EU: Hat die Ordnungspolitik eine Chance?

Keine Kommentare Lesezeit:

Europa ist in wirtschaftlicher Hinsicht vielgestaltig. Wir sprechen daher in unserem Steinbeis-Institut auch von einem »Europa der Marktwirtschaften«. Das »bunte Bild der Vielfalt« zeigt, dass es zwar einen gemeinsamen Markt, aber eben keine einheitliche europäische Marktwirtschaft gibt.

Allein der Vergleich der drei ökonomisch wichtigsten drei Staaten Europas macht dies offensichtlich: So ist die Marktwirtschaft im bald ausscheidenden Großbritannien tendenziell freier und liberaler konzipiert, Interventionen werden im Gegensatz zu Richtlinien der Regierungen in unserem Nachbarland Frankreich abgelehnt. Zentrale Planungsansätze sind für Frankreich typisch und traditionell verankert.

Die ausgeprägtere Staatslenkung wurde bereits im Zeitalter des Merkantilismus unter Jean-Baptiste Colbert verwirklicht. In seiner Amtszeit wurden Infrastrukturinvestitionen gefördert, Schutzzölle eingeführt und Monopole eingerichtet. Zur Finanzierung des aufwendigen Hoflebens, der Verwaltung und des Heeres wurden hohe Steuern erhoben. Es sind nicht nur Sozialisten, die dieses Modell auch für Europa als richtig erachten. So erklärte der frühere französische Staatspräsident Sarkozy vor dem Europaparlament am 21. Oktober 2008: »Die Eurozone [kann] ohne eine klar identifizierte Wirtschaftsregierung nicht fortfahren«.

Das deutsche Wirtschaftssystem derzeit allenfalls noch »gelenkte Marktwirtschaft«

Und wie sieht es in Deutschland aus? Den ursprünglichen Vorstellungen einer Sozialen Marktwirtschaft, wie sie in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg konzipiert und bis 1966, dem Jahr des politischen Abgangs Ludwig Erhards, verwirklicht wurde, wird kaum mehr entsprochen. Trotz zwischenzeitlicher Lippenbekenntnisse von Politikern aus allen politischen Lagern bewegt man sich immer weiter davon weg. Das deutsche Wirtschaftssystem ist derzeit allenfalls noch eine »gelenkte Marktwirtschaft«. Deutschland ist damit kein Vorzeigeland für Ordnungspolitik mehr, sondern bewegt sich in der EU vielleicht noch im oberen Mittelfeld.

Per saldo sind in Nordeuropa und in angelsächsisch geprägten Staaten ordnungspolitische Vorstellungen nach wie vor maßgebend, während im Süden eher ein situativ angepasstes Vorgehen zu beobachten ist. Die staatlichen Verwaltungsstrukturen sind geringer ausgeprägt, wie das Beispiel Griechenland zeigt. Das geht dann so weit, dass viel zu wenig Steuern eingenommen werden. Es bestehen nicht einmal die notwendigen Verwaltungsstrukturen, um eine Besteuerung durchzuführen (von einer fairen Lastenverteilung ganz zu schweigen). Diejenigen, die dazu wirtschaftlich gut in der Lage wären, entziehen sich ihrer gesellschaftlichen Verantwortung (z. B. durch Wohnsitzverlagerung ins Ausland). Die Bürger verhalten sich bei der Umgehung von Steuerzahlungen solidarisch, sie sind staatskritischer als im Norden und beuten ihn noch gezielter aus. Das führt dann dazu, dass der private Reichtum in südeuropäischen Ländern relativ größer ist als im Norden mit effizient arbeitenden Steuerbehörden und staatsloyaleren Bürgern. Die deutlich höheren Schwarzarbeitsquoten (Anteil am BIP) in Südeuropa bestätigen das Bild einer größeren Staatsferne in romanisch geprägten Staaten.

