Aspekte einer wachstumsorientierten Führung

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Der Prozess profitablen Wachstums kann von der Unternehmensleitung allein nicht gewährleistet werden. Es bedarf weiterer interner Kräfte, die unterstützend wirken. Worauf kommt es bei wachstumsorientierter Führung an?

Wachstum ist kein Foto, Wachstum ist kein Film. Mit anderen Worten: Wachstum, vor allem profitables Wachstum, ist kein Projekt, sondern ein Prozess, eine Denkhaltung. Eine hohe Führungsqualität von Führungskräften ist dazu nicht nur auf der Ebene der Unternehmensführung erforderlich, das würde diese massiv überfordern, wäre sie doch auf diese Weise auf sich selbst und auf sich allein gestellt. Vielmehr bedarf es auch interner Protagonisten, die in der Lage sind, fallweise und bedarfsorientiert das Steuer in die Hand zu nehmen. Mehr noch: Es bedarf nicht nur guter Führungskräfte, sondern auch exzellenter Fachexperten. Hier sind fünf Aspekte wachstumsorientierter Führung:

1. Führung als Vorbild
2. Voranschreiten als Führungsprinzip
3. Situative Führung
4. Nutzenkommunikation
5. Führungskräfte und Fachexperten balancieren

 1. Führung als Vorbild

Immer wieder wird in der Fachpresse oder auch in Kommentaren von selbst ernannten Führungsexperten behauptet, es bedürfe keiner Vorbilder, das Vorbild-Sein habe sich überlebt. Vor einiger Zeit behauptete gar ein Buchautor, man dürfe den Führungskräften die Pflicht, Vorbild zu sein, nicht auferlegen, denn dies würde sie überfordern. Die Frage, die sich dem aufmerksamen Leser bei der Konsumierung dessen doch unmittelbar stellt, ist: Wofür werden Führungskräfte denn bezahlt, wenn nicht dafür, im Rahmen ihrer Führung auch eine Vorbildfunktion auszuüben? Diese Frage bleibt in der  Regel unbeantwortet. Selbstverständlich bedarf es der Vorbilder, und zwar nicht nur in unseren Unternehmen, sondern auch in der Gesellschaft. Selbstverständlich haben diejenigen, die Führungsverantwortung übertragen bekommen, eine herausragende Funktion, der sie mit einem vorbildlichen Verhalten gerecht werden müssen. Selbstverständlich wird Führungskräften eine besondere Aufmerksamkeit im Unternehmen zuteil – je mehr  Mitarbeiter sie führen, desto größer wird diese Aufmerksamkeit. Damit sind wir auch bei einem wesentlichen Punkt angelangt: Die Diskussion, ob wir Vorbilder in unseren Unternehmen benötigen, ist obsolet. Führungskräfte sind Vorbild, ob sie dies wollen oder nicht. Jeden Tag werden Führungskräfte von ihren Mitarbeitern gesehen, das   Verhalten wird kommentiert, bewertet und – wenn es zum Erfolg führt – kopiert, denn was die Führungskraft erfolgreich tut, muss schließlich richtig sein. Das Kopieren von Verhalten führt dazu, dass in Unternehmen und Organisationen häufig durchgängige Verhaltensmuster beobachtbar sind. In meiner Beratungspraxis habe ich es mir zur Gewohnheit gemacht, zu Terminen häufig früher zu erscheinen, mich am Empfang anzumelden und noch bis zum Termin in der Lobby, der Halle oder einem Büro zu warten. Wie sind die Dialoge der Mitarbeiter auf den Gängen? Wie reagiert der Empfang auf Anrufe, Anfragen, den Paketboten? Wie ist der Ton, wie ist der Umgang untereinander? Die hier beobachtbaren Verhaltensmuster sind häufig tatsächlich Muster, die sich durch das ganze Unternehmen ziehen.
Führung ist Vorbild, ob sie es will oder nicht. Wachstumsorientierte Unternehmen wissen dies und handeln danach.

