Die Marktwirtschaft ist in Gefahr
Die Marktwirtschaft steht weltweit durch Staatseingriffe unter Druck – der Ökonom Stefan Kooths erklärt in seinem neuen Buch „Marktwirtschaft – Wohlstand, Wachstum, Wettbewerb“ ihre Vorzüge.
Von Dr. Dr. Rainer Zitelmann
Weltweit hat die Marktwirtschaft heute keinen guten Ruf. Dies war auch das Ergebnis einer weltweiten Umfrage: Nur in sieben von 34 Ländern dominieren in der Bevölkerung pro-marktwirtschaftliche Einstellungen.
Professor Stefan Kooths, Forschungsdirektor am Institut für Weltwirtschaft in Kiel, hat jetzt eine umfassende und beeindruckende Verteidigung vorgelegt: „Marktwirtschaft – Wohlstand, Wachstum, Wettbewerb“ (Verlag w. Kohlhammer, 546 Seiten).
„Es vergeht kaum ein Tag ohne Vorschläge“, so Kooths, „die der marktwirtschaftlichen Ordnung zuwiderlaufen. Man spielt fortlaufend gegen die Marktkräfte, statt mit ihnen, erntet Misserfolge und folgert daraus nur, den Interventionsgrad weiter zu erhöhen. Nicht selten werden dabei, etwa in Form von Mindest- oder Höchstpreisen, Vorgaben gemacht, die die Marktmechanismen blockieren, wodurch das System dysfunktional wird.“ (S. 17) Meist werde dann die Unzufriedenheit über die herrschenden Zustände und Probleme, die erst durch diese Interventionen hervorgerufen wurden, der Marktwirtschaft selbst angelastet.
Die Interventionsspirale: Beispiel Mietpreisbremse
In Anlehnung an den Ökonomen Ludwig von Mises spricht Kooths von einer „Interventionsspirale“, für die es zahlreiche Beispiele gibt, so etwa in der Wohnungspolitik. Auf Wohnungsknappheit reagiert der Staat mit Instrumenten wie der Mietpreisbremse, die zu einer Reduktion des Angebotes und damit zu weiteren Mieterhöhungen führe, was wiederum mit einer Verschärfung der Mietpreisbremse beantwortet werde. „Am Ende werden durch eine Mietpreisbremse nur diejenigen begünstigt, die das Glück hatten, eine künstlich verbilligte Wohnung zu ergattern, was meist auf die Bestandsmieter zutrifft. Selbst diese profitieren nur solange, bis die Wohnungen sanierungsbedürftig werden. Das Nachsehen haben die Bauwirtschaft und alle übrigen Akteure, die den Bestand knappheitsgerecht bewirtschaften wollen. Mangels Anreizen für den Neubau wird im Ergebnis nur weiter der Mangel verwaltet.“ (S.424).
Und – so wie dies auch in allen sozialistischen Planwirtschaften war – setzt sich der Markt letztlich außerhalb des Gesetzes durch. „Wird aber marktwirtschaftliche Koordination staatlicherseits verboten, so drängen die Marktkräfte die Akteure in die Schattenwirtschaft. Damit nagt der Interventionismus auch an den ethischen Grundlagen der Marktwirtschaft. Wenn man kriminell werden muss, um in einem Markt für legale Leistungen den gegenseitigen Tauschvorteil wahrzunehmen, dann unterhöhlt eine solche Drangsalierung die Akzeptanz der Rechtsordnung insgesamt.“ (S. S. 424)

Am Schluss werden die durch Überregulierung und Interventionsspirale erzeugten Probleme dem bösen Kapitalismus angelastet. So wie der Ökonom Friedrichs August von Hayek „die Sozialisten in allen Parteien“ kritisierte, so betont auch Kooths: „Dabei finden sich nicht zufällig Sozialingenieure und Kapitalismusgegner mit Neoprotektionisten wie Donald Trump im selben Lager wieder. Was sie verbindet, ist ihr Unverständnis für die Funktionsbedingungen offener Gesellschaften.“ (S. 452)
Kritik am Protektionismus von Trump & Co
Es fänden sich in der Geschichte keine Beispiele, wo sich der Wohlstand eines Landes durch den Protektionismus, wie er etwa von Donald Trump betrieben werde, erhöht habe – aber viele, wo der Wohlstand dadurch gemindert oder ruiniert wurde. Das gelte nicht zuletzt für die Konsummöglichkeiten der unteren Einkommensschichten, die als Konsumenten sogar überproportional vom freien Außenhandel profitierten, weil sie einen besonders hohen Anteil ihres Haushaltsbudgets für international handelbare Güter ausgeben. „Protektionismus wirkt daher wie eine regressive Einkommensteuer.“ (S. 400) So wäre ein Smartphone „made in Germany“ (oder made in USA, so möchte ich hinzufügen) wohl immer noch ein Luxusprodukt.
