Kernkompetenzen: Wichtig, aber nicht für die Kunden

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Um den Begriff Kernkompetenzen gab es schon zahlreiche Verwirrungen.

Obwohl in mancher Literatur vorgegaukelt wird, dass es sich bei dem Begriff der «Kernkompetenz» um einen Modebegriff handle, der von Managementberatern erfunden wurde, um neue Projekte und Programme zu verkaufen, wird diese Behauptung auch durch häufigere Wiederholung nicht richtiger. Für ein Unternehmen ist es essenziell, sich mit seinen Kernkompetenzen auseinanderzusetzen, ja, sie erst einmal zu kennen. Dies vorausgeschickt, müssen wir uns damit beschäftigen, was unter einer «Kernkompetenz» überhaupt verstanden wird, will man den Begriff in den Werkzeugkasten zur Schaffung profitablen Wachstums integrieren:

Begriffsbestimmung

Zunächst einmal handelt es sich bei einer Kernkompetenz um eine Fähigkeit, um etwas, das ein Unternehmen kann. Dies ist insofern wichtig, als dass auf die Frage nach den Kernkompetenzen eines Unternehmens häufig von der Unternehmensführung und dem Management Dinge angeführt werden, über die das Unter-nehmen verfügt, wie zum Beispiel ein dichtes Niederlassungsnetz, gute Mitarbeiter, gute Kundenbeziehungen. Bei Begriffen dieser Art im Allgemeinen und den drei vorstehend genannten im Besonderen handelt es sich aber nicht um Kernkompetenzen, denn Kernkompetenzen kann man jemandem nicht wegnehmen. Ein dichtes Niederlassungsnetz indes kann ausgedünnt werden, gute Mitarbeiter können das Unter-nehmen verlassen und gute Kundenbeziehungen können durch Kundenfluktuation wegfallen. Der Begriff «Kompetenz» stammt nicht von «haben» oder «besitzen», sondern von «können». Die Kernkompetenzen müssen überdies einen wesentlichen Unterschied zum Wettbewerb ausmachen. Sie dürfen nicht ohne Weiteres kopierbar sein, sollen auf Erfahrung, Wissen und Können des Unternehmens beruhen und – besonders wichtig – sie müssen einen wesentlichen Wettbewerbsvorteil ermöglichen. Die Suche nach den Kernkompetenzen eines Unternehmens ist überaus spannend. Üblicherweise gelangt man, wenn die richtigen Menschen im Raum versammelt sind, von einer Vielzahl vermeintlicher Kernkompetenzen zu einer «Kurzliste», die, adäquate Besetzung der Arbeitsgruppe vorausgesetzt, vermutlich bereits die wesentlichen Kernkompetenzen des Unternehmens enthalten wird. Bereits der Dialog darüber lohnt ungemein, wird hierbei doch mit allfälligen Irrtümern aufgeräumt und ein Fokus darauf gelegt, was das Unternehmen tatsächlich besonders gut kann und nicht nur meint, besonders gut zu können. Nahezu jedes Unternehmen verfügt über solche Kernkompetenzen, unabhängig davon, in welcher Branche es sich befindet. In einem Strategieprojekt mit einem kommunalen Großklinikum in Deutschland kamen wir auf die Kernkompetenzen des Klinikums und seiner Fachabteilungen zu sprechen, was den ärztlichen Direktor sichtlich irritierte, war er doch nicht gewohnt, in diesen betriebswirtschaftlichen Begriffen und Dimensionen zu denken. Glücklicherweise gelang es uns, ihn, auch mithilfe der kaufmännischen Leitung des Klinikums, von der Erfordernis zu überzeugen, die Kernkompetenzen herauszuarbeiten und sie zu nutzen, um gezielte Leistungsbündel zu schnüren. Die Auseinandersetzung gipfelte übrigens in dem Satz Herr Quelle, Patienten sind keine Kunden, Patienten sind Leidende! – Doch das ist eine andere Geschichte.

