
Der Purpose-Hype: International längst abgelaufen
In einer Zeit in der Unternehmen sich als Non-Profit-Organisationen gerieren, während sie gleichzeitig For-Profit-Organisationen sind, lohnt es sich, einen kritischen Blick auf das Phänomen der „Ethik als Marketinginstrument” zu werfen. Denn was vor 15 Jahren als verheißungsvolle „Purpose-Strategie“ begann, zeigt mittlerweile deutliche Ermüdungserscheinungen, nahezu überall in der Welt … bis auf Deutschland.
Von Dr. Oliver Errichiello
„Im Augenblick, als die Welt ihren Sinn verlor, entdeckte die Werbung die Heilsbotschaft.“ Mit diesem prägnanten Satz traf der verstorbene Roger Willemsen den Kern unserer zeitgenössischen Marketingkultur. Nach der Finanzkrise 2008 begannen insbesondere Banken, die ihren Ruf retten mussten, plötzlich von höheren Werten, vom „Purpose“ zu sprechen. Jim Stengel, ehemaliger Marketingchef von Procter & Gamble, verkündete gar, dass „Haltungsmarken“ angeblich 400% mehr Profit erwirtschaften könnten: Consumer vult! Eine gleichsam biblische Geldvermehrung durch ethische Überlegenheit.
Daraufhin überboten sich Unternehmen mit weltrettenden Botschaften, virtuellen Regenwäldern und emotionalen Weihnachtsspots, die einsame Opas und demonstrierende Mega-Stars inszenierten. Die Werbung konnte sich endlich vom Stigma befreien, Menschen zu manipulieren und Überflüssiges anzudrehen. Stattdessen wurde der Konsum zum Heilsversprechen: Mit jedem Karten-Swipe eine gute Tat. Musterbeispiel: Patagonia. Mit dem paradoxen Slogan „Don’t buy this jacket“ predigte die Marke Konsumverzicht … und kurbelte genau dadurch den Verkauf an. Mehrfach.
Die transatlantische Purpose-Kluft
Doch heute, im Frühjahr 2025, zeichnet sich eine interessante Spaltung ab. In den USA und Großbritannien klingt der Purpose-Hype deutlich ab. Nicht zuletzt aufgrund Trumps Wahlsieg. Große Konzerne wie Alphabet, Amazon, Coca Cola,Unilever, P&G und Danone haben ihre Weltrettungsphantasien stillschweigend eingestellt. Unilevers CEO Hein Schumacher räumte kürzlich sogar öffentlich ein, dass der Purpose-Hype „mehr Schatten als Licht gebracht hat“ und die Fokussierung auf Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit vom Kerngeschäft abgelenkt habe. Dass die Purpose-Pioniere in den USA und UK ihre Haltungsfixierung inzwischen aufgeben, beweist nur, frei nach dem amerikanischen Marketing-Professor Mark Ritson: „The purpose of purpose was always profit!”
Deutschland hingegen hält weiterhin unbeirrt am „Ethik-Marketing“ fest. Als selbsternannter Ethik-Weltmeister in der Politik scheint die deutsche Wirtschaft noch immer überzeugt, dass weltanschauliche Überlegenheit ein nachhaltiger Wettbewerbsvorteil sei. Diese Diskrepanz erinnert an eine Szene aus Rainer Zitelmanns Roman „2075 – Wenn Schönheit zum Verbrechen wird“, in der eine Gesellschaft so sehr an ihren ideologischen Überzeugungen festhält, dass sie die Realität um sich herum nicht mehr wahrnimmt und das Streben nach absoluter Gleichheit am Beispiel von „Überschönheit“ besonders attraktiver Frauen zur Tyrannei wird.
Die Marktsegmentierung der Haltung
Was wir zunehmend beobachten, ist eine Zweiteilung des Marktes und zwar auf beiden Seiten des Atlantiks, aber mit unterschiedlicher Ausprägung. In den USA entstehen regelrechte „Anti-Purpose“-Marken: Fast-Food-Ketten, die Bibelverse auf ihre Hamburger-Verpackungen drucken („In-N-Out-Burger“), Kaffee- und Bekleidungsfirmen („Black Riffle Coffee Company“ oder „Conservative Grounds“), die patriotische Werte zelebrieren und mit einem bewusst traditionellen Lebensgefühl werben. Diese Unternehmen haben ein kulturelles Vakuum erkannt und adressieren gezielt jene Konsumenten, die sich von einer vermeintlichen Bevormundung der Purpose-Marken, von Regenbögen und „toxischen Männlichkeitswarnungen“ abgestoßen fühlen.
In Deutschland hingegen zeigen sich erst zaghafte Anzeichen dieser Entwicklung. Meist indem man in der Werbung wieder über Leistungen informiert. Jedoch dominiert nach wie vor der hehre Anspruch, Konsumenten zu „besseren Menschen“ zu erziehen. Die bunte Regenbogenflagge, ursprünglich Symbol für Respekt gegenüber diversen Lebensentwürfen, wird zum Erkennungszeichen eines Milieus, das rigide zwischen „richtig“ und „falsch“ unterscheidet.
Eine Gefahr für die Demokratie?
Noch alarmierender ist dagegen eine sehr deutsche Beurteilung über die Werbung hinaus: Die Branche feiert, dass Marken inzwischen mehr Vertrauen genießen würden als politische Parteien. Das ist keine Erfolgsgeschichte, sondern demokratiegefährdend! Wenn profitorientierte Unternehmen die Meinungsbildung bestimmen, kontrollieren CEOs und Werbeprofis die öffentliche Debatte und zwar mit ihrer erzieherischen Weltanschauung für jene „rückständigen“ Menschen, die noch Fleisch essen, in Einfamilienhäusern wohnen und mit dem Flugzeug nach Mallorca fliegen. Die Entwicklung in den USA zeigt: Es gibt durchaus einen Markt für Unternehmen, die konservative Positionen vertreten. Würden wir dann immer noch applaudieren, schließlich engagieren sie sich auch gesellschaft … nur in einem anderen Sinne?
Prognose: Polarisierung statt Ethik-Konsens
Für den deutschen Markt ist zu erwarten, dass die transatlantische Purpose-Kluft auch hierzulande ankommen wird. Die Zweiteilung des Marktes wird sich verstärken: Auf der einen Seite ethisch aufgeladene Marken für urbane, akademische Milieus, auf der anderen Seite Marken, die bewusst auf Traditionsbewusstsein, Heimatverbundenheit und Normalität setzen.
Womöglich war das größte Opfer des werblichen „Ethik-Hypes“ nicht unser Geldbeutel, sondern unser Vertrauen. In einer Welt in der jede Marke vorgibt, die Welt zu retten, verliert die wirkliche Veränderung zum Guten an Bedeutung. Denn: Wahre Ethik verträgt keine Instrumentalisierung; weder durch staatliche Zwänge noch durch marketinggetriebene Unternehmen.
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Dr. Oliver Errichiello ist Geschäftsführer des Büros für Markenentwicklung in Hamburg. Er ist Verfasser mehrerer Fachbücher sowie gefragter Experte zum Thema Marke und Dozent für Markenmanagement an der Hochschule Luzern. Weitere Informationen unter www.buero-fuer-markenentwicklung.com
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