Dies ist nur eines von vielen Beispielen dafür, dass staatliche Interventionen oft genau zum Gegenteil dessen führen, was sie beabsichtigen. Im Ergebnis profitieren vom Freihandel alle Beteiligten, weil lukrative Tauschmöglichkeiten durch internationalen Handel und Kapitalverkehr wie eine produktivitätssteigernde Erfindung wirken (S. 401).
Die USA, so Kooths, wären das erste Land, das durch Abschottung reicher wird. Die sogenannten Strafzölle schadeten nicht nur ausländischen Produzenten, sondern schwächten auch die US-Wirtschaft insgesamt. „Im Ergebnis werden knappe Ressourcen von anderen Wirtschaftszweigen abgezogen, um wieder mehr Stahl, Aluminium oder Waschmaschinen in den USA zu produzieren (statt Software pder Biotechnologie).“ (S. 409). Das bediene ausschließlich Partikularinteressen auf Kosten des US-amerikanischen Gemeinwohls.
Gleiches gelte für die Gegenmaßnahmen der EU. Auch die Vergeltungsstrategie führe zu Verlusten in den eigenen Reihen und fuße letztlich auf dem Irrglauben, dass freier Marktzugang für Wettbewerber aus aller Welt in erster Linie ein Zugeständnis an das Ausland sei, das man nur auf Gegenseitigkeit gewährte. „Tatsächlich liegen offene Märkte im wohlverstandenen Eigeninteresse, weil man so auswärtige Tauschpartner findet, die einem hohe Opportunitätskosten vom Hals halten und so die eigene Wirtschaft produktiver machen.“ (S.409).
Der Irrweg der „Industriepolitik“
Scharf kritisiert Kooths auch die sogenannte Industriepolitik, etwa zum Schutz Europas vor der technologischen Bedrohung durch US-amerikanische Digitalkonzerne. Sie basiere auf dem Irrglauben, dass Politiker und Beamte klüger seien als der Markt, d.h. als Millionen von Unternehmern und Konsumenten. „Dass ausgerechnet im Bereich der Innovation – dem Markenzeichen offener, marktwirtschaftlicher Wettbewerbssysteme – der Einfallsreichtum unternehmerischer Akteure hinter der Leistungsfähigkeit einer staatlichen Interventionsagentur zurückfallen soll, ist nicht sehr plausibel und widerspricht allen Erfahrungen. Zum ersten Mal in der Geschichte wäre überlegenes Wissen über den Wert von Technologien in einer zentralen Behöre gebündelt…“ (S. 406)
Ich möchte ergänzen: Zuletzt hat ja der ehemalige Wirtschaftsminister Robert Habeck, ein glühender Anhänger der Ökonomin Mariana Mazzucato, wieder praktisch belegt, dass außer der Verwendung von Hunderten Millionen Steuergeldern nicht viel von einer solchen Politik bleibt. Ein Beispiel für die Überlegenheit privaten Unternehmertums ist dagegen die Weltraumindustrie, wo die sogenannten Startkosten (also die Kosten um ein Kilogramm in den Weltraum zu bringen) über vier Jahrzehnte stagnierten, während Elon Musks Unternehmen SpaceX sie durch technische Innovationen und seine wieder verwendbaren Raketen um etwa 95 Prozent im Vergleich zu dem staatlich entwickelten Space Shuttle reduzieren konnte.
