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Die strategischen Herausforderungen deutscher Unternehmen: Drei Eckpunkte
In herausfordernden Zeiten gilt es, den Fokus auf die wichtigen Themen zu legen. Das gilt für Politik wie für Unternehmen. Viel Zeit der Geschäftsleitung und Ressourcen werden noch für Themen verwendet, deren strategische Relevanz zumindest fraglich ist.
Von Professor Dr. Werner Gleißner und Dr. Arnold Weissman
Die für viele Unternehmen, speziell am Standort Deutschland, zunehmend herausfordernden Rahmenbedingungen machen es erforderlich, die Strategie im Hinblick auf Zukunftsfähigkeit systematisch zu beurteilen und dann gegebenenfalls anzupassen. Der im deutschsprachigen Raum anerkannte und unbestrittene Maßstab für die Zukunftsfähigkeit von Familienunternehmen ist der QScore, aus dem wir hier drei zentrale Erkenntnisse vorstellen.
Der QScore fokussiert auf Basis der wichtigsten wissenschaftlich gesicherten Sachverhalte eine fundierte Beurteilung der Zukunftsfähigkeit und eine Priorisierung von Verbesserungspotenzialen (Gleißner/Weissman: Das zukunftsfähige Familienunternehmen, hier kostenlos verfügbar). Die Entwicklung von Handlungsoptionen, die dann risikoadäquat im Hinblick auf ihr Ertrag-Risiko-Profil zu beurteilen sind, ist ein kreativer Prozess, für den es aber durchaus strukturierte Leitlinien gibt (Gleißner, Uncertainty and resilience in strategic management).
„Es ist nicht so, dass eine Verbesserung des ESG-Scores für die meisten Unternehmen entscheidend für den nachhaltigen Erfolg ist“
Viel zu viele Themen erscheinen „wesentlich“
In der Praxis erkennt man heute, dass viel Zeit der Geschäftsleitung und Ressourcen des Unternehmens für Themen verwendet werden, deren strategische Relevanz bei den meisten Unternehmen zumindest fraglich ist. Es ist eben beispielsweise durchaus nicht so, dass eine Verbesserung des ESG-Scores, und der diesen bestimmenden Kriterien, für die meisten Unternehmen entscheidend ist für den nachhaltigen Erfolg (Gleißner/Moecke/Weissman: Umfassendes Nachhaltigkeitsmanagement). Und auch die Umsetzung hier bestehender formaler Anforderungen an die Nachhaltigkeitsberichterstattung, speziell durch CSRD (Corporate Sustainability Reporting Directive), ist aufwändig. Aber oft führt die hier nötige „Wesentlichkeitsanalyse“ zu irreführenden Ergebnissen und viel zu viel Themen erscheinen „wesentlich“.
Selbstverständlich sind die Schwerpunkte der Unternehmensstrategie sehr individuell und eine fundierte Beurteilung setzt eine fundierte Analyse, speziell der Zukunftsfähigkeit, voraus. Aber man kann durchaus für viele Unternehmen von drei besonders relevanten Kerngedanken ausgehen, die meist besondere Relevanz haben – aber bedauerlicherweise durchaus nicht immer im Fokus der Überlegungen zur Weiterentwicklung der Strategie stehen.
1. Robuste Strategie, Resilienz und Fähigkeit im Umgang mit Chancen und Gefahren (Risiken)
Jede unternehmerische Tätigkeit ist mit Chancen und Gefahren (Risiken) verbunden. Es sind genau die Risiken, die meist in Kombination, zu schweren Krisen oder gar Insolvenzen führen. Zukunftsfähigkeit des Unternehmens, also ein nachhaltig gesicherter Erfolg, setzt daher zunächst finanzielle Nachhaltigkeit, eine robuste Strategie mit resilienter Leistungserstellung und adäquate Fähigkeiten im Umgang mit Chancen und Gefahren, also ein gutes Risikomanagement, voraus. Letzteres wird inzwischen von allen Kapitalgesellschaften seit 2021 durch StaRUG gefordert. Die nachhaltige Absicherung des Unternehmenserfolgs erfordert ein „robustes Unternehmen“, das auch in der Lage sein muss,
- neue Risiken systematisch zu identifizieren, sachgerecht zu quantifizieren und zu aggregieren, um auch mögliche bestandsgefährdende Entwicklungen durch Kombinationseffekte der Einzelrisiken zu erkennen, und
- bei allen unternehmerischen Entscheidungen der Geschäftsleitung, die immer unsichere Auswirkungen haben, die mit diesen verbundenen Risiken zu erkennen und sachgerecht zu beurteilen („risikogerechte Bewertung“).
Die Verbesserung der Robustheit des Unternehmens und der Ausbau der (nach empirischen Studien) meist bisher sehr schwach entwickelten Fähigkeiten im Umgang mit Chancen und Gefahren sollte daher ein zentraler Gedanke der Weiterentwicklung der Unternehmensstrategie sein.
2. Klare Differenzierung
Es ist seit langem bekannt und wird durch aktuelle Forschung bestätigt, dass eine klare Differenzierung des Unternehmens von den Wettbewerbern ein besonders wichtiges Merkmal nachhaltig erfolgreicher Strategien darstellt. Eine solche Differenzierung im Hinblick auf für den Kunden tatsächlich wesentlichen Kaufkriterien schafft Wettbewerbsvorteile und damit Preissetzungsmacht. Die Ansatzpunkte für die Differenzierung hängen damit ab von den Kundenwünschen und den eigenen Fähigkeiten z.B. Probleme der Kunden zu lösen.
