So verflochten ist die deutsche Industrie

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Die deutsche Industrie ist das Rückgrat der wirtschaftlichen Globalisierung Deutschlands und prägt durch enge Export- und Importverflechtungen maßgeblich die Integration in internationale Wertschöpfungsketten. Wie genau, hat eine Studie des ifo Instituts herausgearbeitet.

Die Studie analysiert die globalen Wertschöpfungsverflechtungen der deutschen Industrie im Zeitraum von 1995 bis 2022. Die Autoren Andreas Baur und Professor Dr. Lisandra Flach zeigen, dass knapp 60% der industriellen Wertschöpfung in Deutschland direkt oder indirekt von der Nachfrage im Ausland abhängen und etwa 30% der Endproduktion auf importierte Vorleistungen zurückzuführen sind.

Die deutsche Wirtschaft ist somit stark in globale Wertschöpfungsnetzwerke eingebunden. Insbesondere die deutsche Industrie spielt für diese weltwirtschaftliche Integration eine entscheidende Rolle, was besonders im Vergleich zu anderen Wirtschaftssektoren deutlich wird. Mit 46% wird knapp die Hälfte der deutschen Industrieproduktion direkt ins Ausland exportiert. Für die Landwirtschaft und den Bergbau in Deutschland liegt der entsprechende Anteil dagegen lediglich bei 13%, im Dienstleistungssektor bei noch niedrigeren 8%.

Komplexe globale Wertschöpfungsketten wurden zu einem zentralen Element der Weltwirtschaft

Für die Industrie spielt dabei besonders der Export von Vorleistungen eine wichtige Rolle. So werden rund 26% der industriellen Produktion in Deutschland in Form von Zwischengütern unmittelbar in andere Länder verkauft, wo sie im Rahmen von internationalen Produktionsnetzwerken weiterverarbeitet werden. 20% der deutschen Industrieproduktion sind bereits fertig produzierte Endprodukte, die im Ausland direkt als Konsum- oder Investitionsgüter nachgefragt werden. Doch die deutsche Industrie ist außenwirtschaftlich nicht nur stark in den Export, sondern auch in den Import eingebunden So nutzen deutsche Unternehmen des Verarbeitenden Gewerbes ausländische Vorleistungen in Höhe von rund 23% ihres gesamten Produktionswertes.

Der internationale Handel mit Vorleistungen, der auch die Außenwirtschaftsstruktur der deutschen Industrie stark prägt, hat sich seit den 1990er Jahren zu einem zentralen Element der Weltwirtschaft entwickelt. Diese Entwicklung wurde durch mehrere Faktoren begünstigt, darunter signifikante Fortschritte im Bereich der Informations – und Kommunikationstechnologie, umfassende Handelsliberalisierungen sowie die wirtschaftliche Öffnung Chinas und die Integration der Länder des ehemaligen Ostblocks in die Weltwirtschaft. Diese Veränderungen ermöglichten es Unternehmen zunehmend, Vorleistungen aus dem Ausland zu beziehen oder bestimmte Produktionsstufen an internationale Standorte auszulagern. Als Konsequenz dieser Entwicklung sind Produktionsprozesse heute häufig über verschiedene Länder und Standorte hinweg organisiert, wodurch komplexe globale Wertschöpfungsketten entstanden sind.

Bedeutende Wohlfahrtseffekte

Die Integration in globale Wertschöpfungsketten bringt aus volkswirtschaftlicher Perspektive bedeutende Wohlfahrtseffekte mit sich, die über die traditionellen Handelsgewinne durch den grenzüberschreitenden Austausch von Endprodukten hinausgehen. Theoretische Modelle des internationalen Handels zeigen, dass die Wohlfahrtsgewinne durch die internationale Arbeitsteilung in einer Welt mit Vorleistungshandel im Durchschnitt um etwa 75% höher ausfallen als in einer hypothetischen Welt ohne solche Verflechtungen.

