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F&E: Einsame Insel oder integrierter Innovationsmotor?
Wie Unternehmen mit Forschung und Entwicklung umgehen und was F&E leisten soll, sind grundlegende Fragen einer erfolgsbasierten, strategischen Ausrichtung. Wie kann F&E als Gestaltungs-element profitablen Wachstums in den unternehmerischen Prozess integriert werden?
Forschung und Entwicklung (F&E) findet in nahezu jedem Unternehmen statt, dazu bedarf es keiner großen, zentralen Einheit, die, ausgestattet mit Hunderten oder gar Tausenden von Mitarbeitern, Grundlagenforschung betreibt und weltweit wirkende Innovationen hervorbringt. Forschung und Entwicklung, häufig auch schlicht «Produktentwicklung» oder «Entwicklung» genannt, bedeutet insbesondere im Mittelstand das gezielte Suchen nach Verbesserungen, auch dann, wenn es nicht institutionalisiert, nicht in einer Abteilung repräsentiert wird. Daher beginnt der erste Schritt, wenn es darum geht, Forschung und Entwicklung als Innovationsmotor zu nutzen mit der Frage: «Was bedeutet F&E für uns?» – Doch der Reihe nach: Fünf Dimensionen sind es insgesamt, die es zu berücksichtigen gilt, will man F&E tatsächlich als Innovationsmotor und damit als Bestandteil der Gestaltung profitablen Wachstums gezielt nutzen:
1. Begriffsbestimmung
2. Organisation und Einbindung
3. Informationsbeschaffung
4. Leistungsmessung
5. Perfektionsgrad
Nachfolgend werden die einzelnen Dimensionen detailliert betrachtet. Dabei wird der Begriff «F&E» der besseren Lesbarkeit halber fortgeführt:
Begriffsbestimmung
Insbesondere im Mittelstand ist es wichtig, ein gesundes Verhältnis zum Begriffsduo «Forschung und Entwicklung» zu erhalten. Zu häufig winken die Lenker mittelständischer Unternehmen ab, wenn das Gespräch auf diese Unternehmensfunktion kommt, zu häufig wird mit F&E das Bild einer Großforschungsabteilung in internationalen Konzernen verbunden und zu oft ist die Rede vom viel zitierten Elfenbeinturm. Unabhängig davon laufen Innovationsprozesse im Mittelstand ja sehr oft sehr vorzeigbar, mitunter sogar richtungsweisend, allerdings häufig auch auf dem Prinzip des Zufalls fußend oder einer Opportunität geschuldet. Es soll daher gelingen, durch eine Begriffsbestimmung, die jedes Unternehmen selbst für sich finden muss, Klarheit zu schaffen. Diese Begriffsklarheit muss aus der Unternehmensstrategie stammen, denn wenn ein Unternehmen sich als Innovationsführer versteht, wird es ein anderes Verständnis von F&E haben als ein Unternehmen, das eine Follower-Strategie verfolgt. Ein produzierendes Unternehmen verfügt über ein anderes Begriffsverständnis von F&E als ein Handelsunternehmen oder ein Dienstleistungsunternehmen. Dennoch wird in allen drei Unternehmenstypen fast sicher «geforscht» und ganz sicher «entwickelt». Die Frage ist: In welchem Masse und bis zu welchem Grad?
Der Diskurs über das, was F&E in einem Unternehmen speziell bedeutet, ist ein strategischer Diskurs, der nur unter Teilnahme der Unternehmensführung geführt werden kann.
Organisation und Einbindung
Es war bereits zu Beginn dieses Abschnitts die Rede davon, dass in vielen Unternehmen an unterschiedlichen Stellen Forschung und Entwicklung betrieben wird. Dies ist eine Kraftverschwendung, die sich insbesondere ein mittelständisches Unternehmen nicht leisten sollte. Selbstverständlich dürfen überall Ideen entwickelt werden, aber für F&E – oder auch «nur» für die Entwicklung von Produkten und Dienstleistungen – sollte es mindestens einen strukturierten Prozess im Unternehmen geben. Selbst dann, wenn ein Unternehmen darauf aktiv verzichtet, eine eigene Einheit für F&E aufzubauen, muss es einen solchen Prozess geben, der auch in der Unternehmensführung repräsentiert sein muss, will er den Stellenwert erhalten, den er verdient hat. Unabhängig davon, ob sich ein Unternehmen dafür entscheidet, eine eigene Abteilung für F&E einzurichten oder es bei einem strukturierten, aber abteilungsfreien Prozess zu belassen, ist die Schnittstelle zu den anderen Unternehmensbereichen erfolgskritisch. An der Art der Einbindung von F&E in den gesamten Unternehmenskontext entscheidet sich, ob F&E eine einsame Insel wird, die sich dann auch bald dem Vorwurf des Elfenbeinturms gegenübersehen wird, oder ob sich ein integrierter Innovationsmotor ergibt, der nicht nur durch hohe Drehzahl – Innovationsrate –, sondern auch durch hohe Marktakzeptanz glänzen kann.
