Cote d’Azur – im Winter?

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Cannes im Winter ist ein seltsames Phänomen: Man kommt an, sieht die Croisette – und wundert sich, warum man eigentlich immer im Sommer hier war. Dann merkt man: Wahrscheinlich, weil alle anderen es so machen. Dabei war die Côte d’Azur einmal das Gegenteil einer Sommerdestination.

Mitte des 19. Jahrhunderts strandete der britische Politiker Lord Henry Brougham mit seiner Tochter auf dem Weg nach Italien an der damaligen Grenze bei Nizza, weil wegen einer Cholera-Sperre niemand weiterreisen durfte. Was heute nach gut erzählbarer Legende klingt, ist historisch recht solide belegt. Brougham fand in dem kleinen Fischerdorf, was London ihm nicht bieten konnte: Licht, klare Winterluft und eine Ruhe, die fast medizinisch wirkte. Er ließ sich eine Villa bauen – und der europäische Adel tat es ihm nach. Damit begann Cannes’ Karriere als Winterdestination, lange bevor die ersten Badegäste überhaupt auf die Idee kamen, im August an die Riviera zu reisen.

Ruhig liegen sie da, die Superjachten, die in Cannes überwintern ( Bild DDW )

Wir waren also im Dezember hier und haben festgestellt, daß Cannes diese alte Logik wieder für sich entdeckt hat. Die Pastelltöne der Küste, die sich im Wasser brechen, bilden die Kulisse für einen mondänen Ort mit Belle-Époque-Charme und Superyachten. Es ist ruhig, aber nicht leer. Die Stadt wirkt wie Cannes im Original, bevor sich Festival, Modezirkus und „busy season“ alles unter den Nagel reißen.

Das Martinez ohne Bodyguards und Blitzlicht

Unser erster Weg führt ins Hotel Martinez, Cannes’ Grande Dame der europäischen Luxushotellerie. Die berühmte weiße Fassade steht da, wie man sie kennt, nur ohne die gewohnte Menschenmenge davor. Kein roter Teppich, kein Security-Team, das Gäste und Kameras voneinander trennt. Man betritt einfach die Lobby und fühlt sich willkommen.

Der Blick auf die Croisette von unserem Zimmer im Martinez ( Bild DDW )

Seit einigen Jahren im Besitz von Qatars Royal Family und damit Schwesterhotel des Claridge’s und Ritz in London und einer Vielzahl von anderen Hotelperlen hat man mit nie dagewesenem finanziellem Aufwand eine Renovierung durchgeführt, die ihresgleichen sucht. Interior-Altmeister Pierre-Yves Rochon hat nicht weniger als einen magic touch auf das Martinez regnen lassen. Die weiß-blauen Zimmer strahlen im südfranzösischen Sonnenlicht, die Art-Déco-Linien zitieren die goldene Ära von Hollywood, kalifornischer Yachtdesigner trifft Paris Chic. Man sitzt auf dem Balkon, hört das Wintermeer, und es ist erstaunlich, wie angenehm leise Cannes sein kann, wenn niemand versucht, eine Party daraus zu machen.

Der Insta-Spot

Wer spart, bekommt statt dem Balkon über der Croisette ein Zimmer nach hinten raus, was kein großer Schaden ist. Aus dem kargen Innenhof ist ein Landschaftsgarten mit Pool geworden, L’Oasis du Martinez. Es gibt hier auch einige Suiten mit eigenem kleinen Garten, die vor allem für Familien mit Kindern interessant sind.

Die spektakulärsten Suiten des Hotel Martinez liegen jedoch unbestritten im siebten Stock: Die zeitgenössischen Penthouse-Wohnwelten mit insgesamt über 1.300 Quadratmetern Fläche sind dem Filmfestival gewidmet, und es gibt sie in femininem und in maskulinem Design. Auf Wunsch lassen sie sich zu einem einzigen Ensemble verbinden – ideal für jene Abende, an denen Cannes nicht unbedingt mitbekommen soll, daß Sie da sind, aber es vermutlich trotzdem tut. Wer auf Instagram glänzen will, der erwirbt mit der Suite auch ungehinderten Zugang zu den übergroßen Martinez-Lettern am Dach, die als Fotomotiv so gut sind wie die Hollywood-Buchstaben, nur viel exklusiver.

