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Die verzerrte Wahrnehmung unserer Welt
In diesen Tagen prallen im Wahlkampf sehr unterschiedliche Anschauungen und Erfahrungen aufeinander. Vertreter des Vertrauens in die selbstständigen wirtschaftlichen Dynamiken durch Freiheit und Leistungswillen treffen – gerade in der jüngeren Generation – häufig auf negative Urteile über die Leistungen und Erfolge des letzten Jahrhunderts.
Von Professor Dr. h.c. mult Roland Koch
Eine Analyse der Evangelischen Zeitung aus dem Jahr 2024 zeigt, dass junge Menschen in Deutschland so pessimistisch wie nie zuvor sind. Sorgen um Inflation, teuren Wohnraum und Altersarmut führen zu hoher politischer Unsicherheit und einem deutlichen Rechtsruck. Der Schufa-Jugend-Finanzmonitor 2024 berichtet, dass nur 49 Prozent der Befragten zwischen 16 und 25 Jahren glauben, einen gleichwertigen oder höheren Lebensstandard als ihre Eltern erreichen zu können. Zudem befürchten 44 Prozent, sich zukünftig lebensnotwendige Dinge nicht mehr leisten zu können.
Waren die letzten Jahrzehnte Grund zum Pessimismus?
Das ist keineswegs eine kurzfristige Attitüde. Dahinter steht – gerade auch unter dem Gesichtspunkt der Klimaveränderungen – eine sehr grundlegende Skepsis. Eine „letzte Generation“ blickt mit Angst und Verachtung auf den Kapitalismus. Anhänger moderner Identitätsbewegungen sehen die letzten Jahrhunderte als einzige Zeiten der Unmenschlichkeit. Der Postkolonialismus nimmt für sich in Anspruch, ein selbstgerechtes, hochmütiges westliches Hegemoniestreben freizulegen. In einer solchen Weltsicht gibt es wenig Optimismus, dass Kreativität, Freiheit, privates Eigentum und Wettbewerb die Motoren einer guten Zukunft sein können. Ablehnung der bisherigen Strategien und Durchsetzung einer neuen Weltsicht, notfalls mit autoritären Mitteln, wird hier zu einer Lebenseinstellung. Anhänger marktwirtschaftlichen Denkens, auch in der Form der von Ludwig Erhard geprägten Sozialen Marktwirtschaft finden jedenfalls bei den ideologischen Protagonisten des baldigen Weltuntergangs kein Gehör mehr. Es ist kein freudiges Streben in eine gute Zukunft, sondern bestenfalls das rachsüchtige Management einer bevorstehenden Apokalypse.
Der schwedische Arzt und Medizinprofessor Hans Rosling, Autor des Bestsellers „Factfulness“, stellte in seinen Vorträgen gerne einen überraschenden Vergleich an: Er sagte, dass ein Schimpanse bei einem Multiple-Choice-Test über den Zustand der Welt rein zufällig etwa ein Drittel der Fragen richtig beantworten würde. Doch wenn Rosling dieselben Fragen – etwa zur Kindersterblichkeit, zur Schulbildung von Frauen oder zur wirtschaftlichen Entwicklung – an Menschen stellte – ob Bankvorstände, Nobelpreisträger, Filmemacher oder Journalisten – oft schlechter ab als der Schimpanse. Der Grund: Viele Menschen unterschätzen den tatsächlichen Fortschritt in der Welt.
Die Zeit nach 1948 ist eine weltweite Erfolgsgeschichte
Über die Jahre hat sich die Welt mit Blick auf die Einkommen oder die Gesundheit nur in eine Richtung bewegt. Weltweit sterben immer weniger Kinder. Wir leben immer länger. Selbst in den ärmsten Regionen entwickelt sich eine soziale und wirtschaftliche Mittelschicht. Heute leben von den mehr als acht Milliarden Menschen weniger als eine Milliarde auf unterster Einkommensstufe. Das bedeutet, dass sie nur einen Dollar am Tag haben, barfuß laufen müssen, keine Wasserleitungen haben und die gesundheitliche Versorgung weit weg liegt. Mehr als drei Milliarden Menschen hingegen leben auf der zweiten Stufe. Mehr als zwei Milliarden stehen auf der dritten Einkommensstufe, das sind zwischen 10 und 35 Dollar am Tag. Stufe 4 schließlich entspricht dem in Deutschland bekannten Bild, und das gilt für weitere eineinhalb Milliarden Menschen.
Die Herausforderungen der Zukunft sind lösbar
Ja, das CO₂-Problem ist real. Aber wir hatten auch in Deutschland vor Jahrzehnten kaum noch blauen Himmel über Rhein und Ruhr, verschmutzte Flüsse und Sorgen vor dem Ozonloch. Willy Brandt führte 1969 einen Bundestagswahlkampf mit der Forderung nach „blauem Himmel über der Ruhr“. „Abwasserabgabenvorordnung“, „Technische Anleitung Luft“ und „FCKW-Verbot“ sind Stichworte aus den Jahren im Kampf gegen diese Phänomene. Sie sind Schlüsselworte von Erfolgsgeschichten. Die Luft ist weitgehend frei von industrieller Belastung, in den großen Flüssen kann man wieder schwimmen und das Ozonloch schließt sich.
