Deutschland verspielt seine Gründerkraft

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Immer weniger wagen den Schritt in die Selbstständigkeit. Besonders in innovativen Branchen bricht die Zahl der Neugründungen ein – mit Folgen für Wettbewerbsfähigkeit und Wohlstand.

Gründungen gelten seit jeher als Gradmesser für die Dynamik einer Volkswirtschaft. In Deutschland zeigen die Zahlen jedoch schon seit Jahren nach unten. Allein im vergangenen Jahr wurden nach Berechnungen von Creditreform und dem Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) nur noch rund 161.000 neue Firmen gegründet – so wenige wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Anfang der 2000er waren es noch mehr als 200.000. Besonders alarmierend ist der Rückgang in den forschungsintensiven Industrien.

Ebenfalls heikel: Während in den USA oder in China die Start-up-Kultur boomt und Milliarden an Risikokapital fließen, tritt Deutschland auf der Stelle – und das ausgerechnet in einer Phase, in der die Zukunft des Standorts unklarer denn je erscheint.

Diese Trends geben Anlass zur Sorge:

1. Schrumpfende industrielle Basis Im verarbeitenden Gewerbe entstanden 2024 nur noch knapp 5.000 neue Unternehmen – fast 40 Prozent weniger als 2016. Besonders stark betroffen sind die Bereiche Maschinenbau, Chemie und Elektrotechnik. Diese Branchen sind Rückgrat der Exportwirtschaft und Quelle vieler Marktneuheiten. Weniger Gründungen bedeuten deshalb nicht nur weniger Jobs, sondern vor allem weniger Innovationskraft. „Die Industrie und ihr Innovationspotential sind die großen Verlierer des Reformstaus in Deutschland“, warnt Patrik-Ludwig Hantzsch, Leiter der Creditreform Wirtschaftsforschung. Internationale Wettbewerber – allen voran China – nutzen diese Lücke.

2. Baugewerbe unter Druck Auch im Bau sinkt die Zahl der Neugründungen. 2024 waren es nur noch 14.700 – ein Minus von 12,7 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Seit 2019 fehlen mehr als 5.000 Gründungen. Hohe Bau- und Energiekosten, steigende Zinsen und Unsicherheit im Immobilienmarkt bremsen die Branche. Der langjährige Jobmotor verliert an Schwung – mit Folgen für Beschäftigung und regionale Wirtschaftskreisläufe.

3. Verschiebung hin zu Dienstleistungen Dagegen legen Dienstleistungen in Deutschland zu. 2024 entstanden rund 32.000 neue Dienstleister (+5,2 %) und fast 16.000 Gastronomiebetriebe (+4,4 %). Doch auch in technologieorientierten Feldern zeigt die Kurve nach unten: Software-Start-ups verzeichnen seit Beginn der Rezession einen Rückgang von rund 20 Prozent. Das Bild ist gespalten – Wachstum im Konsum, Schwäche bei Innovation.

 

Warum so wenig gegründet wird

Die Studie identifiziert drei Hauptbremsen: zu viel Bürokratie, zu wenig Kapital und zu wenige Fachkräfte^:

  • Bürokratie: Gründungsverfahren sind kompliziert, digitale Abläufe selten.
  • Finanzierung: Venture Capital fließt nur zögerlich, gerade bei risikoreichen Technologieprojekten.
  • Fachkräfte: Innovative Modelle brauchen Talente – die aber rar sind.

Hinzu kommen politische und wirtschaftliche Unsicherheiten. Weltpolitische Konflikte und die schwache Konjunktur schrecken potenzielle Gründer ab. Strukturelle Probleme wie die schleppende Digitalisierung und eine veraltete Infrastruktur verstärken den Effekt.

Starke regionale Unterschiede

Doch nicht nur innerhalb der Wirtschaftssektoren zeigen sich Unterschiede, sondern auch regional. So liegt die Gründungsintensität in München bei 71 Gründungen pro 10.000 Erwerbsfähige – das ist der Spitzenwert in Deutschland. Dahinter folgen Leverkusen (62) und Düsseldorf (59). Am Ende der Tabelle stehen ostdeutsche Regionen wie Thüringen, Sachsen-Anhalt und Sachsen. In Kreisen wie Sömmerda oder dem Kyffhäuserkreis gibt es zum Teil nur zwölf bis 15 Gründungen pro 10.000 Erwerbsfähige.

Ein Neustart ist dringend nötig

Doch wie kann Deutschland den Trend umkehren? „Breite Förderung nach dem Gießkannenprinzip ist wenig zielführend“, sagt Hantzsch. „Sinnvoller sind steuerliche Anreize für Investitionen in Forschung und Entwicklung sowie die Konzentration auf Gründungen mit echtem Innovations- und Wachstumspotenzial.“ Deutschland habe kein Ideenproblem, sondern ein Mindset-Problem. Scheitern gilt hierzulande noch zu oft als Makel. Ohne mehr Mut zum Risiko, ohne Akzeptanz von Fehlern bleibt der viel beschworene Gründergeist ein Lippenbekenntnis.

Die Zukunft des Standorts hängt dabei nicht allein von Konzernen ab, sondern auch von denen, die Neues wagen. Ohne mehr – und vor allem qualitativ bessere – Gründungen verliert Deutschland den Anschluss. Politik und Gesellschaft müssen das Thema endlich als zentrale Standortfrage begreifen.

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