Napoleon auf der Brücke

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Es wird künftig nicht nur eine Organisationform geben, die für alle Unternehmen für jede Situation und für alle Mitarbeiter und Teams die angemessenste ist. Verschiedene Organisationformen werden in einem Unternehmen parallel nebeneinander existieren, sich ergänzen und sich im Verlauf der Weiterentwicklung des Unternehmens verändern.

Dies ist abhängig von den Aufgaben, die zu erledigen sind – und auch von der Umwelt der Organisation, die unterschiedliche Herausforderungen stellt. Die bisher bewährten Organisationsformen haben keinesfalls ausgedient – sie müssen lediglich modernisiert und um selbstorganisierende Elemente ergänzt werden.

Eine Landkarte zur Visualisierung der Herausforderungen und möglichen Lösungen entsteht, wenn man die beiden Achsen Rolle der Mitarbeiter und Prinzip der Organisation zu einem Koordinatensystem aufspannt. Dadurch ergeben sich vier Quadranten. Zwei davon sind Reinformen einer Zusammenarbeit, zwei davon Mischformen. Die Reinformen sind in sich stimmig und funktionieren in der Regel besser. Mischformen haben häufig unerwünschte negative Konsequenzen, die sich beispielsweise zu Lehmschichten auftürmen oder in die Agilitätsfalle führen.

Weisung und Kontrolle

Betrachten wir in unserer heutigen Kolumne zunächst diesen Fall: Wenn wir nach Weisung und Kontrolle führen. Eine von oben gesteuerte Organisation, in der Mitarbeiter ihre Rolle ausführend wahrnehmen, basiert ganz klassisch auf Weisung und Kontrolle (command and control). Diese Form der Zusammenarbeit zeichnet sich im Idealfall durch klare Verantwortlichkeiten, schnelle Entscheidungen, regelmäßige Kontrolle von Ergebnissen und Eingriffen bei Abweichungen aus. Es ist eine der effizientesten Organisationsstrukturen, die während der industriellen Revolution maßgeblich zum Produktivitätsfortschritt beitrug. Ohne sie wäre keine Massenproduktion möglich geworden, die zahlreiche Güter für breite Bevölkerungsschichten erschwinglich macht.

 

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Auch heute hat diese Organisationsform lange nicht ausgedient und wird fortlaufend verbessert. In Bereichen, in denen operative Exzellenz erforderlich ist, hat sie klare Vorteile. Viele Betriebe und Teilorganisationen der Massenproduktion funktionieren nach diesem Modell. Diesem muss nicht zwangsläufig ein Diktator wie Napoleon vorstehen. Es gibt viele Beispiele für inspirierende Führungspersönlichkeiten, denen Mitarbeiter freiwillig folgen. Steve Jobs von Apple kann durchaus dazugezählt werden. Wenn auch einige Biografien ein nicht gerade schmeichelhaftes Bild seines Führungsstils zeichnen, so arbeiteten Mitarbeiter dennoch freiwillig mit ihm zusammen. Riskant wird diese Organisationform erst dann, wenn keinerlei Möglichkeit besteht, Fehlentwicklungen und Fehlentscheidungen rechtzeitig zu korrigieren. Auch ein autoritärer Anführer kann Fehler machen – und damit die gesamte Organisation an den Rand des Abgrunds bringen oder darüber hinaus. Erfolgreiche Führungspersönlichkeiten haben im Laufe ihrer Karriere bereits mehrfach mutige Entscheidungen getroffen, von denen andere zuvor abgeraten hatten. Sie haben aus ihrer persönlichen Erfolgsgeschichte gelernt, Bedenkenträgern keine zu hohe Bedeutung beizumessen. Woran sollen sie erkennen, diesen einen Fall anders zu bewerten, der tatsächlich ein großer Fehler wäre?

