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China kann nicht ohne den Westen
Im Rahmen der China-Strategien der Bundesregierung und der EU wird viel über die wirtschaftlichen Abhängigkeiten Deutschlands und Europas von China diskutiert. Doch sind die Abhängigkeiten gegenseitig, zeigt eine neue Studie des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW).
Angesichts des drohenden Konflikts zwischen China und Taiwan wächst die Sorge um die Abhängigkeit Deutschlands von China. Umgekehrt ist aber auch die Volksrepublik stark auf Importe aus dem Westen angewiesen. Sollte der Konflikt eskalieren, hätte der Westen ein erhebliches Drohpotential. Denn sind die wirtschaftlichen Abhängigkeiten hoch genug sind, haben sie das Potenzial, auch einen potenziellen geopolitischen Konflikt nicht eskalieren zu lassen – zumindest dann, wenn China nicht wie Russland große wirtschaftliche Einbußen hinnehmen würde, um prioritäre politische Ziele zu erreichen, schreiben die Studienautoren.
Geopolitische und internationale Krisen in den letzten Jahren sowie Störungen im Welthandel und in den internationalen Lieferketten haben im Westen das Bewusstsein für Abhängigkeiten geschärft. Diese betreffen insbesondere die Verfügbarkeit einzelner Waren, sowohl von Vor-, Zwischen und Fertigprodukten. Bislang haben Politik und Wirtschaft nur ansatzweise Maßnahmen getroffen, um spezifische Abhängigkeiten zu reduzieren. Ziel ist es dabei zumeist, dass Handelspartnerschaften und Direktinvestitionen geografisch diversifiziert werden sollen. Aber auch in China gab es in den letzten Jahren verstärkt Bestrebungen, die Abhängigkeit vom Westen zu reduzieren, sodass von beiden Seiten eine Politik der Resilienz angestrebt wird.
Der Blick die Wirtschaftsbeziehungen zwischen Deutschland und China zeigt, dass es bislang noch keinerlei Anzeichen einer Verringerung der deutschen Abhängigkeit gibt, im Gegenteil:
- Im ersten Halbjahr 2022 tätigten deutsche Unternehmen die historisch wertmäßig größten neuen Direktinvestitionen in China.
- Die Einfuhren aus China stiegen im Gesamtjahr 2022 um über 33 Prozent auf eine neues Rekordniveau – das gleiche gilt für das Handelsbilanzdefizit mit China in Höhe von 84 Milliarden Euro.
Wirtschaftliche Abhängigkeiten von China
Die Debatte um problematische Abhängigkeiten haben der russische Angriffskrieg auf die Ukraine Anfang 2022 und der darauffolgende “Wirtschaftskrieg” zwischen Russland und Teilen des Westens und insbesondere der EU weiter verstärkt. Das Verhalten und die Sanktionen zwischen den Konfliktparteien im Ukraine-Krieg kann dabei möglicherweise als Hinweise für den Ablauf eines potenziellen Wirtschaftskonflikts mit China liefern. Andere Staaten des Westens, insbesondere die Länder der EU, würden bei einem Konflikt wohl unter großem Druck der US-amerikanischen Regierung stehen, umfangreiche wirtschaftliche Sanktionen gegenüber China mitzutragen.
Laut einer Umfrage unter China-Experten wird 2023 ein Jahr mit zunehmender Unsicherheit und Unberechenbarkeit in Bezug auf China, das wohl politisch weiter an der Seite Russlands stehen und wirtschaftliche seine ökonomischen Beziehungen mit Russland vertiefen wird, wohingegen die Beziehungen zur EU und den USA sich nach Einschätzung der Experten mehr als bisher anspannen dürften.
Chinas ökonomische Abhängigkeit vom Westen zu bemessen ist auch deshalb sehr relevant, weil hier mögliche Drohpotenziale für westliche Sanktionen liegen, etwa im Kontext einer potenziellen Taiwan-Invasion durch China. Sollten echte Drohpotenziale des Westens gegenüber China existieren, mag bei deren Einsatz die Wahrscheinlichkeit sinken, dass China im geopolitischen Konfliktfall seine eigenen Drohmöglichkeiten gegenüber dem Westen nutzt, zum Beispiel die Versorgung Europas mit kritischen Rohstoffen wie Seltenen Erden einzustellen.