Diese zusätzlichen Wohlfahrtsgewinne entstehen aus mehreren Gründen: Erstens ermöglicht der Zugang zu ausländischen Vorleistungen Unternehmen, von einer größeren Vielfalt an Inputs sowie von qualitativ hochwertigeren oder kostengünstigeren Komponenten zu profitieren. Eine Vielzahl von wissenschaftlichen Studien hat dokumentiert, dass der Zugang zu importierten Vorleistungen zu signifikanten Produktivitätssteigerungen führt.

“Mehrere Studien zeigen, dass die US-Zölle, die in den Jahren 2018 und 2019 während der ersten Präsidentschaft Donald Trumps eingeführt worden, den Exportaktivitäten der US-amerikanischen Unternehmen geschadet haben, weil sie den Zugang zu Vorleistungen für US-amerikanische Unternehmen deutlich verteuerten”

Insbesondere der Zugang zu einer größeren Vielfalt an Zwischengütern ist ein entscheidender Faktor für diese Produktivitätsgewinne. Ein zweiter wichtiger Vorteil sind die Wissens- und Technologietransfers, die durch internationale Produktionsnetzwerke entstehen. Wenn beispielsweise deutsche Unternehmen mit internationalen Partnern zusammenarbeiten, findet ein Austausch von Know-how, Managementpraktiken und technologischem Wissen statt. Dieser Austausch fließt in beide Richtungen und sorgt für Innovationen und Verbesserungen auf allen Seiten. Letztlich ermöglicht die Teilnahme an globalen Wertschöpfungsketten eine verfeinerte Form der internationalen Arbeitsteilung: Unternehmen und Volkswirtschaften können sich auf jene Produktionsstufen spezialisieren, in denen sie komparative Vorteile besitzen. Dies führt zu einer effizienteren Ressourcenallokation und erhöht die Effizienz entlang der gesamten Wertschöpfungskette.

Für eine exportorientierte Volkswirtschaft wie Deutschland ist der Zugang zu ausländischen Vorleistungen besonders wichtig. Wie mehrere Studien empirisch belegen, führt ein verbesserter Zugang zu importierten Inputs nicht nur zu Kostensenkungen, sondern steigert auch die Exportleistung der Unternehmen. Import- und Exportaktivitäten sind also eng miteinander verknüpft, was wichtige handelspolitische Implikationen mit sich bringt. So zeigen mehrere Studien, dass die US-Zölle, die in den Jahren 2018 und 2019 während der ersten Präsidentschaft Donald Trumps eingeführt worden, den Exportaktivitäten der US-amerikanischen Unternehmen geschadet haben, weil sie den Zugang zu Vorleistungen für US-amerikanische Unternehmen deutlich verteuerten. Die Beschäftigungseffekte der Zölle waren dadurch auch für die US-amerikanische Industrie insgesamt negativ.

Die Spielregeln des internationalen Handels verändern sich

Die globale Verknüpfung von Produktionsprozessen über Wertschöpfungsketten hat in den vergangenen Jahrzehnten den Welthandel maßgeblich geprägt. Allerdings sieht sich diese hochgradig vernetzte Produktionsstruktur zunehmend mit einem grundlegen den Wandel des weltwirtschaftlichen Umfelds konfrontiert. Geopolitische Spannungen, wachsender Protektionismus und ein verstärktes Bewusstsein für Versorgungsrisiken verändern zunehmend die Spielregeln des internationalen Handels. Die COVID-19 Pandemie hat mit ihren weitreichenden Lieferkettenunterbrechungen die Verwundbarkeit global optimierter Produktionsnetzwerke in den öffentlichen Fokus gerückt. Gleichzeitig bietet gerade die internationale Arbeitsteilung die Möglichkeit, durch Diversifizierung von Zulieferern und Absatzmärkten widerstandsfähigere Produktionsstrukturen zu schaffen, als dies bei rein national organisierter Produktion möglich wäre. Auch die wachsende geoökonomische Rivalität zwischen den großen Wirtschaftsblöcken könnte zu einer zunehmenden Fragmentierung der Weltwirtschaft führen, mit potenziell negativen Folgen für exportorientierte Volkswirtschaften wie Deutschland, insbesondere für die Industrie .