Die wichtigsten Schnittstellen sind naturgemäß die zu Vertrieb, Marketing, Einkauf. Aber auch Logistikfragen lassen sich eher zu Beginn einer Innovationsoffensive klären als an deren Ende. Es ist deutlich zu fördern, dass der Austausch zwischen F&E und den tangierenden Bereichen regelhaft stattfindet, was auch ein Grund dafür ist, dass F&E stets in der Führung des Unternehmens angemessen repräsentiert sein muss – sei es als Ressort oder mindestens als regelmäßiges Thema der Geschäftsführungs- oder Vorstandssitzungen. Einbindung bedeutet letztlich nicht nur die abstrakte Einbindung auf Abteilungs- oder Bereichsebene. Einbindung bedeutet insbesondere, die handelnden Personen aktiv an die benachbarten Prozesse anzuschließen. Warum wird jemand Forscher? Warum wird jemand Entwickler? Sicher nicht, um seine Zeit damit zu verbringen, erhebliche administrative Tätigkeiten zu verrichten. Daher gilt: F&E ist von administrativen Tätigkeiten so gut wie möglich freizuhalten.
Das gilt allerdings nicht für die Planung, denn insbesondere hier lässt sich ein erheblicher Verständniszuwachs in den F&E-Prozessen erzielen. Die Einbindung derjenigen, die für F&E verantwortlich sind, wirkt mitunter Wunder, denn wenn in F&E Prozessen verstanden werden, wie der finanzielle Erfolg wie auch das finanzielle Wachstum erzielt werden sollen, kann wesentlich zielgerichteter geforscht und entwickelt werden, als ohne dieses Wissen. Letztendlich gehört in dieses zahlenbasierte Denken auch die Integration des F&E-Reportings als Beitrag für Wachstum.
Informationsbeschaffung
Woher erhält F&E die relevanten Informationen? Dabei sind mit «relevanten» Informationen diejenigen Informationen gemeint, die erforderlich sind, um einen möglichst hohen Grad an Treffsicherheit bezüglich eines neuen Produkts, einer neuen Dienstleistung zu erhalten. Häufig stammen die Informationen aus Einzelbeobachtungen, aus Kundenbesuchen, aus Wettbewerbsbeobachtungen. Diese Informationen ruhen zu häufig auf exakt einer Säule, nämlich dem Hörensagen. Selbst dann, wenn die Information von der eigenen Vertriebsmannschaft oder der eigenen Marktforschung stammen, muss daher sichergestellt werden, dass F&E nicht plötzlich einem vermeintlichen Trend folgt, der sich bei vertiefter Betrachtung eher als vehement vorgetragene und an richtiger Stelle platzierte Einzelmeinung darstellt. Gegen eine strukturierte Marktbeobachtung als Informationsspender für F&E ist generell nichts einzuwenden. Es ist aber sicherzustellen, dass eine gewisse Validität vorliegt. Selbst dann, wenn ein externes Marktforschungsinstitut beauftragt wird, müssen die richtigen Fragen, die das Institut aus dem Markt heraus beantworten soll, aus dem eigenen Unternehmen stammen. Andernfalls läuft man Gefahr, dass man zwar über eine valide Ergebnisbasis verfügt, die aber bedauerlicherweise auf den falschen Fragen aufsetzt.
Ergänzend zu externer Unterstützung ist dem regelhaften Austausch über Markttrends, Wettbewerbsinformationen und Produkt- oder Dienstleistungsneuheiten unbedingt Raum zu geben. Damit soll ausdrücklich nicht das reine Zurufen von Informationen befürwortet werden, sondern es geht um einen institutionalisierten Austausch, an dem Marketing, Vertrieb und die Verantwortlichen für F&E gleichermaßen teilnehmen. Erst der gemeinsame Austausch kann dafür sorgen, dass die Belastbarkeit der Informationen gesichert wird.
Leistungsmessung
Eine ganz wesentliche Frage für die Beurteilung des Wertbeitrags einer F&E-Abteilung oder der F&E-Prozesse eines Unternehmens ist diejenige, woran die F&E-Leistung gemessen werden soll. Wiederum gänzlich unabhängig von der individuellen F&E-Organisation in einem Unternehmen muss deutlich werden, welches Resultat in der Abteilung oder im Prozess verantwortet wird. Zu groß ist sonst die Gefahr, dass finanzielle Ressourcen und – wesentlich schlimmer – viel Zeit fehlinvestiert werden. Dabei ist die Leistungsmessung wie immer ein schmaler Grat. Wird die Anzahl der Innovationsprojekte als Basis genommen, kann das Resultat eintreten, dass die Organisation völlig durcheinandergerät, weil sie durch die hohe Projektanzahl überlastet wird. Außerdem ist die Anzahl der Projekte noch kein Garant für gute Produkte oder Dienstleistungen. Andererseits können zu wenige Innovationsprojekte dazu führen, dass das Unternehmen der Marktgeschwindigkeit nicht in angemessener Weise folgen kann. Eine Messgröße, der F&E-Einheiten regelhaft Widerstand gegenüber aufbringen, die aber nicht wegdiskutiert werden kann, ist die Akzeptanz eines neuen Produktes, einer neuen Dienstleistung am Markt. Natürlich ist diese Messgröße nicht schnittstellenfrei, denn hier wirken auch der Vertrieb durch seine Marktansprache und das Marketing durch begleitende Maßnahmen ein, aber das stützt nur die These, dass es einer engeren Verzahnung der einzelnen Bereiche an klar definierten Schnittstellen bedarf, um tatsächlich Leistung zu erbringen.