 2. Voranschreiten als Führungsprinzip

Wenn davon ausgegangen werden kann, dass wachstumsorientierte Unternehmen Führung als Vorbild verstehen, ist das  Voranschreiten als Führungsprinzip der nächste logische Schritt. Wenn eine Gruppe auf eine schwierige Bergtour geht, dann benötigt sie einen Bergführer, der voranschreitet, Gletscherspalten umgeht, Wege auswählt, die gangbar sind, Steinschlagrouten bestmöglich meidet. Sie benötigt einen Bergführer, der sich auskennt, der morgens in der Früh mit der Gruppe – oder besser: vor der Gruppe – aufsteht, der sich mit dem Wetter beschäftigt hat und der die Gruppe sicher zum Gipfel führt, indem er voranschreitet. Was die Gruppe nicht gebrauchen kann ist ein Bergführer, der ihr den Weg beschreibt und ansonsten in der warmen Hütte bei einem Jagertee auf die Rückkehr der Gruppe wartet. Voranschreiten als Führungsprinzip ist also ein weiteres Muster, das wachstumsorientierten Unternehmen zu eigen ist. Dies geht über das vorbildhafte Verhalten weit hinaus, denn das Voranschreiten reicht bis in operative Handlungen hinein. Dieses Voranschreiten der Führungskräfte wird in wachstumsorientierten Unternehmen nicht nur gefördert, sondern es wird gefordert. Der Verwaltungsrat fordert es vom Vorstand oder der Geschäftsführung, die Geschäftsführung fordert es von ihren Führungskräften und auch die Unternehmer gehen mit gutem Beispiel voran. Es stehen schwierige Verhandlungen an? Voranschreitende Führungskräfte übernehmen die Initiative. Unangenehme Kundenreklamationsgespräche sind zu führen? Voranschreitende Führungskräfte scheuen sich nicht, diese Dialoge zu führen und daraus möglicherweise neue Geschäftschancen zu kreieren. Es besteht ein krankheitsbedingter Personalengpass? Voranschreitende Führungskräfte können temporär Filialarbeiten, Sacharbeiten oder andere Dinge, die eigentlich nicht zu ihren Aufgaben gehören, übernehmen und sind sich dazu nicht zu fein. Das Faszinierende daran ist, dass sich  voranschreitende Führungskräfte eines enormen Respekts bei ihren Mitarbeitern sicher sein können, werden Führungskräfte auf der operativen Ebene doch häufig als Schreibtischtäter, die sich, wenn sie sich nicht in ihrem luxuriösen Büro verschanzen, überwiegend in Meetings oder alternativ auf Reisen befinden, abgetan. Hat eine voranschreitende Führungskraft einmal gezeigt, dass sie auch operativ handeln kann und dass sie stets, wenn sie zu Veränderungen aufruft, vorangeht, ist ihr der Respekt nahezu nicht mehr zu nehmen. Natürlich bringt dies auch Verpflichtungen mit sich. Wenn beispielsweise in Unternehmen die Devise ausgerufen wird, dass zu Meetings grundsätzlich pünktliches Erscheinen geboten ist, kann die Führungskraft sich nicht ständig mit der Ausrede verspätet zeigen, dass sie noch ein wichtiges Telefonat zu führen gehabt hätte. Das mag einmal funktionieren, aber nicht öfter. Wenn als Handlungsmaxime im Unternehmen betont wird, dass man grundsätzlich die Wahrheit sage, kann sich die am Schreibtisch sitzende Führungskraft nicht vom Sekretariat  verleugnen lassen. Dies erscheint selbstverständlich? Warum beobachtet man dann genau das gegenteilige Verhalten so häufig?
Voranzuschreiten ist mehr, als nur Vorbild zu sein. Wachstumsorientierte Unternehmen haben dies in ihren Führungsprinzipien verankert.