Kooths betont oft, dass sich die Vertreter des Interventionismus und der „Industriepolitik“ auf das Beispiel China bezögen, das angeblich die wunderbare Kraft staatlicher Lenkung belege (S.14). Dies beruht jedoch auf einer Fehldeutung des chinesischen Aufstiegs.
Der Ökonom Weiying Zhang von der Peking Universität, der sicherlich der klügste Analytiker der chinesischen Wirtschaft ist, wendet sich gegen die Vorstellung, dass Chinas außergewöhnlicher Erfolg ein Ergebnis der großen Rolle des Staates sei. Zhang widerspricht: „Die Verfechter der Theorie des ‚China model’ liegen falsch, denn sie verwechseln ‘trotz’ mit ‘wegen’. China ist nicht wegen, sondern trotz der unbegrenzten Staatsmacht und des großen ineffizienten staatlichen Sektors schnell gewachsen“. Tatsächlich seien Marktwirtschaft und Privatisierung die treibenden Kräfte für Chinas enormes Wirtschaftswachstum.
Die unterschätzte Bedeutung des Unternehmers
In der herrschenden Volkswirtschaftslehre, so Kooths, werde die Rolle des Unternehmers unterschätzt und falsch verstanden – diese Diagnose teilt er übrigens unter anderem mit dem erwähnten Ökonom Weiying Zhang. Im ökonomischen Sinne besteht das Kennzeichen von Unternehmern nicht in der bloßen Betriebsführung (das leisteten Angestellte auch), sondern in einem besonderen, Gespür für Gewinnchancen, indem sie Marktlücken wittern, bevor alle übrigen es tun. Im Mittelpunkt der Marktwirtschaft steht der Unternehmer, der sich – wie Kooths schreibt – deutlich von dem homo oeconomicus, dem Helden der Volkswirtschaftslehre, unterscheidet. „Der Entrepreneur ist kreativ, fehlbar und lernfähig (unter anderem aus eigenen und fremden Fehlern), der homo oeconomicus hingegen fantasielos, fehlerfrei und lernunfähig (weil er schon alles weiß). Der Entrepreneur lebt in einer Welt mit Unsicherheit, während der homo oeconomicus nur mit kalkulierbarem Risiko umgehen muss.“ (S. 138).
Kooths hat ein wichtiges Buch geschrieben, das trotz seines hohen Niveaus auch für Laien verständlich ist – nicht zuletzt deshalb weil, anders als bei vielen seiner Kollegen, mathematische Formeln in dem Werk fehlen. Solange jedoch ein ausgezeichneter Ökonom wie Kooths in den Medien weitaus weniger Beachtung findet als ein Marcel Fratzscher, der mit so ziemlich all seinen Prognosen daneben lag und nur noch durch abwegige Vorschläge wie etwa ein vom Steuerzahler finanziertes „Pflichterbe“ von 30.000 Euro für alle jungen Menschen von sich Reden macht, gibt es wenig Grund für einen Optimismus, was die wirtschaftliche Zukunft Deutschlands betrifft.
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Dr. Dr. Rainer Zitelmann ist Historiker – und war auch als Unternehmer und Investor erfolgreich. Er hat 30 Bücher geschrieben und herausgegeben, die in über 35 Sprachen übersetzt wurden (“Weltreise eines Kapitalisten“, “Warum Entwicklungshilfe nichts bringt und wie Länder Armut wirklich besiegen“, “Die 10 Irrtümer der Antikapitalisten“) und jüngst auch die Master-Class “Finanzielle Freiheit – Schluss mit der Durchschnittsexistenz“ vorgelegt. Sein jüngstes Buch ist der Anti-Woke Roman „2075. Wenn Schönheit zum Verbrechen wird“.





















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