Design Thinking – eine Wunderwaffe?

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Design Thinking ist in aller Munde. Unternehmen, die wirklich innovativ sein möchten, können sich dem Thema nicht verschließen. Und so haben sich zwischenzeitlich einige Firmen einen Zwei-Tage-Workshop zum Thema gegönnt, um dann fest zu stellen, dass die alte Art zu entwickeln doch besser funktioniert. Und so innoviert man weiter auf inkrementellen Niveau und fühlt sich vermeintlich sicher. Von Daniel Urban.

Innovationsentwicklung ist zum Imperativ geworden. Wer nichts Neues erzeugt, wird auf der Strecke bleiben, so sagt man. Und so haben wir in der vergangenen Dekade gesehen, wie Unternehmen die Stelle des Innovationsmanagers erschaffen, Innovationsabteilungen errichtet und auf C-Ebene einen Chief of Innovation installiert haben. Man wolle disruptive oder breakthrough oder game-changing Innovationen erzeugen, heißt es. Gleichzeitig ist die Zahl der Ideen, die zu wirklich erfolgreichen Produkten werden, so gering wie nie zuvor. Im Gegenteil: Gerade die ambitionierten Innovationsprojekte sind häufig diejenigen, die den nüchternen Auswahlkriterien vertrauter Produktentwicklungsprozesse als erstes zum Opfer fallen. Unternehmen wollten etwas Unvergleichliches erschaffen und am Schluss hat man geschaut, ob das Ganze auch wettbewerbskomform ist. Herzlichen Glückwunsch, besser lässt sich kaum Geld verbrennen.

Wunderwaffe Design Thinking?

Eine Wunderwaffe, die in Bezug auf die Entwicklung von innovativen Produkten und neuartigen Geschäftsideen immer wieder genannt wird, ist Design Thinking. Mit Design Thinking sei es möglich, jene Innovationen zu schaffen, die der Kunde wirklich braucht und welche die Märkte nachhaltig verändern. In der Tat ist Design Thinking mittlerweile selber zu einem erfolgreichen Produkt geworden, aus der eine ganze Branche von Coaches, Beratern (mich eingeschlossen) und Lerninstitutionen erwachsen ist und sich nährt. Aber was verbirgt sich dahinter?

„Zukünftig bei Brainstormings Musik hören und sich eine Schlafcouch ins Büro stellen, und alles wird gut?“

Die Ursprünge von Design Thinking sind nicht klar abzugrenzen. Das Modell wurde in den Neunziger Jahren in den USA zeitgleich an unabhängigen Stellen geformt. Eine einheitliche Definition, worum es bei Design Thinking geht, gibt es bis heute auch nicht. Um es knapp zu beschreiben, geht es bei Design Thinking vor allem darum, den Kunden in den Mittelpunkt der Entwicklung zu stellen, ihn zu beobachten und zu verstehen und dann auf hochgradig iterative Weise neue Lösungen zu entwickeln, zu denen man sich frühzeitig Feedback vom Markt einholt. Je nachdem, wo man sucht und was man liest, trifft man auf ein drei- bis sechsphasiges Modell, und dem geneigten Leser oder Workshop-Teilnehmer wird ein Methodenkasten – einschließlich aber nicht limitiert auf Personas, Shopping Safari und Consumer Journey – mit an die Hand gegeben, womit er die nächste Entwicklungsherausforderung knacken soll. Und er erfährt, dass wenn er zukünftig bei Brainstormings Musik hört und sich eine Schlafcouch ins Büro stellt, die Ideen ganz von alleine kommen und alles gut werden wird.

Design Thinking ist eine Haltung

Und genau hier liegt das Problem, welches viele Firmen ereilt, sobald sie versuchen, Design Thinking bei sich zu implementieren. Es wird in den Trainings und in der Literatur oft nur über Methoden und Artefakte gesprochen und nicht darüber, was eigentlich auf der Metaebene passiert, wenn Design Thinking seine ganze Kraft entfaltet. Um Design Thinking wirklich ernsthaft durchzuführen, ist es allerdings sehr wichtig, eben genau diese Mechaniken zu verinnerlichen und auch zu begreifen, wie man Design Thinking in der Organisation integriert.

„Design Thinking heißt, sich auf unbekanntes Terrain zu begeben, um nach Lösungen zu suchen, ohne vorher zu wissen, wie diese auszusehen haben.“

Oftmals wird Desisgn Thinking als Methode zur Innovationsentwicklung beschrieben. Das ist falsch. Design Thinking ist weder Methode und schon gar kein Prozess, den man in das Korsett eines Flow Charts zwängen kann. Design Thinking ist eine Haltung. Eine Haltung, die beschreibt, wie ich mich einer Herausforderung stelle, die diszipliniertes Experimentieren in den Fokus stellt und bei totaler Fokussierung auf das Problem gleichzeitig eine komplette Lösungsoffenheit verlangt. Eine Haltung, bei der das Glas weder halbvoll, noch halbleer, sondern immer prall gefüllt ist und wo neue Probleme mit einem „Hurra, es gibt Arbeit“ begrüßt werden. Design Thinking heißt, sich auf unbekanntes Terrain zu begeben, um nach Lösungen zu suchen, ohne vorher zu wissen, wie diese auszusehen haben. Es bedeutet, vom Schreibtisch aufzustehen und sich dem unbekannten Wesen Kunde zu nähern. Es heißt, ihn zu befragen, ihn zu beobachten und zu verstehen. Und dann das Gesehene, Gehörte und Gefühlte zu interpretieren, um eben jene Wünsche und Bedürfnisse zu erfüllen, die im Verborgenen liegen. Das zu sehen, was nicht gezeigt worden ist. Das zu hören, was nicht gesagt worden ist und das zu machen, was noch nicht gemacht worden ist. Die Kunst liegt hier in der Beobachtung des richtigen Lebens und der unternehmerischen Interpretation des Gesehenen.