 3. Situative Führung

Es wird viel und häufig über Führungsstile und deren Ausprägungen und Auswirkungen geschrieben und gesprochen. Ein großer Teil der allfälligen Diskussion wird der Frage nach dem idealen Führungsstil gewidmet. Die Diskussion führt allerdings in die Irre, denn «den» richtigen Führungsstil gibt es nicht. Es kann ihn nicht geben. Der Grund dafür, dass es diesen idealen Führungsstil nicht gibt, liegt auf der Hand: Jedes Unternehmen befindet sich im Laufe seines Lebens in unterschiedlichen Situationen, in unterschiedlichen Phasen. Diese Unterschiede sind durch wandelnde Kundensituationen, wandelnde Liquiditätssituationen, sich ändernde Marktbedingungen, unterschiedliche Phasen des Innovationszyklus von Produkten und Dienstleistungen, veränderte konjunkturelle Rahmenbedingungen, geändertes Käuferverhalten und Dutzende anderer Einflussfaktoren geprägt. Wie also soll es den einen einzigen Führungsstil geben, der diesen unterschiedlichen Situationen gerecht wird? Es kann ihn nicht geben. Folgen wir diesem Gedanken, ist es eine der wesentlichen Erfolgseigenschaften einer wachstumsorientierten Führung, in der Lage zu sein, den der jeweiligen Unternehmenssituation angepassten Führungsstil zu wählen, also denjenigen Führungsstil, der die Situation bestmöglich unterstützt. Situative Führung ist gefragt. In der Phase starken Wachstums ist es zwingend erforderlich, die Leinen loszulassen, den Markt bestmöglich zu versorgen trotz des enormen Drucks, der bereits durch die hohe Nachfrage herrscht, weitere Innovationen anzustoßen und dafür Sorge zu tragen, dass die Organisation und die Prozesse nachgezogen werden, die das Fundament des starken Wachstums tragen, ohne später einen Ballast darzustellen. Hier ist ein visionärer und gleichwohl ordnender Führungsstil gefragt. In der Phase eines starken Abschwungs, im Turnaround bedarf es einer wesentlich stärkeren direkten Einwirkung der obersten Führung, gleichwohl unter Einbezug der internen Potenziale, aber wenn es brennt, muss jemand sagen, wo es langgehen soll. Die Feuerwehr diskutiert an einem Brandherd auch nicht lange. Der Brand muss gelöscht werden, und zwar so schnell wie möglich. Eine Besonderheit stellt die Stagnation oder die annähernde Stagnation dar. Hier ist ein aufrüttelnder Führungsstil erforderlich, welcher der Organisation zunächst einmal die Erkenntnis und die Einsicht ermöglicht, dass es des Handelns bedarf, denn eigentlich ist ja alles bestens: Gehälter werden bezahlt, Lieferanten werden bezahlt, es gibt Kunden, gut: man zählt nicht Zuwachsraten wie früher, aber handeln? Warum. Hier ist also Überzeugung erforderlich, während im starken Wachstum oder im starken Abschwung unmittelbar erkennbar ist, dass es des Handelns bedarf.

 4. Nutzenkommunikation

Dieses Führen durch Überzeugung ist es, das wachstumsorientierten Unternehmen stets besonders am Herzen liegt. Es wird nicht schlicht angeordnet, auch wenn dies mitunter einfacher erscheint und einen weniger großen Zeitaufwand erfordert. Es wird regelmäßig Zeit aufgewendet, um über den Nutzen bestimmter Aktivitäten und Veränderungen zu sprechen. Führungskräfte in wachstumsorientierten Unternehmen wissen, dass Veränderungen, die für die Führung noch übersichtlich erscheinen mögen, weil eben diese Führung in die Entwicklung der beabsichtigten Veränderungen eingebunden war, für die Mitarbeiter wesentlich bedeutendere Implikationen haben können. Wachstumsorientierte Führung ist dadurch gekennzeichnet, dass sie respektiert, dass für viele Mitarbeiter ein aktueller, möglicherweise nicht optimaler, aber sicherer Zustand erstrebenswerter erscheint als ein neuer, möglicherweise positiverer, aber unsicherer Zustand. Wachstumsorientierte Führung setzt auf die Beantwortung der Frage «Was ist für mich drin?» aus Sicht der Mitarbeiter. Wachstumsorientierte Führung versucht, möglichst viele Veränderungsprotagonisten zu gewinnen und möglichst viele Mitarbeiter in die Veränderungsprozesse mitzunehmen.
Menschen verändern sich in der Regel dann, wenn sie einen Nutzen von der Veränderung haben und wenn die Wahrscheinlichkeit des Eintretens dieses Nutzens möglichst hoch ist. Die Frage «Was ist für mich drin?» muss also positiv beantwortet werden können. Führungskräfte, die auf Wachstum setzen, müssen sich in die Lage der Mitarbeiter versetzen und genau diese Frage aus Sicht der Mitarbeiter beantworten: Welchen Nutzen hat eine angestrebte Veränderung? Warum sollten sich Mitarbeiter auf die Veränderung einlassen? Wachstumsorientierte Führung bedeutet, Zeit für den Dialog über angestrebte deutliche Veränderungen zu investieren, weil die Überzeugung besteht, dass das reine Anordnen in vielen Situationen nicht ausreicht, will man tatsächlich nachhaltige Veränderungen erzielen. Die anfangs investierte Zeit für präventive Kommunikation rechnet sich stets, weil sie nicht nachträglich in Korrekturen investiert werden muss.