Wer überzeugt ist, dass vieles falsch gemacht wurde, wird entweder jedes Risiko zu vermeiden oder aber versuchen, nur extrem kontrollierte Schritte, die vielfach überprüft sind, zuzulassen. Die Folge wäre eine dramatische Reduzierung von Kreativität, der Verlust des Reizes unkonventioneller Lösungen und kaum noch eine Chance, mit einer besonders guten Leistung eine besonders hohe materielle Belohnung zu erhalten. Die TAZ-Autorin Ulrike Herrmann schlug in ihrer Version der Apokalypse unter dem Titel „Ende des Kapitalismus“ ernsthaft vor, den Wohlstand auf das Jahr 1978 zurückzuführen und auf diesem Stand einzufrieren – das ist klassisches Nullsummendenken. Dann hätte ja jeder immer noch genug. Es wundert wenig, dass in einer solchen Welt weder Gentechnik noch Künstliche Intelligenz einen Platz haben und die gesammelten Daten der modernen Industriegesellschaft lieber vernichtet als genutzt werden.
Ludwig Erhard, ein Optimist
In seinem Werk „Wohlstand für Alle“ präsentiert uns Ludwig Erhard seine Herangehensweise: „Das Problem ist in kürzester Frist zu einem guten Ende zu führen, wenn wir es nur mit etwas mehr Mut und Zuversicht anpacken wollten. Ich habe in meinem Leben wieder und wieder die Erfahrung gemacht, dass sich die Freiheit und vor allem der Mut zur Freiheit immer gelohnt haben. Alles, was wir unter diesem Aspekt begonnen haben, hat sich hin zum Guten gewandelt – überall dort aber, wo uns der Mut zur Freiheit fehlte, sind die Dinge im Unheil stecken geblieben.“
Soziale Marktwirtschaft: Freiheit, (Technologie-)Offenheit, Leistungsbereitschaft
Demokratische Wahlperioden sind kurz und globale Herausforderungen können in einzelnen Regionen ohnehin nicht befriedigend gelöst werden. Die einzige Chance ist – wie im vergangenen Jahrhundert –, erneut zu versuchen, mit unseren Innovationen die Welt zu prägen. Die unschönen Zeiten des Kolonialismus kommen nicht wieder. Unsere Ideen sind keine Machtansprüche, sondern Angebote. Alle Menschen wollen in Stufe 4, sie wollen leben wie wir. Das geht nur, wenn wir alle sparsamer mit den natürlichen Ressourcen umgehen, moderne Technik die Belastung des Planeten verringert und wir durch Bildung und Kommunikation eine Welt schaffen, die – allen Autokraten zum Trotz – friedlicher werden will.
Im Gegensatz zu den frustrierten Skeptikern sehe ich in den Errungenschaften, vor allem bei uns und insbesondere nach dem Start der Sozialen Marktwirtschaft, eine gute Grundlage für einen optimistischen Zukunftsblick. Deshalb sind Technologie und Technologieoffenheit, Freiheit und weniger staatliche Gängelung, persönlicher Leistungswille und Streben nach Wohlstand für mich keine schlechten Ideen der Vergangenheit. Wir müssen auch nicht umkehren, sondern zügig weitergehen. Wir sollten aus den Erfolgen der letzten 100 Jahren den Optimismus ableiten, dass es unseren Enkeln und Urenkeln in weiteren 1000 Jahren sehr gut gehen wird. Wir müssen ihnen dazu die Chancen eröffnen, anstatt ihnen Hindernisse in den Weg zu stellen, weder mit Schulden auf dem Generationenkonto noch mit apokalyptischen Ängsten im Kopf. Die Soziale Marktwirtschaft ist ein Versprechen für eine auch in Zukunft lebenswerte Welt.
- Ziel 2025: Rückkehr zu den Grundsätzen der Sozialen Marktwirtschaft
- Wachstumswende: Wie es auch diesmal sein muss
- Der Frust der immer noch leistungsorientierten Mehrheit
Professor Dr. h.c. mult. Roland Koch ist seit November 2020 Vorsitzender der Ludwig-Erhard-Stiftung. Koch war bis von 1999 bis 2010 Hessischer Ministerpräsident. Altbundeskanzler Ludwig Erhard gründete 1967 die Ludwig-Erhard-Stiftung und gab ihr die Aufgabe, für freiheitliche Grundsätze in Wirtschaft und Politik einzutreten und die Soziale Marktwirtschaft wachzuhalten und zu stärken. Die Stiftung ist von Parteien und Verbänden unabhängig und als gemeinnützig anerkannt. Sie tritt politischem Opportunismus und Konformismus mit einem klaren Leitbild entgegen: Freiheit und Verantwortung als Fundament einer Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung für den mündigen Bürger. Infos
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