Die 3-Spalten-Übung

In zahlreichen meiner Vorträge bitte ich die Teilnehmer häufig, ein Blatt in drei Spalten zu unterteilen und Folgendes zu tun (möglicherweise mag der Leser dies jetzt ebenfalls tun): Die linke Spalte erhält die Überschrift (Kern-) Kompetenzen: Was können wir besonders gut? In diese Spalte gelangen all die vermeintlichen besonderen Fähigkeiten des Unternehmens, die das Können dieses Unternehmens ausmachen. Die mittlere Spalte wird überschrieben mit «Produkte und Leistungen». Hier kann alles notiert werden, was durch die Bündelung der (Kern-)Kompetenzen an Produkten und Leistungen des Unternehmens entsteht. Die Frage ist also: Was tun wir mit all unseren Kompetenzen? Die dritte Spalte erhält die Überschrift «Nutzen». Hier wird notiert, welcher tatsächliche, nachweisbare Nutzen für die Kunden durch die Produkte und Leistungen entsteht. Wenn dies geschehen ist – üblicherweise gebe ich den Teilnehmern meiner Vorträge dafür maximal 5 Minuten Zeit –, bitte ich alle, die ersten beiden Spalten  direkt wieder zu streichen, denn es kommt ausschließlich auf den Inhalt der dritten Spalte an. Die Reaktionen der Zuhörer sind üblicherweise ein Gemisch aus erkennendem Lachen und intensivem Widerspruch, denn schließlich komme es sehr wohl darauf an, welche Fähigkeiten ein Unternehmen habe, selbstverständlich seien die Produkte und Leistungen wichtig und überdies sei das Ganze ohnehin nicht so einfach. Ob dies einfach ist, sei dahingestellt. Wichtig ist, dass es den Kunden wesentlich weniger wichtig ist, welche Kompetenzen ein Unternehmen hat als das, was aus diesen Kompetenzen entsteht. Genauer: Interessant ist, welchen Nutzen Kunden haben, wenn sie das, was aus den Kompetenzen entsteht, anwenden, nutzen, einsetzen.

Kernkompetenzen bündeln oder übertragen

Es dürfte auf der Hand liegen, dass Kernkompetenzen niemals ausgelagert werden sollen und aus unternehmerischer und strategischer Sicht auch nicht ausgelagert werden dürfen. Die Kür nach der Erkenntnis besteht darin, Kernkompetenzen miteinander zu verknüpfen, um neue Leistungsangebote und Produkte zu schaffen oder Kernkompetenzen so zu übertragen, dass sie weiteren Kundengruppen zur Verfügung stehen. Wachstumsintelligenz entsteht dann, wenn es gelingt, aus den bestehenden Kernkompetenzen etwas Neues zu schaffen, und dies ist mitnichten ein Hexenwerk, sondern Resultat einer stringenten Methodik. Auch das gezielte Aufbauen und Übertragen von Kernkompetenzen ist möglich – ein langer Atem darf hier vor-ausgesetzt werden: Einer unserer Klienten, ein pharmazeutisches Großhandelsunternehmen, entdeckte seinerzeit, dass es fatal sei, die Distribution von den Niederlassungen in die Apotheken ausgelagert zu haben – insbesondere, weil es sich bei dem Dienstleistungsunternehmen um eine Tochtergesellschaft eines Wettbewerbsunternehmens handelte. Wir haben unseren Klienten dabei unterstützt, eine Logistikgesellschaft aufzubauen, die unserem Klienten nun eine Unabhängigkeit in den Distributionskanälen ermöglichte. Dabei haben wir gemeinsam mit unserem Klienten Stück für Stück die Kernkompetenz «Mikrologistik» für das Unternehmen auf-gebaut. Nachdem diese Kernkompetenz gereift war, konnte die junge Logistikgesellschaft ihre Leistungen auch frei am Markt anbieten, um weitere Kunden zu akquirieren. Dies gelang und auf diese Weise erwirtschaftete unser Klient zusätzliche Erträge. Ein klassisches Beispiel dafür, eine Kernkompetenz aufzubauen, zur Reife zu entwickeln und dann zu multiplizieren. Wachstum entsteht eben nicht durch Mehr des Gleichen.

 

 

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