China bläst mit „Kleinen Riesen“ zum Angriff auf die Weltmarktführer

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Deutschland stellt fast die Hälfte aller Weltmarktführer, die meist in Nischen- und Teilmärkten führend sind. Mit gezielter Förderung und reformierten Börsenregeln zielt die Führung in Peking nun auch auf den Marktanteil dieser kleinen und mittleren Hidden Champions.

Von Alexander Brown, Francois Chimits und Gregor Sebastian

Deutschland gilt als das Land der „Hidden Champions„. Unzählige kleine und mittlere Unternehmen (KMU) haben, oft über Generationen hinweg, erfolgreich spezialisierte Produkte entwickelt und weltweit verkauft. Nun droht auch ihnen, womit größere Unternehmen schon länger zu kämpfen haben: die Konkurrenz aus China. Unter Xi Jinping fördert die Regierung Tausende von Hightech-KMU, vom Maschinenbauer bis zum Zulieferer für Elektrofahrzeuge. Das ultimative Ziel: ausländische Importe durch im Inland hergestellte Produkte zu ersetzen.

2018 startete Peking ein von Deutschland inspiriertes Programm zur Förderung der sogenannten „Kleinen Riesen“. Es soll vielversprechende Unternehmen dabei unterstützen, sich zu führenden Unternehmen in ihrem jeweiligen Bereich zu entwickeln. Das Programm erhielt kürzlich neuen Auftrieb, als Premier Li Qiang mehrere dieser Unternehmen besuchte und sie aufforderte, Schlüsseltechnologien zu entwickeln, um die wirtschaftliche Sicherheit des Landes zu gewährleisten. Pekings Priorität ist heute weniger Wirtschaftswachstum (und damit weniger Handel mit Europa) und mehr technologische Eigenständigkeit.

Pekings Mittel zur Unterstützung kleinerer Hightech-Unternehmen sind reichhaltig: Ein dynamisches, mehrstufiges Bewertungssystem hilft bei der Ermittlung innovativer Firmen. Die Provinzregierungen haben 98.000 „spezialisierte KMU“ ermittelt, während die nationalen Behörden mehr als 12.000 besonders vielversprechende „Kleine Riesen“ ausgewählt haben.

Den Weg zu Chinas Börsen ebnen

Um in das Programm der Kleinen Riesen aufgenommen zu werden, müssen Unternehmen in einem der zehn Schwerpunktsektoren des Plans „Made in China 2025“ tätig sein. Dazu gehören CNC-Bearbeitung, Elektrofahrzeuge oder medizinische Geräte. Weitere Bewertungskriterien sind das Potenzial eines Unternehmens, Importe zu ersetzen oder sich einen bedeutenden globalen Marktanteil bei innovativen Nischenprodukten zu sichern.

„Der Staat fungiert als geduldiger Investor für Hightech-KMU in der Frühphase“

Staatlich geförderte Unternehmen profitieren von einer verstärkten Zusammenarbeit mit großen Unternehmen, um ihnen zu helfen, Lücken in der Lieferkette zu schließen, sowie mit Universitäten im Bereich Forschung und Entwicklung (FuE). Sie werden in Fragen des geistigen Eigentums unterstützt – und vor allem finanziell gefördert. Der Staat fungiert als geduldiger Investor für Hightech-KMU in der Frühphase, indem er staatliche Orientierungsfonds einsetzt und günstige Kredite von staatlichen Banken vergibt, die die „Kleinen Riesen“ in eigens dafür geschaffenen Abteilungen betreuen.

Dank vereinfachter Börsenzulassungsanforderungen können Unternehmen auch leichter Kapital an den Börsen aufnehmen. Im Jahr 2022 entfielen 40 Prozent der Börsenzulassungen an den Börsen von Shanghai, Shenzhen und Peking auf „Little Giants“. So hat beispielsweise Hubei Kait Automotive im September bei seinem Börsengang in Peking 133 Millionen CNY (rund 15 Millionen Euro) eingenommen. Der Zulieferer von Automobilelektronik und Sensoren zählt den chinesischen Automobilhersteller BYD und Volkswagen zu seinen Kunden.

