Anpassungsfähigkeit, Unternehmertum, Risikobereitschaft – darum geht es

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Die Stimmung ist nicht gut. Das sieht auch unsere Bundesregierung inklusive Kanzler und Vizekanzler so. Das hatte man sich nach der Bundestagswahl anders erhofft. Aber die unterschiedlichen Strategien der beiden Koalitionspartner in zentralen Fragen sind trotz aller Versuche eines wechselseitig schonenden Umgangs noch immer nicht in eine parallele Anstrengung für ein gemeinsames Ziel gemündet.

Von Professor Dr. h.c. mult Roland Koch

Umso wichtiger bleiben konkrete Vorschläge, die das vermutete gemeinsame Ziel der Regierungsparteien treffen, auch wenn grundsätzliche Unterschiede dem gemeinsamen Handeln trotz des immensen Zeitdrucks noch immer im Weg stehen. Der neue Beraterkreis von Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche – bestehend aus den Ökonominnen und Ökonomen Veronika Grimm, Justus Haucap, Stefan Kolev und Volker Wieland – hat am Montag eine Studie mit Reformvorschlägen in vier zentralen Bereichen vorgelegt. Alle Mitglieder des Beraterkreises sind Mitglieder der Ludwig-Erhard-Stiftung, aber dennoch sehr unabhängige Geister.

Dieses Papier ergänzt den Vortrag des Princeton-Wirtschaftswissenschaftlers Markus Brunnermeier, der Deutschland einen Kurswechsel dringend empfiehlt. Mit einer gewissen Freude kann ich sagen, dass Markus Brunnermeier 2023 der Ludwig-Erhard-Preis für Wirtschaftspublizistik von unserer Stiftung erhalten hat. Was also sind die Ratschläge von so intensiver Beratung von Menschen, denen die Gedanken Ludwig Erhards und der Sozialen Marktwirtschaft am Herzen liegen?

Das deutsche Problem ist besorgniserregend

Die Experten beginnen mit einer sehr nüchternen Analyse. „Die deutsche Volkswirtschaft stagniert seit dem Jahr 2021. Seither verharrt die Wirtschafts leistung auf dem Niveau des Jahres 2019. Im Vergleich zu anderen großen Volkswirtschaften fällt Deutschland zurück. So hat das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in den Vereinigten Staaten seit 2019 um über 12 Prozent zugenommen. In Frankreich und Italien stieg es respektive um knapp 5 und gut 6 Prozent. In den vergangenen beiden Jahren ist die deutsche Volkswirtschaft sogar um 0,7 (2023) bzw. 0,5 (2024) Prozent geschrumpft.“

Die Ursachen für diese Entwicklung sehen sie vielfältig. Ein zentraler Punkt ist der Strukturwandel: Die industrielle Wertschöpfung nimmt ab, während der Dienstleistungssektor zwar wächst, aber weniger produktiv ist als in anderen Ländern – insbesondere in Bereichen wie Pflege und Verwaltung. Hochproduktive Branchen wie die Tech-Industrie wachsen hingegen kaum.

“Die Industriepolitik konzentriert sich zudem zu sehr auf bestehende Großunternehmen, statt Ressourcen zugunsten kleiner und mittlerer Unternehmen umzuverteilen”

Hinzu kommen demografische Herausforderungen und eine Investitionsschwäche. Mit dem Renteneintritt der Babyboomer sinkt das Arbeitsvolumen, und seit 2019 sind die privaten Investitionen stark zurückgegangen. Auch bei Produktivität und Innovation gibt es Defizite: Deutschland hat zu wenige dynamische Start-ups und Scale-ups, und die Ausgaben für Forschung und Entwicklung im privaten Sektor – besonders in den Bereichen Software und Künstliche Intelligenz – sind zu gering. Europa insgesamt steckt in einer sogenannten „Mid-Tech-Falle“; der Fokus liegt auf schrittweise Verbesserungen bereits etablierter Technologien, etwa im Maschinenbau oder der Automobilbranche, statt auf dem Ausbau der Hightech-Bereiche.

Sozialstaat am Limit, Regulierung ohne Maß

Wie kaum anders zu erwarten, sieht das Gutachten ein weiteres Problem in der offenkundigen Überregulierung. Komplexe Regeln auf verschiedenen Ebenen, langsame Verfahren und hohe Bürokratiekosten behindern insbesondere kleine und mittlere Unternehmen. Die Industriepolitik konzentriert sich zudem zu sehr auf bestehende Großunternehmen, statt Ressourcen zugunsten kleiner und mittlerer Unternehmen umzuverteilen und damit deren großes Innovationspotenzial zu fördern und zu heben.

Auch der Sozialstaat und der Wohnungsmarkt belasten die Wettbewerbsfähigkeit: Steigende Sozialausgaben und hohe Lohnnebenkosten erschweren es Unternehmen, wettbewerbsfähig zu bleiben. Mietregulierungen hemmen Investitionen, den Zuzug von Fachkräften und die Dynamik in den Städten. Hinzu kommen hohe Energiepreise, langwierige Genehmigungsverfahren und ein unsicheres steuerliches Umfeld, die Investoren abschrecken. Die Autoren des Gutachtens warnen vor einer „Verlustspirale“: Weniger Investitionen führen zu geringerer Produktivität, stagnierenden Einkommen und abnehmender Innovationsfähigkeit.