Echtes Grand Hotel mit 409 Zimmern

Freier Blick in die Küche und auf die Finger von Michelin-Sternekoch Christian Sinicropi ( Bild: DDW )

Trotz aller Exklusivität bleibt das Martinez ein klassisches Grandhotel mit beeindruckenden 409 Zimmern. Es funktioniert wie eine gut gepflegte Cartier-Uhr, und wir wundern uns, wie man diese große Gästeanzahl so virtuos durch ein einziges Frühstücksbuffet schleust. Denn das Martinez war gut gebucht, als wir dort waren. Die opulente Frühstücksinszenierung mit Patisserie wie in Paris hat uns übrigens in jeder Beziehung voll für sich eingenommen.

 

Ergänzt wird der Glamour im Martinez vom hochrangigen Michelin-Restaurant Palme d’Or unter der Leitung des aus Cannes stammenden Christian Sinicropi und der darunterliegenden Bar im opulenten Stil der 1930er Jahre. Wer hier nicht zum Telefon greift und Fotos macht, dem ist nicht zu helfen.

Der Beach Club „La Plage du Martinez“ ist im Winter eine eigene Szene: Das Licht ist weicher, der Strand fast privat, die Atmosphäre leicht surreal. Man ißt Fisch, trinkt ein Glas Rosé – und muß sich nicht fragen, warum man das mitten im Sommer zwischen 500 Leuten macht.

Für Jetlag-Notfälle oder ein schnelles Aufhübschen vor dem Abend steht das großzügige Spa in Zusammenarbeit mit Carita zur Verfügung. Die historische Kosmetikmarke aus Paris repräsentiert wie kaum eine andere französischen Luxus und hält alles bereit, was man braucht, um im Nu zehn Jahre jünger auszuschauen. Als stille Oase des Hauses, L’Oasis, werden auch die Kosmetikerinnen des Hauses ihrer Aufgabe, anspruchsvollste Kunden aus Royalty und Showbusiness zu bedienen, mehr als gerecht.

Der Marché Forville ( Bild: Cannes Office de Tourisme )

Cannes ohne Gedränge

Winter an der Côte d’Azur hat einen Vorteil, den keine Marketingkampagne je ehrlich verkaufen wird: Man kann sich wieder bewegen. Auf der Croisette, ohne Slalom um Influencer. Am Strand, ohne reservierte Himmelbetten. In Restaurants, ohne Warteliste.
Das Meer hat eine andere Farbe – kälter, klarer, fast nordisch, aber mit südfranzösischem Licht. Dazu eine Luft, die sauber wirkt, weil sie nicht von 35 Grad in die Knie gezwungen wird. Die Croisette ist jetzt eine Promenade für Spaziergänge, nicht für Fotosessions. Ein Ort, an dem Hundehalter, Einheimische und ein paar Kenner unterwegs sind, die genau wissen, warum sie im Dezember kommen.

In der Altstadt Le Suquet: Keine Kreuzfahrtgruppen, keine durchgetakteten Führungen. Enge Gassen voller Geschäfte und ein Blick auf die Bucht, der im klaren Winterlicht fast übertrieben schön wirkt. Auf dem Marché Forville: Trüffel, Wintergemüse, Oliven, die Händler haben Zeit für Gespräche, und wir träumen von einer Villa mit vielen Gästezimmern und einem großen Essen für Freunde. Antibes, Mougins, die kleinen Orte im Hinterland sind jetzt alle erreichbar ohne Stau, alles ruhiger, alles authentischer.

