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Das Paradoxe kommt am Ende
Der Mindestlohn als billiges Wahlkampfthema: Bundeskanzler Olaf Scholz ist auf der Suche nach Themen, die seine Popularität erhöhen.
Von Professor Dr. h.c. mult Roland Koch
Auf Plakaten lesen wir das Wort „Besonnenheit“, was wohl seine zurückhaltende Unterstützung bestimmter Politikbereiche, zum Beispiel die Verteidigungsbemühungen der Ukraine, rechtfertigen soll. Jetzt hat er mit fast schon rüden Worten die Herzen der Arbeitnehmer anvisiert und nach der Ablehnung jeder Arbeitszeitverlängerung die Forderung nach einem Mindestlohn in Höhe von 15 Euro zu seinem Projekt gemacht. Das allerdings kann man beim besten Willen nicht „besonnen“ nennen.
Die „fleißigen Deutschen“ – es war einmal…
Die von ihm geführte Diskussion über die besonders „fleißigen Deutschen“ wegen der im vergangenen Jahr geleisteten Arbeitsstunden ist schlicht falsch. Wir liegen weit hinten! Beschäftigte in Deutschland arbeiten im Schnitt 1.031 Stunden im Jahr (OECD-Studie). Dagegen arbeiten z. B. Amerikaner 1.291 Stunden/ Jahr, Polen 1.295, Neuseeländer sogar 1.393 Stunden/ Jahr. Ja, es ist richtig: Wir haben im letzten Jahr 55 Milliarden Arbeitsstunden gemessen, so viel wie noch nie. Aber nur, weil wir so viele Arbeitnehmer hatten (45,7 Millionen) wie noch nie. Im Schnitt arbeiten wir in Deutschland aber nach den gleichen Zahlen des Statistischen Bundesamtes lediglich 34,7 Stunden/ Woche: so wenig wie nie! Und das vor dem Hintergrund der Alterung und des Fachkräftemangels. Ein besonnener Kanzler hätte den Bürgern zugerufen: „Prima – aber das wird für die Erhaltung unseres Wohlstandes leider nicht reichen.“
Die Mindestlohndiskussion attackiert die Tarifautonomie
Die nun angekündigten 15 Euro Mindestlohn sind ein weiterer Eingriff in die freie Wirtschaft mit beachtlichen Konsequenzen. Zu Beginn der Regierungszeit der „Ampel“ wurde das eigentlich vereinbarte Regime der Festlegung eines Mindestlohns durch eine unabhängige Kommission von der Regierung außer Kraft gesetzt. So kam es zu den seit Januar 2024 geltenden 12,41 Euro. Offensichtlich hat der Kanzler das Ziel, zwecks Wahlgeschenks die Zerstörung der Tarifautonomie erneut in Kauf zu nehmen. Das schädigt das gesamte System eines auf privater Vertragsbasis organisierten Arbeitsmarktes schwer!
Einige grundsätzliche Bemerkungen zur Tarifautonomie sind dazu vielleicht hilfreich: Als Teil der Koalitionsfreiheit ist die Tarifautonomie durch Art. 9 Abs. 3 des Grundgesetzes geschützt. Sie ist Ausdruck der Privatautonomie und spiegelt die Eigenverantwortung als Grundsatz unserer freiheitlichen Wirtschaftsordnung wider. Sie ist ein Sieg der Arbeiterschaft in einer langen Geschichte. Es dient dem Frieden einer freien Gesellschaft, dass der Staat/ die Regierung – von Exzessen abgesehen – gerade nicht verantwortlich für faire Löhne ist. So können regionale und sektorale Einflüsse ein großes Gewicht haben. Gewerkschaften waren lange stolz genug, sich diese zentrale Kompetenz auch von einer sozialdemokratischen Regierung nicht aus der Hand nehmen zu lassen. Inzwischen sehen immer weniger Arbeitnehmer einen Sinn darin, Gewerkschaftsmitglied zu sein. Sie sparen die Gewerkschaftsbeiträge ebenso, wie sich andere immer öfter die Kirchensteuer sparen. Die Arbeitgeber sind leider oft ebenso kurzsichtig und meiden die Arbeitgeberverbände. Das ist für beide Seiten ihr gutes Recht, aber keine Legitimation für den Staat, das Feld zu übernehmen und damit zum Spielball kurzfristiger politischer Überlegungen zu machen. Der Bundeskanzler könnte dann mit Lohnfragen keinen Wahlkampf führen. Und das wäre gut.