Die vollständige Studie von Jürgen Matthes und Dr. Simon Gerards Iglesias kann hier beim Institut der deutschen Wirtschaft heruntergeladen werden
Würde es im Falle eines Konflikts um Taiwan im Extremfall keine Importe mehr aus China geben, wäre das für viele Unternehmen eine Katastrophe – denn die Abhängigkeit hatte zuletzt Rekordwerte angenommen. Dabei wird oft vergessen: Auch China ist auf westliche Einfuhren angewiesen – also auf Importe aus Europa, Kanada, den USA, aber auch Japan, Südkorea, Australien und Neuseeland. Neue IW-Berechnungen zeigen: 2021 machten diese 53 Prozent aller Importe in das Reich der Mitte aus. Bei den 20 wertmäßig wichtigsten Importgütern kamen durchschnittlich 52 Prozent aus westlichen Ländern.
China braucht westliche Halbleiter
- Vor allem bei westlichen Technologieprodukten braucht China den Westen: 2021 importierte China Halbleiter im Wert von 433 Milliarden US-Dollar, davon kamen 32 Prozent aus dem Westen. Zählt man die Computerchips aus Taiwan dazu, steigt dieser Anteil auf 68 Prozent. Vor allem modernste Chips zu ersetzen, dürfte für China schwierig bleiben, vor allem weil auch ihre Produktionsmaschinen zu 76 Prozent aus dem Westen kommen – und weil am Halbleitersektor umfangreiche US-Sanktionen ansetzen.
- Auch bei anderen bedeutenden Einfuhrwaren ist China stark von westlichen Importen abhängig. Dies trifft beispielsweise auf Flugzeuge (99 Prozent westlicher Anteil bei Luft- und Raumfahrttechnik), Autos (97 Prozent) sowie auf Arzneimittel (94 Prozent) zu – letztere mit einem Importwert von rund 24 Milliarden US-Dollar.
- Ebenfalls schwer ersetzbar sind einige Rohstoffe und Lebensmittel – hier bestehen für China teils sehr hohe Import-Export-Verhältnisse, das heißt, es importiert bei einigen Gütern ein Vielfaches dessen, was es exportiert. Das Import-Export-Verhältnis liegt bei Erzen bei 60 zu 1, bei Fleisch bei 36 zu 1 und bei Getreide bei 18 zu 1. Schweinefleisch importiert China immerhin zu 77 Prozent aus dem Westen, bei Mais sind es 70 Prozent.
- Und auch bei manchem Luxusprodukt müssten Chinesinnen und Chinesen Verzicht üben: Ätherische Öle und Parfüms kommen etwa mit einem Anteil von 96 Prozent fast ausschließlich aus dem Westen.
Kann China die Import-Lücke schließen?
Im Konfliktfall könnte der Westen diese Abhängigkeiten nutzen, um die chinesische Wirtschaft durch Sanktionen unter Druck zu setzen. Das hat China unlängst erkannt und bemüht sich, Importe auf Drittstaaten, etwa in Afrika oder Südostasien zu verlagern. Zudem bemüht sich die chinesische Regierung, Technologie und Expertise im eigenen Land anzusiedeln – und lockt deshalb Forschung und Produktion ausländischer Firmen mit Fördergeldern. „Europäische Firmen, die die Chancen in China weiter nutzen wollen, werden so zu Figuren auf dem Schachbrett der Weltpolitik“, sagt IW-China-Experte Jürgen Matthes. „Noch kann auch China nicht ohne uns. Wir müssen aber zusehen, dass das Ungleichgewicht in den wirtschaftlichen Beziehungen nicht weiter zunimmt“, ergänzt Ko-Autor Simon Gerards Iglesias.
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