Zahlreiche kleine Giganten tragen zum Aufstieg Chinas im Bereich der Elektromobilität bei. Guizhou Anda stellt Batteriematerialien für große Batteriehersteller wie CATL, BYD und CALB her. Das Unternehmen wurde im März 2023 an der Pekinger Börse notiert und nahm 650 Millionen CNY (rund 88 Millionen EUR) ein. Welion, ein Anbieter von Hochleistungs-Festkörperbatterien, baut seine Produktionskapazitäten zügig aus und plant, bis 2025 an die Börse zu gehen. Das Unternehmen hat bereits Nio als Kunden gewonnen und ist Berichten zufolge bei Unternehmen wie Volkswagen und Mercedes-Benz auf Interesse gestoßen.

Rund 40 Prozent der Exporte könnten gefährdet sein

Chinas Streben nach seinen eigenen Hidden Champions stellt nicht nur deutsche, sondern auch europäische Unternehmen vor Herausforderungen. Sie könnten Marktanteile in China und auf der ganzen Welt verlieren. Die Ausfuhren der EU nach China haben einen Gesamtwert von 230 Milliarden Euro und konzentrieren sich stark auf Maschinen, Fahrzeuge und andere Industrieerzeugnisse. Etwa 40 Prozent davon könnten durch chinesische Wettbewerber bedroht werden.

„Die chinesische Industriepolitik kombiniert geschickt staatliche Lenkung und Marktmechanismen“

Ausländische Unternehmen, die in China produzieren, sind weniger anfällig für Chinas Bemühungen, die Lieferketten zu sichern. Allerdings wächst die inländische Konkurrenz, vor allem in Sektoren, die China als strategisch wichtig einstuft, wie dem Maschinenbau, in dem deutsche Unternehmen besonders aktiv sind.

Angesichts der wachsenden Herausforderung durch Chinas staatlich geförderte KMU muss Europa handeln. Die chinesische Industriepolitik kombiniert geschickt staatliche Lenkung und Marktmechanismen. Indem Peking die Grenzen zwischen staatlicher Unterstützung und Marktkräften weiter verwischt, hat es den Wirtschaftspartnern noch schwerer gemacht, Subventionen verschiedener Art zu beurteilen. Die EU muss ihre eigenen Hidden Champions unterstützen und den Binnenmarkt schützen. Dazu sind Investitionen nötig, etwa in Institutionen wie den KMU-Handels-Helpdesk der EU-Kommission.

Die europäischen Unternehmen wiederum müssen sich auf den wachsenden Wettbewerb vorbereiten und ihre Kerntechnologien schützen. Chinas ehrgeiziges High-Tech-KMU-Programm sollte ein Weckruf sein. In vielen Bereichen gehen die Zeiten zu Ende, in denen europäische Unternehmen einen klaren technologischen Vorsprung gegenüber China hatten. Der europäische Automobilsektor, insbesondere im Bereich der Elektrofahrzeuge, hat bereits ein böses Erwachen erlebt. Nun könnten Europas Hidden Champions die nächsten sein.

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Alexander Brown, Francois Chimits und Gregor Sebastian sind Analysten beim Mercator Institute for China Studies (MERICS). MERICS wurde 2013 von der Stiftung Mercator gegründet, um die Kenntnisse und Diskussion über China in Deutschland und Europa zu vertiefen. Mit mehr als 20 internationalen Experten aus Europa, den USA und Australien ist MERICS das derzeit das größte europäische Forschungsinstitut, das sich ausschließlich mit der Analyse des aktuellen Chinas und seiner Beziehungen zu Europa und der Welt beschäftigt. Infos

Bild ganz oben: Jeremy Zhu auf Pixabay

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