Auch religiöse Orientierungen sind traditionell gesellschaftsprägend und spielen nach wie vor eine große Rolle. Im stärker ordnungspolitisch ausgerichteten Norden ist der Protestantismus – mit einer größeren Staatsnähe und regelbasierten Politikstilen – vorherrschend. Auch die USA stehen in dieser Tradition, während Südamerika in Folge der spanischen und portugiesischen Kolonisierung römisch-katholisch geprägt ist. Wie der Süden Europas sind Bayern und große Teile Westdeutschlands (z. B. das Rheinland) traditionell von Wertvorstellungen der katholischen Kirche beeinflusst. Sie agiert eher überstaatlich und ist (aus historischer Perspektive) in der Lage, temporäre staatliche Gebilde zu überdauern.

Deutschland ist zwar »zweigeteilt« mit einem stark protestantischen Nordosten, beide Kirchen prägten aber die Soziale Marktwirtschaft hierzulande. So flossen die katholische Soziallehre und die evangelische Sozialethik bei den Ordnungsvorstellungen der Freiburger Schule mit ein. Im Süden sind Familien noch eher gesellschaftsprägend, im Norden – auch zur Abwehr wirtschaftlicher Not – eher Vorstellungen staatlich organisierter Absicherung. Dieser gesellschaftliche Überbau ist vermutlich auch eine Folge asketisch strenger und von oben gesteuerter Infrastrukturmaßnahmen und der gezielten Nutzbarmachung knapper Ressourcen. Landwirtschaftlich nicht so ertragreiche Böden und eine rauere Natur erforderten eine gesellschaftlich stärker übergreifende Kooperation; Preußen ist hierfür ein Beispiel. Gleichzeitig war Deutschland aber historisch bis zur Reformation auch Teil des Heiligen Römischen Reichs mit klarer Ausrichtung am religiösen Zentrum Rom.

Keine einheiltichen Vorstellungen von Ordnungspolitk

Vorstellungen von Ordnungspolitik sind in Europa damit nicht durchgängig vertreten, das gilt insbesondere für den Euroraum. Insofern ist es nicht verwunderlich, dass auch die Geldpolitik inzwischen weniger regelgebunden ist. Ein mehrheitlich ordnungspolitischer Politikstil ist nicht absehbar, im Gegenteil.
Mit dem Ausscheiden Großbritanniens aus dem EU-Verbund werden sich verstärkt zentralistisch situative Politikstile ergeben, wie sie z. B. in Frankreich üblich sind. Dieser »Interventionismus« wird von Anhängern der Selbstregulierung der Marktwirtschaft abgelehnt. Sie setzen zu Recht auch auf föderale Strukturen. Regierungen von Zentralstaaten neigen eher zur Hybris, der Übergang zu totalitären Strukturen ist leichter möglich, im Gegensatz zu bürgernäheren subsidiären Lösungen, die z. B. die katholische Soziallehre vorsieht.

Der historisch erklärbare Riss in Europa – er geht auch durch Nationalstaaten – wird vertieft, wenn sich der Mechanismus von Nord-Süd-Finanztransfers verstärkt. Dann würde Europa scheitern, nicht primär durch den Euro. Mit der Aufgabe ordnungspolitischer Regelbindungen verliert aber auch die gemeinsame Währung an Glaubwürdigkeit. Die unterschiedlichen Politikvorstellungen lassen sich dann nicht mehr flexibel vereinbaren.
Das neue Umverteilungskorsett schafft Zwietracht. In einem Verbund, der nicht mehr auf »Hilfe zur Selbsthilfe«, sondern auf Dauersubventionierungen setzt, wirkt dies zunehmend spaltend (auch Nationalstaaten werden so gelähmt, wie die Nord-Süd-Transfers in Italien zeigen). Nach dem absehbaren Scheitern der Transferunion müssten südeuropäische Regionen ohnehin wieder
selbstverantwortlich wirtschaftlich tätig werden.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht.

Language