Der Wohlstandsverlust in Deutschland wird greifbar

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Tritt ein, wovor Ökonomen wie Daniel Stelter (hier auf DDW) bereits seit langem warnen: Das K.O. für Deutschland? Neueste Zahlen der KfW und des IW befeuern diese Befürchtungen. Alleine der Ukrainekrieg und alle damit verbundenen wirtschaftlichen Bedrohungen kosten rund 175 Milliarden Euro an Wertschöpfung – ein direkter Wohlstandsverlust von 2.000 Euro je Einwohner.

Dieser Beitrag ist am 25.1.23 ergänzt worden.

Die deutsche Wirtschaft steht vor einer Zeitenwende, fürchtet die Förderbank KfW: Besonders der Fachkräftemangel und eine mäßige Produktivitätsentwicklung bedrohen den deutschen Wohlstand. Neue Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) beziffern, welche Einbußen schon in 2023 zu erwarten sind: Demnach kosten der Ukrainekrieg und alle damit verbundenen wirtschaftlichen Bedrohungen rund 175 Milliarden Euro an Wertschöpfung. Das entspricht preisbereinigt etwa 4 ½ Prozent des BIP. Für die Berechnung wird die aktuelle Lage mit einem kontrafaktischen Konjunkturverlauf verglichen, also einer Welt, in der es keinen Krieg und damit keine hohen Energiepreise oder Lieferengpässe gibt. Die direkten Wohlstandsverluste lassen sich somit auf 2.000 Euro je Einwohner beziffern.

595 Milliarden Euro Verluste seit Pandemiebeginn

Die deutsche Wirtschaft befindet sich aus dem unheilvollen Zusammenwirken von anhaltender Pandemie und dem Krieg in der Ukraine im nunmehr dritten Krisenjahr. Die globalen Produktionsnetzwerke leiden noch immer unter den pandemiebedingten Verspannungen. Die kriegsbedingten Versorgungsprobleme mit Energie und Rohstoffen sorgen für bislang ungekannte Kostenschocks. Zudem leidet die gesamtwirtschaftliche Nachfrage in ihrer vollen Breite. Nach den Konsumeinschränkungen infolge der bisherigen Infektionswellen zehren nunmehr hohe Inflationsraten an der Kaufkraft der Haushalte. Angesichts anhaltend unsicherer Wirtschaftsperspektiven halten sich Unternehmen mit ihren Investitionen weiter zurück. Die Weltwirtschaft verliert wieder an Schwung und dies setzt dem deutschen Exportgeschäft zu.

Schon in den vergangenen drei Jahren mussten die Deutschen somit enorme Wohlstandsverluste hinnehmen, wie die Berechnungen zeigen: Bereits auf das Pandemiejahr 2020 entfiel infolge von Lockdowns und Unsicherheit ein Wertschöpfungsverlust von 175 Milliarden Euro. 2021 ergab sich ein weiterer BIP-Verlust von 125 Milliarden Euro, für 2022 dürften sich Einbußen auf knapp 120 Milliarden Euro belaufen haben. Insgesamt summieren sich die Produktionsausfälle somit bis Ende 2023 auf 595 Milliarden Euro.

Deutschland weiter im Krisenmodus

Dabei lassen sich laut IW vor allem drei verschiedene kriegsbedingte Probleme identifizieren:

  1. Zum einen ist Energie nach wie vor unsicher, Unternehmer befürchten Störungen und Notlagen, beispielsweise bei kritischen Infrastrukturen.
  2. Hinzu kommen hohe Kosten, nicht nur für Strom und Gas, sondern auch für Vorleistungen und Rohstoffe – das bedroht die Wettbewerbsfähigkeit. „Nicht alle Kosten lassen sich an Käufer weitergeben“, sagt IW-Konjunkturchef Michael Grömling. Die Folge: Unternehmen entscheiden sich im Zweifel gegen geplante Investitionen.
  3. Gleichzeitig belastet die Situation aber auch Käufer: Private Haushalte fragen weniger Güter nach, der Kauf des nächsten Autos wird aufgeschoben, wenn er nicht unumgänglich ist.