Verbindet man dann die Marktakzeptanz, die natürlich mit Erwartungswerten hinterlegt sein muss, mit einer zeitlichen Komponente, wie zum Beispiel mit der Dauer eines bestimmten Innovationsprojektes bis zur Marktreife, wird nicht nur die Effektivität, sondern auch die Effizienz einer F&E-Einheit deutlich zunehmen. Wichtig ist dabei, dass es der Unternehmensführung mit diesen Messgrößen auch ernst ist und dass nicht auf halbem Wege die Regeln geändert werden. Wichtig ist auch, dass die tangierenden Bereiche darauf verpflichtet werden, diese Messgrößen mitzuverfolgen.
Perfektion
Forschern und Entwicklern ist es ein Gräuel, halbfertige Produkte und Dienstleistungen an den Markt zu bringen. Was einerseits eine höchst löbliche Einstellung ist, kann sich in der Praxis als hartnäckig festsitzende Bremse erweisen, wenn sich das Perfektionsstreben auf die allerletzten Details konzentriert. Wie viel Liebe benötigt eine neue Dienstleistung oder ein neues Produkt also? Wann ist die Innovation «fertig»? Wird eine Innovation zu früh auf den Markt gebracht und enthält sie noch eklatante Fehler, läuft man Gefahr, enttäuschte Kunden zu erzeugen, die möglicherweise die gesamte Innovationsinitiative zum Fallen bringen. Wird die Innovation aber zu spät auf den Markt gebracht, besteht die Gefahr, dass der Wettbewerb – wieder einmal – schneller war. Perfektionsstreben ist so lange zu akzeptieren, wie es sich auf wirklich qualitätsentscheidende Punkte konzentriert. Abgesehen natürlich von gesetzlichen Vorschriften, die selbstverständlich eingehalten werden müssen, entscheidet dabei der Kunde – und nicht das Unternehmen –, was «qualitätsentscheidend» bedeutet.
Daher kann grundsätzlich ein Pilotansatz befürwortet werden, der es einem Unternehmen in einem geschützten, vertrauten Umfeld ermöglicht, seine neuen, fast fertigen Produkte und Dienstleistungen zu testen. Zwecks dessen ist, je nach Branche des Unternehmens, ein bestimmter Kundenkreis oder ein regionales Umfeld zu selektieren. Dabei muss deutlich werden, dass es sich um eine Pilotphase handelt und dass man unbedingt Feedback zu den neuen Produkten und Dienstleistungen wünscht. Ist eine solche Pilotphase abgeschlossen, überraschen die Antworten der Zielgruppe häufig, denn einige Elemente des Feedbacks hätte man nicht erwartet und weitere wiederum, die man erwartet hätte, werden gar nicht auftauchen. Zur Integration von F&E in den Unternehmenskontext gehört also auch das Öffnen in Richtung der Zielgruppe. Selbstverständlich muss auch dieser Prozess gesteuert werden, aber es lohnt sich stets, können damit schließlich wertvolle Zeit gespart und finanzielle Mittel gezielter eingesetzt werden.
Eines soll nicht verschwiegen werden: Perfektion ist häufig eine Ausrede für mangelnde Kritikfähigkeit, denn dann, wenn ein Produkt oder eine Dienstleistung «perfekt» ist, kann sie nicht mehr kritisiert werden, muss man sich der Kritik nicht mehr aussetzen.
Letztendlich aber entscheidet der Kunde, ob er tatsächlich ein perfektes Produkt möchte. Meist genügt ihm ein Produkt, das seine Anforderungen erfüllt.
Fazit
Unternehmen müssen im Hinblick auf F&E zweierlei zwingend entscheiden:
Soll F&E institutionalisiert oder mindestens innerhalb eines strukturierten Prozesses stattfinden oder soll es bei einer opportunistischen Entwicklungsarbeit bleiben?
Wie soll F&E innerhalb des Unternehmens angebunden werden, um einen möglichst hohen Beitrag zum profitablen Wachstum des Unternehmens zu leisten?
Alle weiteren Aspekte wie Informationsbeschaffung, Leistungsmessung und der Umgang mit Perfektionsstreben leiten sich aus den Antworten auf diese beiden Fragen ab. Ob F&E ein Motor oder eine Insel ist, ist das Resultat einer aktiven unternehmerischen Entscheidung.
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