Wer ist klüger als die Tarifvertragsparteien?
Obwohl sachliche Gründe in der aktuellen Diskussion kaum eine Rolle spielen, wird an der Politisierung des Mindestlohns sofort eine weitere Frage offenkundig: Was könnten Kriterien für eine politische Festlegung sein und wie wird das gesamte System damit in Mitleidenschaft gezogen? Schon der Mindestlohn von 12 Euro hat einige von Gewerkschaften und Arbeitgebern ausgehandelte Tarifverträge unterlaufen. Tarifvertragsparteien waren also in der Abwägung zwischen Arbeitsplatzsicherheit und Lohnhöhe zu einem niedrigeren Verhandlungsergebnis gekommen. 15 Euro lassen vermuten, dass bis zu 20 Prozent aller tarifvertraglich geschlossenen Löhne und Gehälter durch den neuen gesetzlichen Mindestlohn übertroffen werden. Folgerichtig müssen dann alle weiteren Lohngruppen ebenfalls angehoben werden. Zum Schluss, wie das Bundesverfassungsgericht vor einigen Jahren beschlossen hat, müssen die Beamtengehälter angehoben werden, weil sie in den unteren Gehaltsgruppen sonst nicht mithalten können.
Das Paradoxe kommt am Ende: Die Protagonisten der politisch motivierten Mindestlohnerhöhung berufen sich darauf, der niedrigste Lohn müsse mindestens 60 Prozent des „Median-Lohnes“ betragen, der eine Durchschnittsberechnung aller Löhne darstellt. Wenn dann alle Löhne in Deutschland mit Rücksicht auf den neuen Mindestlohn angestiegen sind, wird der dann aktuelle Mindestlohn neuerlich zu niedrig liegen, denn das ganze Prozedere erhöht selbstverständlich den Median-Lohn.
Besonnenheit wäre angebracht
Für eine stabile Tarifautonomie und eine gelebte Sozialpartnerschaft braucht es keinen staatlichen Lohn- und Gehaltskommissar. Um gemeinsam optimale, branchendifferenzierte Lösungen bei Tarifverträgen zu erlangen, sind gut aufgestellte Sozialpartner vonnöten. Für attraktive Tarifverträge sind starke Arbeitgeberverbände und starke Gewerkschaften notwendig. Und dazu müssen in erster Linie die Tarifvertragsparteien selbst beitragen. Das alles ist Aufgabe der Sozialpartner, nicht des Staates! Ist „Tarifautonomie“ nicht nur wohlfeiles Sonntagsgerede, muss die Politik die Gestaltung tarifpolitischer Spielräume wieder den Sozialpartnern überlassen.
Das alles zeigt, warum es klug wäre, wenn die Politik – und insbesondere Olaf Scholz – besonnen genug blieben, die Finger von politischen Lohnmanipulationen zu lassen.
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Professor Dr. h.c. mult. Roland Koch ist seit November 2020 Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung. Koch war bis von 1999 bis 2010 Hessischer Ministerpräsident. Altbundeskanzler Ludwig Erhard gründete 1967 die Ludwig-Erhard-Stiftung und gab ihr die Aufgabe, für freiheitliche Grundsätze in Wirtschaft und Politik einzutreten und die Soziale Marktwirtschaft wachzuhalten und zu stärken. Die Stiftung ist von Parteien und Verbänden unabhängig und als gemeinnützig anerkannt. Sie tritt politischem Opportunismus und Konformismus mit einem klaren Leitbild entgegen: Freiheit und Verantwortung als Fundament einer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung für den mündigen Bürger. Infos
Sehr geehrte Damen und Herren, 22.05.2024
super, klare u. deutliche Worte, wie wir sie vom Autor kennen.
Bedauerlich ist, dass solche klaren Worte u. Fakten in der Berichterstattung der öffentlichen Rundfunk- u. Fernsehanstalten nicht auftauchen.
Mit freundlichen Grüßen
K. Lüke, 48734 Reken
Tel.: 02864 – 7640