
Bloomberg: Vietnam auf den Spuren von Musk und Milei?
Bloomberg überraschte vor wenigen Tagen mit der Überschrift: „Vietnams’s Communists Join Musk, Milei in Slashing Government.“ In der Tat: Vietnams Kommunisten sind so kommunistisch wie Nordkorea demokratisch ist, nämlich nur im Namen.
Von Dr. Dr. Rainer Zitelmann
In dem Artikel von Bloomberg heißt es: „Während Elon Musk und der Argentinier Javier Milei ehrgeizige Pläne zur drastischen Verkleinerung des Staates vorantreiben, werden ähnliche Bemühungen von politischen Führern mit einer völlig anderen Ideologie unternommen: der Kommunistischen Partei Vietnams.“
Vietnams regierende Partei nennt sich kommunistisch, hat aber schon 1986 den Weg zu marktwirtschaftlichen Reformen beschritten. Mit Sozialismus und Kommunismus hat Vietnam – wenigstens in der Wirtschaft – schon lange nichts mehr gemein. Vietnams Kommunisten sind so kommunistisch wie Nordkorea demokratisch ist, nämlich nur im Namen.
„Kettensäge“ in Vietnam?
In dem Bloomberg-Artikel heißt es weiter: „Vietnam strebt eine Verkleinerung der Ministerien, Regierungsbehörden und der zivilen Belegschaft um etwa 20 Prozent an … Die Pläne sehen die Abschaffung von fünf Ministerien und die Zusammenlegung von Ministerien wie Finanzen, Planung und Investitionen vor. Vier Regierungsbehörden, darunter das State Capital Management Committee, werden abgeschafft … Es ist noch nicht klar, wie viele Arbeitsplätze verloren gehen werden, aber die Beamten sind unter Druck. Ein stellvertretender Premierminister sagte, dass 100.000 Arbeitsplätze betroffen sein würden, ein anderer ehemaliger Parlamentsbeamter sagte, dass sich Hunderttausende Parteimitglieder und Staatsangestellte Sorgen machen.“

Bemerkenswert ist dies, wenn man das mit den Entwicklungen in China vergleicht. Dort begannen die marktwirtschaftlichen Reformen unter Deng Xiaoping auch in den 80er Jahren, aber unter Xi Jinping geht die Entwicklung in China leider wieder in Richtung mehr Staat und weniger Markt. Das hat Auswirkungen. Während das Wachstum in China im vergangenen Jahr auf unter fünf Prozent zurückging, stieg es in Vietnam auf über sieben Prozent.
Aufsteiger im Index der wirtschaftlichen Freiheit
Man darf gespannt sein, wie sich Vietnam im Index of Economic Freedom platzieren wird, der nächsten Monat für das Jahr 2024 veröffentlicht wird. Vietnam kletterte im vergangenen Jahr um 13 (!) Plätze im Vergleich zum Vorjahr, wo es auf Platz 72 lag. Im Langzeitvergleich seit 1995 hat Vietnam in diesem „Kapitalismus-Index“ 21 Punkte gewonnen, mehr als jedes andere Land vergleichbarer Größe auf der Welt (die Vereinigten Staaten haben im gleichen Zeitraum mehr als 6 Punkte verloren).
Ich war erst im Dezember wieder in Saigon und Hanoi, weil ich dort einen Film gedreht und mit vielen Unternehmern gesprochen habe: Wer in Vietnam mit Menschen spricht, wird merken, dass dort ein sehr kapitalistischer und unternehmerischer Spirit herrscht. Der persönliche Eindruck wird durch eine Meinungsumfrage bestätigt: In den Jahren 2021 bis 2023 führte das Meinungsforschungsinstitut Ipsos MORI in meinem Auftrag in 35 Ländern eine Umfrage durch, um herauszufinden, was die Menschen in verschiedenen Ländern über den Kapitalismus denken. In Vietnam führte das Meinungsforschungsinstitut Indochina Research zwischen dem 19. Oktober und dem 7. November 2022 eine repräsentative Umfrage durch.
Das Wort „Kapitalismus“ hat in Vietnam einen positiven Klang
In den meisten Ländern dominierten negative Meinungen über den Kapitalismus. In Vietnam hingegen verbinden die Menschen mit dem Begriff Kapitalismus überwiegend positive Dinge wie „Fortschritt“ (81 Prozent), „Innovation“ (80 Prozent), „großes Warenangebot“ (77 Prozent), „Wohlstand“ (74 Prozent) und „Freiheit“ (71 Prozent).
Allen Befragten wurden 18 Aussagen zum Kapitalismus vorgelegt, davon waren zehn negativ und acht positiv. Bei diesem Fragekomplex bestätigt sich das, was wir schon beim Assoziationstest gesehen haben – Vietnamesen assoziieren mit Kapitalismus vor allem positive Vorstellungen. Bei dieser Fragegruppe wird es sogar besonders klar. Vietnam war das einzige von 35 Ländern, wo die fünf Statements, die die höchste Zustimmung erhalten, alle pro-kapitalistisch ausfielen.
Am höchsten war mit 78 Prozent die Zustimmung zu der Aussage „Kapitalismus bedeutet wirtschaftliche Freiheit.“ Nur in Japan und Südkorea kam sie auch auf den ersten Platz – und lediglich in fünf von bislang 35 Ländern, in denen wir die Befragung durchführten, kam diese Aussage unter die Top-5, also die fünf Aussagen mit der größten Unterstützung.