„Die Situation ist nach wie vor sehr fragil“, sagt IW-Ökonom Michael Grömling. „Die Ausnahmesituation wird uns auch in den kommenden Monaten beschäftigen und den Wohlstand belasten.“

Erosion der industriellen Substanz droht

Kaum mit klaren Zahlen erfassbar, aber virulent, ist die Gefahr des Abwanderns von Produktionskapazitäten in Länder, deren Strukturbedingungen generell besser und z. B. die Energiekosten günstiger sind. Im jüngsten Länderindex der Stiftung Familienunternehmen findet sich Deutschland mittlerweile auf dem viertletzten Platz unter 21 Industrieländern. Der Befund zur Position Deutschlands bietet erheblichen Anlass zur Sorge, so die Studienautoren. Unternehmen sind in Deutschland im internationalen Vergleich mit höheren Steuern, höheren Regulierungslasten und höheren Energiekosten als an den meisten anderen Standorten konfrontiert. Noch dazu bieten andere Industriestaaten mit vergleichbar hohen Arbeitskosten zumeist eine höhere Produktivität in Kombination mit einer besseren Leistung des Bildungssystems.

Im Ergebnis wachsen Unternehmen in anderen Ländern schneller, als deutsche, wie jüngst auch der Global Family Business Index der Universität St. Gallen und EY herausgearbeitet hat. Die 500 umsatzstärksten Familienunternehmen der Welt konnten demnach ihren Umsatz im Vergleich zu 2021 im Durchschnitt um 14 Prozent steigern, doch die deutschen Top Familienunternehmen wuchsen langsamer und legten im Durchschnitt nur um sechs Prozent zu. Zum Vergleich: Die asiatischen Unternehmen im Ranking steigerten ihren Umsatz gegenüber dem Family Business Index des Jahres 2021 um 21 Prozent, die nordamerikanischen um 12 Prozent.

Was jetzt zu tun wäre

„Der breiten Öffentlichkeit ist nicht bewusst, dass ein Großteil der Unternehmen aus rein betriebswirtschaftlicher Sicht kaum noch am Standort Deutschland investieren kann, weil eine übergriffige Politik systematisch dafür sorgt, die einst günstigen Standortfaktoren in unserem Land und in Europa immer weiter zu verschlechtern“, konstatiert die jüngst gegründete Initiative „Rettet unsere Industrie“. Der Prozess der Deindustrialisierung nehme immer mehr an Fahrt auf, durch eine katastrophale Energiepolitik, durch überzogene Umweltvorschriften, durch den Fachkräftemangel und vieles andere mehr. „Viele Unternehmen müssen aufgeben, andere wandern ab. Der Prozess der Deindustrialisierung hat längst eingesetzt und gewinnt an Fahrt“ befürchten die Initiatoren. Das bedeute mittelfristig das Ende des Sozialstaats und der kostspieligen Umweltpolitik. Ohne die Einnahmen der Industrie würden diese nicht mehr finanzierbar sein.

Die Initiative „Rettet unsere Industrie“ erhebt im Kern die folgenden Forderungen:

  1. Preiswerte Energie für Unternehmen und Privathaushalte.
  2. Eine zuverlässige Energieversorgung ohne Rationierungen, Strom-Abschaltungen und Blackout-Gefahr.
  3. Keine erdrosselnde CO2-Bepreisung und unrealistische Verknappung von CO2-Zertifikaten.
  4. Schluss mit einer immer restriktiveren Bürokratie.
  5. Schluss mit existenz-bedrohenden Umwelt-Vorschriften und Verboten.