 5. Führungskräfte und Fachexperten balancieren

Abschließend noch ein Wort zu Karrierepfaden in wachstumsorientierten Unternehmen: Im Gegensatz zu klassischen Karrieren, die sich überwiegend als Führungskarrieren darstellen, setzt wachstumsorientierte Führung auf eine ausgewogene Balance und stellt nicht nur Führungskarrieren, sondern auch Fachkarrieren für seine Mitarbeiter bereit. Dies ist insofern bedeutend, als dass es mit der traditionellen Denke bricht, dass eine Karriere davon abhängt, wie viele Mitarbeiter man unter sich hat und wie hoch das Budget ist, das man verantwortet. Viele Mitarbeiter fühlen sich in ihrer Expertenrolle wohl und nehmen eine ihnen angebotene Führungsaufgabe nur an, weil sie Sorge haben, dass sie sonst keine «Karriere» in ihrem Unternehmen machen können – ein fataler Fehler im System. Der ausschließlich über Führungskarrieren skizzierte Karrierepfad führt  sogar zu einem Doppelfehler: Die Beförderung eines Fachexperten zur Führungskraft, obwohl der Mitarbeiter in der Fachposition wesentlich besser aufgehoben wäre, führt unter Umständen dazu, dass das Unternehmen einen hochfähigen  Fachexperten verliert und eine unfähige Führungskraft gewinnt. Fatal, wie gesagt.
Warum aber scheuen Unternehmen so häufig die Parallelisierung von Fach- und Führungskarrieren? Weil es unbequem ist, weil es Traditionelles auf den Kopf stellt, weil es bedeuten würde, dass man mit Titeln und Positionsbezeichnungen grundsätzlich aufräumen muss und weil auch das Vergütungssystem inklusive jedweder geldwerten Leistung vollständig justiert werden muss. All dies sind Auf-gaben, die eine Menge Arbeit mit sich bringen. Überdies wissen in vielen Unternehmen arrivierte Führungskräfte eine solche Veränderung sehr wohl zu verhindern. Was wäre für sie drin?
Unternehmen, die sich einem nachhaltigen Wachstum verschrieben haben, diejenigen Unternehmen also, die erkannt haben, dass sie neue Wege gehen müssen, wollen sie ihre Zukunft nach wie vor selbst in der Hand behalten, wissen, dass sie auch neue Karrierewege anbieten müssen, wollen sie den Wettbewerb um die besten Talente gewinnen. Diese Unternehmen haben sich die Mühe – auch gegen interne Widerstände – gemacht, Fach- und Führungskarrieren gleichermaßen anzubieten und sie werden dafür belohnt. Wachstumsorientierte Führung bedeutet schließlich vor allem auch eines: Das Erkennen und Fördern von Talenten und nicht das Pressen von Personen in ein Schema. Dies, indes, ist etwas, das insbesondere viele Personalabteilungen noch lernen müssen. Am besten tun sie das von der Unternehmensführung.

 

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