Design Thinking verlangt nach ständiger Reflektion

Das Erschaffen von Personas (d.h. Kundenbildern, die Merkmale und Eigenschaften einer spezifischen Zielgruppe beschreiben), die nicht auf tatsächlichen Beobachtungen sondern auf pragmatische Annahmen basieren, bringen keinen Erkenntnisgewinn. Den Kunden einfach zu fragen, was er haben möchte, wird ebenfalls nicht funktionieren, da dieser eine Antwort auf diese Frage selbst nicht weiß. Und hier entsteht das Problem, wenn Design Thinking lediglich auf das plumpe Anwenden verschiedener Methoden reduziert wird. Methoden verleiten dazu, dass man sich während ihrer Anwendung sicher fühlt, das Richtige zu tun, ohne über die Sinnhaftigkeit der Methode als solche im Kontext der vorliegenden Entwicklungsaufgabe mit gesundem Menschenverstand zu reflektieren. Aber Methode A, die in Projekt A gut funktioniert hat, ist unter Umständen in Projekt B komplett fehl am Platz. In Design Thinking geht es darum, ein Team dynamisch durch ein Projekt zu führen und sich jedes Mal wieder neu auf den jeweiligen Kontext einzulassen. Es verlangt nach ständiger Reflektion über das eigene Vorgehen und die im Projekt entstehenden Umstände. Es bedeutet wachsam zu sein und nicht einfach stumpf einer Methodik zu folgen.

Eine Form der selbstorganisierten Entwicklungsarbeit

Es wird auch häufig missverstanden, dass Design Thinking ein basisdemokratischer Entwicklungsraum sei, bei dem alle Ideen toll sind und sich jeder selber verwirklichen kann. Auch das ist falsch. Am Ende des Tages soll etwas entstehen, das im unternehmerischen Sinne einen Mehrwert bringt und nicht nur eine reine Bespaßungsveranstaltung für die Mitarbeiter ist. Design Thinking kann eine Wunderwaffe sein, wenn man es in seiner Natur versteht. Es ist eine Form der selbstorganisierten Entwicklungsarbeit. Sie räumt dem Team einerseits Freiheiten bei der Lösungserarbeitung ein, aber andererseits fordert sie auch die unternehmerische Verantwortung, eine Lösung zu entwickeln und auch für deren Umsetzung zu kämpfen. Es geht nicht um die nächste Ideenjagd, sondern einige wenige Ideen, die das meiste Potenzial haben, mit Leben zu füllen. Dies erfordert einiges an Erfindungsreichtum, nicht nur bei der Erarbeitung der konkreten Ergebnisse, sondern auch wie ich mich durch den Entwicklungsprozess bewege. Man kann ein Design Thinking Team als eine (interne) Agentur betrachten, die man mit einem Entwicklungsauftrag betraut und dann bis zu einem bestimmten Stichtag in Ruhe lässt. Dies erfordert Vertrauen seitens der Sponsoren des Projektes und auch jene Art von Gelassenheit, die einem verbietet, zwischen Tür und Angel einmal ins Projekt zu schauen, alles umzudrehen und Chaos zu hinterlassen. Eine richtige Agentur würde auch nicht zulassen, dass der Kunde unangekündigt hereinspaziert und sich den workin-progess zeigen lässt. Die Eigenverantwortlichkeit des Teams über die Entwicklung der Ergebnisse ist der Schlüssel zu der Dynamik, die nicht nur das Projekt vorantreibt, sondern auch den Spaß an der Arbeit wieder zurückehren lässt.

„Wer will, dass sein Entwicklungsteam selbstständig arbeitet, sollte es in Ruhe lassen.“

Wer also Spaß bei der Arbeit haben will, sollte sie ernst nehmen. Wer Freiheitsgrade bei der Entwicklung einfordert, muss Verantwortung übernehmen. Wer wirklich Neues erzeugen möchte, sollte sich nicht auf seine alten Entwicklungsprozesse verlassen. Wer will, dass sein Entwicklungsteam selbstständig arbeitet, sollte es in Ruhe lassen. Wer hochgradig innovative Produkte und Dienstleistungen vermarkten möchte, muss Risiken eingehen. Bei fast allem, was Design Thinking ausmacht, reden wir nicht über Methoden und Prozesse, sondern immer nur um Haltung. Und um gesundem Menschenverstand. Sollen wir uns also darauf einigen, zukünftig nicht Design Thinking, sondern nur noch Thinking zu sagen?

Daniel Urban ist Innovationsberater in Düsseldorf (www.urban-innovationsberatung.de) und hat einen Lehrauftrag an der Universität Wuppertal am Master für Strategische Innovationsentwicklung. Der Autor im Interview  auf DDW-TV: „So geht Innovation“

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