Auch der Präsident des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI), Siegfried Russwurm, rief die deutsche Politik unlängst dazu auf, die Rahmenbedingungen zu verbessern. Dafür müsse die Ampel-Koalition schleunigst vom Krisen- in den Gestaltungsmodus wechseln. „2023 muss zum Jahr der Entscheidung werden – für die Zukunft des Industrielands, Exportlands, Innovationslands Deutschland“, verlangte Russwurm. Im Fokus stehe dabei eine ganzheitliche Energiepolitik.

Länger arbeiten und das Energieproblem lösen

In der Steuerpolitik forderte der BDI, die Steuerlast der Unternehmen auf ein international durchschnittliches Niveau von maximal 25 Prozent zu senken. Der BDI wirbt auch für eine Reform der Planungs- und Genehmigungsverfahren. Überbordende Komplexität führe zunehmend zu Dysfunktionalität von Staat und Behörden. Gerade jetzt in der Krise müsse die öffentliche Hand alle relevanten Genehmigungen beschleunigen und ab sofort viel schneller entscheiden und umsetzen.

Eine aktuelle Unternehmerumfrage des Bundesverbandes Der Mittelstand (BVMW) aus Dezember unter 1.400 Unternehmern unterstreicht, wo der Mittelstand akuten Handlungsbedarf der Bundesregierung sieht: in der Energiepolitik und bei der Lösung des Fachkräfteproblems. So mussten rund 80 Prozent der Unternehmen in den vergangenen zwölf Monaten teilweise drastisch gestiegene Energiekosten verkraften. Mehr als 90 Prozent der Mittelständler haben Schwierigkeiten, offene Positionen im Unternehmen zu besetzen. In diesem Zusammenhang plädieren 62 Prozent für ein flexibles Renteneintrittsalter auch über 67 Jahre hinaus. Eine erleichterte Anerkennung ausländischer Abschlüsse und Qualifikationen im Zuge der Verbesserung des Fachkräfteeinwanderungsgesetzes fordern gut 64 Prozent.

„Ein weiter so, darf und kann es in der Wirtschaftspolitik jetzt nicht mehr geben“, so der BVMW-Vorsitzende Markus Jerger. „Die Standortbedingungen verschlechtern sich zusehends weiter. Und die weltweite Konkurrenz nutzt die wirtschaftliche Schwäche Deutschlands gnadenlos aus. Mit deutlichen Konsequenzen: Konzerne verlagern Investitionen ins Ausland, dem an den Standort Deutschland gebundenen Mittelstand droht ein langsames Sterben“, warnt Jerger.

„Ganz Deutschland auf LNG-Terminal-Zulassungstempo hochfahren“

Dieselbe Ansicht vertritt Albrecht von der Hagen, Hauptgeschäftsführer des Verbands Die Familienunternehmer: „Die Unternehmen in Deutschland büßen durch hohe Energiepreise, zu hohe Steuern und Abgaben und zunehmend weniger Fachkräfte Tag für Tag an internationaler Wettbewerbsfähigkeit ein. Viele Firmen investieren lieber im Ausland als weiterhin in Deutschland, wo überbordende Bürokratie nicht nur Planungs-und Genehmigungsfahren, sondern eine Vielzahl von Verwaltungsakten auf Schneckentempo bremst.“

Von der Hagen fordert von der Politik umgehend an den richtigen Stellschrauben drehen: „Wir brauchen eine Politik, die die Investitionsbereitschaft der Wirtschaft geradezu beflügelt: Steuern runter, Bürokratielast runter, den Turbo für Genehmigungsverfahren mit vollem Einsatz zünden, statt willige Investoren auszubremsen und andere damit abzuschrecken. Ganz Deutschland muss jetzt auf LNG-Terminal-Zulassungstempo hochgefahren werden. Das gilt ganz besonders auch für die Anwerbung und Ausbildung von Fachkräften. Denn sonst nützen die neuesten Industrieanlagen wenig, wenn kaum noch gute Mitarbeiter zu bekommen sind, um sie zu bedienen. Kurzum: Die Unternehmen brauchen schleunigst eine gute Angebotspolitik.“

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