Kontrolle kann ganz unterschiedlich ausgeübt werden

Sehr viele gute Führungskräfte erzielen durch Weisung und Kontrolle hervorragende Ergebnisse. Sie beziehen ihre Mitarbeiter in Entscheidungsprozesse ein. Sei es, indem sie ihre Weisungen gut begründen und die Hintergründe erläutern oder im Vorfeld von Entscheidungen die Meinungen des Teams einholen und diese berücksichtigen. Manche Vorgesetzte entscheiden auch gemeinsam mit ihrem Team, indem sie das Team einen Vorentscheid fällen lassen, den sie in der Regel bestätigen. Damit liegt die formelle Macht klar beim Vorgesetzten, er übt diese jedoch nicht ohne Berücksichtigung seines Teams aus. Er muss sich nicht auf seine Macht berufen. Margaret Thatcher fasste dies mit dem ihr eigenen trockenen Humor treffend zusammen: „Mächtig zu sein ist so, wie eine Dame zu sein. Wenn man den Leuten sagen muss, dass man es ist, dann ist man es nicht.“

Solche Führungsmodelle befinden sich bereits nahe der Mitte des Quadranten. Auch Kontrolle kann ganz unterschiedlich ausgeübt werden. Manche Vorgesetzte verstehen Kontrolle ähnlich der Aufgabe eines Verkehrspolizisten. Sie führen Kontrollen durch, um Mitarbeiter zu enttarnen und sie anschließend maßzuregeln. Gute Führungskräfte hingegen verstehen Kontrolle als einen Mechanismus, der in erster Linie im Sinne der Mitarbeiter gedacht ist: Mitarbeiter können sich und ihre Arbeitsergebnisse selbst kontrollieren. Sie ist ein kontinuierliches Feedback, wie gut Mitarbeiter ihre Aufgaben erfüllen. Ähnlich funktionieren übrigens digitale Fitness-Anwendungen, bei denen man den eigenen Fortschritt sieht – und dadurch angespornt wird, besser zu werden. Für den Verkehr gibt es beispielsweise zahlreiche wissenschaftliche Erkenntnisse, dass unmittelbare Feedback-Schleifen ohne Einbezug von Polizisten bereits als wirksame Auslöser für Verhaltensänderung dienen. Goldsmith (2015) beschreibt Studien zur Wirksamkeit von Geschwindigkeitsanzeigesystemen. Das unmittelbare Anzeigen der gefahrenen
Geschwindigkeit hat einen signifikanten Einfluss auf die Einhaltung von Geschwindigkeitsregeln.

Militärs in mancher Hinsicht deutlich weiter als viele Unternehmen

Besonders interessant ist folgender Sachverhalt: Viele Methoden von Weisung und Kontrolle stammen ursprünglich aus dem militärischen Bereich. Viele Unternehmen versuchen heute, nicht mehr so zu sein wie das Militär. Doch gerade das Militär – insbesondere das amerikanische – hat sich in den letzten Jahren grundlegend umorganisiert. Der Kampf gegen agile Netzwerke wie den irakischen Widerstand, Al-Qaida, die Taliban und den Islamischen Staat hat die klassisch-militärische Organisationsform um zahlreiche agile Konzepte erweitert. Reine Befehlsstrukturen aus Washington konnten die Realitäten in den Kampfgebieten nicht hinreichend berücksichtigen. Insofern sind einige Militärs in mancher Hinsicht deutlich weiter als viele Unternehmen, die sich als fortschrittlich bezeichnen.

Hermann Arnold

Hermann Arnold versteht sich als Erforscher und Ermutiger neuer Formen der Zusammenarbeit und der Führung. Bekannt wurde er als Mitgründer und langjähriger Geschäftsführer von Haufe-umantis, einem der weltweit führenden Anbieter von Software und Expertise im Bereich Talentmanagement. Gemeinsam mit seinen Kollegen erprobt und entwickelt er dort revolutionäre Maßnahmen von Unternehmensdemokratie. In seiner Reihe beschreibt er jeden 2. und 4. Mittwoch im Monat seine Erfahrungen.

Mitwirkung und Erfahrungsaustauch zu dem Themenkreis ist erwünscht: Offenes Betriebssystem

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