“Man kann dem Land nur wünschen, dass es weiter auf dem Weg zu mehr Marktwirtschaft geht. Immerhin hat dies bisher dazu geführt, dass der Prozentsatz der Vietnamesen, die in Armut leben von fast 80 Prozent Anfang der 90er Jahre auf nur noch drei Prozent gesunken ist”
Die zweithöchste Zustimmung mit 74 Prozent bekam die Aussage: „Kapitalismus hat in vielen Ländern die Lage der einfachen Leute verbessert“. In nur einem anderen der insgesamt 35 Länder kam dieses Statement unter die fünf mit der höchsten Zustimmung. In den meisten Ländern stimmten deutlich mehr Menschen der negativen Aussage zu: „Kapitalismus ist verantwortlich für Hunger und Armut“. In Deutschland sagten nur 15 Prozent, der Kapitalismus habe die Lage für einfache Menschen in vielen Ländern verbessert, aber 45 Prozent meinten, Kapitalismus sei verantwortlich für Hunger und Armut. In Vietnam war es umgekehrt: Hier bekam diese negative Aussage, Kapitalismus sei verantwortlich für Hunger und Armut, mit 53 Prozent deutlich weniger Unterstützung als die positive Aussage, der Kapitalismus habe die Lage für einfache Menschen in vielen Ländern verbessert (74 Prozent).
Auch die in Vietnam am dritthäufigsten genannte Aussage „Kapitalismus spornt die Menschen an, ihr Bestes zu geben“ fand mit 71 Prozent große Unterstützung. Nur in drei anderen der 35 Länder kam diese Aussage unter die Top-5. Am vierthäufigsten unterstützten Vietnamesen die Aussage, „Kapitalismus ist ein besonders effizientes Wirtschaftssystem“ (70 Prozent). In keinem anderen der 32 Länder erreichte diese Aussage die Top-5.
Auf Platz 5 kam in Vietnam die Aussage „Kapitalismus sorgt für Wohlstand“ – in nur einem der insgesamt 35 Länder kam diese Aussage ebenfalls unter die Top-Five. An sechster Stelle stand in Vietnam die Aussage, „Kapitalismus ist vielleicht nicht ideal, aber immer noch besser als alle anderen Wirtschaftssysteme“ (59 Prozent). Die kritische Meinung, „Kapitalismus verführt Menschen zum Kauf von Produkten, die sie nicht brauchen“ kam dagegen in 11 von 35 Ländern unter die Top-Fünf, fand aber in Vietnam mit 23 Prozent weniger Zustimmung als jede andere der insgesamt 18 Aussagen.
Intellektuelle Freiheit fehlt
Man wird abwarten müssen, wie konsequent die von Vietnams Parteichef Tô Lâm angekündigten Reformen zur Reduktion des Staates durchgeführt werden. Es bleibt noch eine Menge in Vietnam zu tun – es gibt zu viele Staatsbetriebe und die Korruption ist nach wie vor ein großes Problem. Daher kann man dem Land nur wünschen, dass es weiter auf dem Weg zu mehr Marktwirtschaft geht. Immerhin hat dies bisher dazu geführt, dass der Prozentsatz der Vietnamesen, die in Armut leben von fast 80 Prozent Anfang der 90er Jahre auf nur noch drei Prozent gesunken ist.
Im politischen Bereich freilich gibt es keine Lockerungen: Nachdem ich für mein Buch „Kapitalismus ist nicht das Problem, sondern die Lösung“, das in zwölf Ländern erschienen ist, auch einen Vertrag mit einem Verlag in Vietnam geschlossen hatte und das Buch schon übersetzt war, untersagte die Zensur, dass es erscheint.
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Dr. Dr. Rainer Zitelmann ist Historiker und Soziologe – und war auch als Unternehmer und Investor erfolgreich. Er hat 29 Bücher geschrieben und herausgegeben, die in über 30 Sprachen übersetzt wurden (zuletzt “Weltreise eines Kapitalisten“, “Der Aufstieg des Drachen und des weißen Adlers: Wie Nationen der Armut entkommen“, “Die 10 Irrtümer der Antikapitalisten“). In den vergangenen Jahren schrieb er Artikel oder gab Interviews in führenden Medien wie Wall Street Journal, Times, Le Monde oder Corriere della Sera. Seit kurzem kann auch eine Master-Class “Finanzielle Freiheit – Schluss mit der Durchschnittsexistenz” belegt werden.
Während Deutschland in Bürokratie versinkt, zeigt Vietnam, wie eine schlanke Regierung das Wachstum befeuert. Durch die geplante Abschaffung von Ministerien und Stellenabbau schafft das Land mehr Effizienz – und erzielt über sieben Prozent Wirtschaftswachstum.
Der Schlüssel? Marktwirtschaft statt Staatsdirigismus. Während Vietnam Kapitalismus mit Wohlstand und Freiheit assoziiert, dominiert in Deutschland die Kritik am System. Dabei hat Vietnam die Armutsquote von 80 auf 3 Prozent gesenkt – durch Reformen und weniger Staat.
Deutschland sollte daraus lernen: Bürokratie abbauen, Steuern senken, den Markt entfesseln. Sonst bleibt das Land wirtschaftlich auf der Strecke.