„Kunden schätzen Nachhaltigkeit, haben aber oft keine Bereitschaft dafür höhere Preise zu bezahlen“
Innovative Produkte und Leistungsangebote und eine starke Marke sind oft Ursachen einer klaren Differenzierung. Anzumerken ist, dass eine solche Differenzierung nur dann sinnvoll ist, wenn tatsächlich (meist) damit eine Preisprämie erreicht wird. Dies ist – außerhalb durchaus manchmal attraktiver Nischen – z.B. oft nicht der Fall, wenn man sich mit den heute in der öffentlichen Diskussion sehr populären „ESG-Themen“ befasst. Die (potenziellen) Kunden schätzen Nachhaltigkeit, was allerdings weit mehr ist als nur ESG, haben aber oft keine Bereitschaft dafür höhere Preise zu bezahlen (und sehen andere Kaufkriterien sogar noch als wichtiger an).
3. Operative Effizienz und Verbesserung der Arbeitseffizienz
Neben Digitalisierung (einschließlich künstlicher Intelligenz) ist vermutlich der demografische Wandel einer der bedeutendsten Megatrends. Vor diesem Hintergrund ist es wichtig, dass ein Unternehmen attraktiv bleibt für kompetente Mitarbeiter. Das gelingt durch ein gutes Gehalt, Handlungsspielräume am Arbeitsplatz, ein gutes Betriebsklima und auch einen ansprechenden Geschäftszweck des Unternehmens (Purpose). Alle diese Faktoren sind wichtig, alleine aber nicht ausreichend, wenn insgesamt das Angebot an Arbeitskräften zurückgeht.
Mehr noch als in der Vergangenheit, die durch steigendes Arbeitskräfteangebot und oft hohe Arbeitslosigkeit geprägt war, spielt deshalb für Unternehmen das – wenig populäre, oft verdrängte – Thema der Verbesserung der Arbeitseffizienz eine zentrale Rolle. Es geht um operative Effizienz und schlicht „Rationalisierung“. Zielsetzung ist es, den Output mit zunehmend geringerem Einsatz an Arbeitskraft zu erreichen (siehe dazu Kennzahlen wie den „spezifischen Deckungsbeitrag“). Gefordert ist hier traditionelles Kosten- und Prozessmanagement, insbesondere aber auch eine systematische Suche nach Möglichkeiten, Arbeitszeit – gegebenenfalls auch Arbeitsstellen – zu reduzieren. Häufig ist dabei ein Abwägen von Effizienz und Resilienz (siehe 1.) erforderlich.
„Auf wichtige Themen, wie Arbeitsproduktivität, zu fokussieren – und nicht primär auf Themen, die gerade in Mode sind“
Neben den oben diskutierten drei Strategien gibt es zwei Faktoren, die als Voraussetzung oder Verstärker ergänzend zu berücksichtigen sind. Auf der einen Seite ist dies die Fokussierung auf grundsätzlich attraktive Märkte (im Sinne von Porter, Wettbewerbsstrategie). Diese Marktattraktivität wird insbesondere bestimmt von (1) Nachfrage-Wachstum und (2) die überhaupt bestehenden Möglichkeiten der Differenzierung, z.B. durch spezifische Produkteigenschaften oder auch die Marke (siehe 2).
In Anbetracht zunehmend knapperer personeller Ressourcen (siehe 3) ist die Attraktivität des Unternehmens für potenzielle Mitarbeiter sehr wichtig. Diese wird bestimmt durch das Gehalt, die persönliche Freiheit & Gestaltungsspielräume und die Unternehmenskultur – und zunehmend auch durch den Geschäftszweck „Purpose“ des Unternehmens, und damit dessen Beitrag für die Gesellschaft.
Fazit
Diese drei hier erläuterten Bausteine einer Strategie sollten bei keiner Diskussion über die Zukunftsstrategie fehlen. Es ist wichtig den strategischen Planungsprozess auf ein solides Informationsfundament, eine fundierte Beurteilung der Zukunftsfähigkeit, aufzubauen und den Prozess der Strategieentwicklung auf wichtige Themen zu fokussieren – und nicht primär Themen zu betrachten, die gerade in Mode sind oder popularitätsfördernd erscheinen.
Mehr von Gleißner / Weissman auf DDW:
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- Orientierung in Zeiten der Unsicherheit: Was gibt uns Sicherheit?
- Prof. Dr. Weissman im „Lexikon des Chefwissens“ finden Sie hier.
Professor Dr. Werner Gleißner ist Vorstand der FutureValue Group AG sowie Professor für Betriebswirtschaftslehre, insb. Risikomanagement, an der TU Dresden sowie Vorstand der EACVA (European Association of Certified Valuators and Analysts) und DGfKM (Deutsche Gesellschaft für Krisenmanagement e.V.). w.gleissner@futurevalue.de
Prof. Dr. Arnold Weissman ist Professor für Unternehmensführung an der OTH Regensburg sowie Gründungsgesellschafter der WeissmanGruppe und Erfolgsstratege für inhaber- und familiengeführte Unternehmen. Weissman@weissman.de
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