Zwischen Pinien und Mönchen

L’abbaye de Lérins auf der l’île Saint-Honorat

Wer Cannes im Winter besucht, sollte sich die Überfahrt zu den Lérins-Inseln nicht entgehen lassen. Die Boote fahren regelmäßig, und schon nach wenigen Minuten liegt die Croisette hinter einem, als hätte jemand die Lautstärke heruntergedreht. Auf Île Sainte-Marguerite spaziert man zwischen Pinien und Eukalyptusbäumen, hört nur Wind und Schritte, und versteht sofort, warum selbst Einheimische hierher flüchten, wenn sie Ruhe brauchen. Île Saint-Honorat, mit seinem Kloster und den Weinreben der Mönche, wirkt noch abgeschiedener – ein Ort, an dem die Riviera plötzlich spirituelle Züge annimmt. Beide Inseln zeigen eine Seite von Cannes, die viele gar nicht kennen: die stille, ursprüngliche, fast mediterran-strenge Schönheit, die gerade im Winter besonders klar hervortritt.

 

Mondäner Treffpunkt der Riviera-Gesellschaft

Das im letzten Jahr wiedereröffnete Palm Beach ist eines der bekanntesten Gebäude der Halbinsel von Cannes – 1929 als mondäner Treffpunkt der Riviera-Gesellschaft eröffnet, später Spielbank, Nachtclub und Mythos zugleich. Nach der umfangreichen Renovierung ist das Haus heute wieder das, was es ursprünglich war: ein exklusiver Rückzugsort mit deutlicher Betonung auf Privatsphäre. Ein großer Teil der Anlage fungiert als Members’ Club mit Pool, Gym, Spa und einer eigenen Lounge, während die Restaurants, Bars und Eventflächen auch für externe Gäste zugänglich sind. Der Mix aus historischer Architektur und modernem „Riviera Entertainment“ verleiht dem Ort eine neue Relevanz, besonders im Winter, wenn Palm Beach einen stilvollen Weihnachtsmarkt organisiert.

Was man sonst noch machen sollte:

Jean-Michel Othoniel Ausstellung in Cannes. Bild: Gallerie Perrotin, Photograph: Olivier Calvel
Jean-Michel Othoniel Ausstellung in Cannes. Bild: Gallerie Perrotin, Fotograf: Oliver Calvel

 

La Malmaison – Jean-Michel Othoniel: „Poussière d’étoiles“

La Malmaison an der Croisette zeigt diesen Winter eine große Schau des französischen Künstlers Jean-Michel Othoniel. Seine skulpturalen Glasinstallationen – glänzend, modular, fast schwebend – funktionieren besonders gut in der strengen Architektur des Hauses. Eine ruhige, visuell starke Ausstellung, die perfekt zu einem Wintertag in Cannes paßt

Fondation Maeght, Saint-Paul-de-Vence 

Eine der bedeutendsten privaten Kunststiftungen Europas – und im Winter fast menschenleer: Die Maeght zeigt regelmäßig große Namen der Moderne (Miro, Chagall, Giacometti, Braque). Auch ohne Wechselausstellung ist das Ensemble aus Skulpturengarten, Architektur von Josep Lluís Sert und der Lage in den Hügeln schon ein Erlebnis, das jede Riviera-Reise kulturell ankert. Für viele der schönste Kunstort Südfrankreichs, 45 Minuten von Cannes entfernt.

La Colombe d’Or

Bild: La Colombe d’Or

Und gleich am Ortseingang steht eines der legendärsten Gasthäuser Frankreichs: La Colombe d’Or, eine Mischung aus Auberge und Kunstkammer. In den Wirren des Kriegs fanden die Pariser Künstler Zuflucht in dem einst kleinen Gasthaus – Yves Montand, Lino Ventura und Serge Reggiani machten den Ort ihr Wohnzimmer. 1952 verlegte Fernand Léger farbenfrohe Keramikfliesen auf der Terrasse. Miró, Braque und Chagall hinterließen ihre Spuren an den Wänden, gefolgt von Picasso, Calder, César und vielen anderen. Die Wände voll mit Originalen, es ist immer noch geführt von Familie Roux und man zelebriert die Tugenden der traditionellen französischen Küche. Das Soufflé flambé und den Vacherin glacé genießt man in solcher Vollendung nur hier.

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