Politikwechsel statt Einzelmaßnahmen

Um diese Probleme zu lösen, fordern die Experten nicht in erster Linie Einzelmaßnahmen, sondern vielmehr einen Politikwechsel. Weg von kleinteiligen Eingriffen, hin zu innovationsfreundlichen Rahmenbedingungen. Dazu gehören unter anderem:

  • Strukturwandel zulassen, statt Branchen künstlich am Leben zu erhalten.
  • Mehr Anpassungsfähigkeit und weniger Beharrungskräfte in Verwaltung und Institutionen.
  • Den Wettbewerb stärken, indem der Staat die Rahmenbedingungen setzt, aber nicht einzelne Gewinner auswählt.
  • Unternehmertum fördern und eine Kultur der Risikobereitschaft und Akzeptanz von Scheitern etablieren.
  • Die Forschung stärker auf potenziell disruptive Grundlagenforschung und exzellente, risikoreiche Projekte ausrichten.

Staatliche Investitionen sollten gezielt in Bildung, Infrastruktur und sogenannte Dual-Use-Technologien fließen. Gleichzeitig ist eine systematische Deregulierung notwendig: Nicht nur Bürokratieabbau, sondern der Abbau ganzer wachstumshemmender Regularien. Datenschutz sollte innovationsfreundlicher gestaltet werden, und es sollte mehr Freiraum für neue Technologien wie Künstliche Intelligenz und Gentechnik geben. Zudem wird vorgeschlagen, das Prinzip der Beweislastumkehr einzuführen: Nicht die Deregulierung, sondern die Regulierung muss begründet werden.

Die neue Wohlstandserzählung zu einem höheren Wachstumspfad

Das Gutachten betont die Notwendigkeit einer neuen Wohlstandserzählung: Wachstum ist kein Selbstzweck, sondern Grundlage für sozialen Ausgleich, geopolitische Handlungsfähigkeit und eine erfolgreiche ökologische Transformation. Nur mit einem umfassenden ordnungspolitischen Neustart kann Deutschland wieder auf einen höheren Wachstumspfad zurückfinden.

“Widerstandsfähigkeit ist eben nicht das Beharren auf vergangenen Erfolgen, sondern vielmehr die viel schnellere Anpassung an neue Entwicklungen, um wettbewerbsfähig zu bleiben”

Diese Thesen des Gutachtens der überzeugten Marktwirtschaftler passt exakt zu den Einschätzungen von Markus Brunnermeier, der seine Analyse in der Klausurtagung des Bundeskabinetts auf Einladung von Bundeskanzler Merz vortragen konnte. In einem spannenden Handelsblatt-Interview hat er weitere Vorschläge zum Umgang mit den Klimazielen, der Reform des Bürgergeldes und zur Arbeitsmarktpolitik gemacht. Immer geht es ihm um den Begriff der „Resilienz“. Damit beschreibt er die Herausforderung der modernen Wohlstandsgesellschaften in einer immer schneller sich verändernden Welt anpassungsfähig zu bleiben. Widerstandsfähigkeit ist eben nicht das Beharren auf vergangenen Erfolgen, sondern vielmehr die viel schnellere Anpassung an neue Entwicklungen, um wettbewerbsfähig zu bleiben.

Genau darum geht es auch den Beratern von Bundeswirtschaftsministerin Reiche. Alle Vorschläge dienen dem Ziel, unsere überregulierten, verkrusteten und oft auch trägen Rahmenbedingungen für die Wirtschaft der Zukunft zu ändern. Bildlich gesprochen ist Deutschland ein großer Tanker, der den neuen Kurs nur bewältigen kann, wenn er Bremswege verkürzt und Wendekreise enger macht, kurz: der Tanker beweglicher wird. Diese Fähigkeit zur Resilienz ist Teil der geforderten neuen Wohlstandserzählung. Sie führt nicht zu Arbeitslosigkeit, sozialem Kahlschlag und einem insgesamt schlechteren Leben. Diese neue Widerstandsfähigkeit führt zu besseren und stabilen Jobs, zum Erhalt der solidarischen Gesellschaft und zu einem Leben in einer erstrebenswerten technologischen Umgebung, die vieles möglich machen wird, wovon wir heute noch träumen.

Die Brücke zwischen dem anstrengenden Weg und dem attraktiven Ziel zu schlagen, ist die Herausforderung unserer Zeit. Daran scheint die Politik der modernen Demokratien zu scheitern. Das muss nicht so bleiben. Es lohnt sich, den Wissenschaftlern und ihren klaren Ordnungsprinzipien zu folgen.

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Professor Dr. h.c. mult. Roland Koch ist seit November 2020 Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung. Koch war bis von 1999 bis 2010 Hessischer Ministerpräsident. Altbundeskanzler Ludwig Erhard gründete 1967 die Ludwig-Erhard-Stiftung und gab ihr die Aufgabe, für freiheitliche Grundsätze in Wirtschaft und Politik einzutreten und die Soziale Marktwirtschaft wachzuhalten und zu stärken. Die Stiftung ist von Parteien und Verbänden unabhängig und als gemeinnützig anerkannt. Sie tritt politischem Opportunismus und Konformismus mit einem klaren Leitbild entgegen: Freiheit und Verantwortung als Fundament einer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung für den mündigen Bürger. Infos

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