedarf es für diese Einfuhr eines Vertreters mit Sitz in der EU, der als alleiniger Vertreter die Verpflichtungen für Importeure nach der REACH-Verordnung erfüllt.

 

14. Außenhandel / International Trade

Die Auswirkungen des Brexit auf den Außenhandel sind unter Umständen signifikanter Natur:
  • Die (Frei-)Handelsabkommen, die die EU mit anderen Staaten geschlossen hat müssten nach dem Brexit neu verhandelt werden.
  • Auf europäischer Ebene werden sicherheitspolitische Aspekte des internationalen Warenverkehrs durch den Zugelassenen Wirtschaftsbeteiligten (AEO – Authorised Economic Operator) angesprochen. Der AEO-Status ist in vielen Industrien mittlerweile ein (auch bei den Geschäftspartnern erwarteter) Sicherheitsstandard, der im Zollgebiet der EU ansässigen Unternehmen zudem zahlreiche Vergünstigungen bei sicherheitsrelevanten Zollkontrollen gewährt. Diese stehen dem Vereinigten Königreich nach dem Brexit erst einmal nicht mehr offen.

Dr. Stephan König ist Rechtsanwalt und Partner bei Oppenhoff & Partner Rechtsanwälte Steuerberater mbB in Köln.

 

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