So zeigt die Analyse der globalen Wertschöpfungsverflechtungen in der deutschen Industrie, dass sich deren Einbindung in den Weltwirtschaft seit den 1990er Jahren deutlich verändert hat. Mit einem Anteil von knapp 60% der industriellen Wertschöpfung, die direkt oder indirekt im Ausland nachgefragt werden, und rund 30% der industriellen Endproduktion, die auf importierte Vorleistungen zurückzuführen sind, zeigt sich die große Bedeutung der Integration in globale Wertschöpfungsketten für die deutsche Industrie.

“Auffällig ist, dass andere große EU-Mitgliedstaaten wie Frankreich, Italien und Polen insbesondere bei den Rückwärtsverflechtungen einen deutlich höheren Anteil ausländischer Wertschöpfung in ihrer Industrieproduktion aufweisen”

Im internationalen Vergleich nimmt Deutschland dabei eine mittlere Position ein– zwischen hochintegrierten kleineren EU-Ländern wie Luxemburg, Ungarn und der Slowakei einerseits und großen Volkswirtschaften wie den USA, China und Japan andererseits. Auffällig ist, dass andere große EU-Mitgliedstaaten wie Frankreich, Italien und Polen insbesondere bei den Rückwärtsverflechtungen einen deutlich höheren Anteil ausländischer Wertschöpfung in ihrer Industrieproduktion aufweisen. Grundsätzlich ist es auffallend, dass die EU Mitgliedstaaten im globalen Vergleich besonders stark in internationale Produktionsnetzwerke eingebunden sind, wobei diese Verflechtungen zu einem erheblichen Teil innerhalb des europäischen Wirtschaftsraums stattfinden.

Die zeitliche Entwicklung der Wertschöpfungsverflechtungen in der deutschen Industrie offenbart dabei zwei charakteristische Phasen: Zunächst eine deutliche Zunahme der Verflechtungsintensität von 1995 bis zum Anfang der 2010er Jahre, gefolgt von einer Stagnation und teilweise leicht rückläufigen Tendenz in den Folgejahren. Eine Ausnahme bildet das Jahr 2022, in dem der Anteil ausländischer Vorleistungen an der Industrieproduktion deutlich gestiegen ist. Der gleichzeitig starke Anstieg der deutschen Importpreise könnte aber einer der Haupttreiber dieser Entwicklung sein, weshalb es deutlich verfrüht wäre, hier von einer Trendumkehr zu sprechen.

Der europäische Binnenmarkt ist der zentrale außenwirtschaftliche Anker der deutschen Industrie

Die regionale Analyse der Wertschöpfungsverflechtungen verdeutlicht die besondere Bedeutung der Europäischen Union als Absatzmarkt und Lieferant von Vorleistungen für die deutsche Industrie. Mit einem Anteil von rund 26% an der industriellen Wertschöpfung, die in andere EU-Mitgliedstaaten exportiert werden, und etwa 13% der Endproduktion, die auf Vorleistungen aus der EU zurückgehen, erweist sich der europäische Binnenmarkt als zentraler außenwirtschaftlicher Anker der deutschen Industrie. Die dynamischste Veränderung im Betrachtungszeitraum betrifft China, dessen Bedeutung sowohl als Absatzmarkt als auch als Lieferant von Vorleistungen kontinuierlich zugenommen hat und heute in ähnlichen Größenordnungen liegt wie die der USA (jeweils etwa 7% bei Vorwärtsverflechtungen und rund 3% bei Rückwärtsverflechtungen).

Die branchenspezifische Betrachtung schließlich offenbart erhebliche Unterschiede im Grad der internationalen Verflechtung, insbesondere bei den Vorwärtsverflechtungen einzelner Branchen. Besonders abhängig von der Nachfrage im Ausland mit Wertschöpfungsanteilen von über 70%, die direkt oder indirekt ins Ausland exportiert werden, zeigen sich die pharmazeutische Industrie, die chemische Industrie und die Metallerzeugung und bearbeitung. Bei den Rückwärtsverflechtungen stechen die Mineralölverarbeitung sowie die Metallerzeugung und bearbeitung durch ihre besonders starke Abhängigkeit von ausländischen Vorleistungen hervor.

Die ganze Studie steht hier zum Download 

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Bild oben: Shutterstock

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