
Die Zeit des Durchatmens ist da
Doch wie geht das? Erfahrungsbericht von einem, der auszog, das Atmen zu lernen.
Von Milosz Matuschek
Im Altertum nannte man es Ataraxia – die Seelenruhe, nach der ein Mensch streben sollte. Ein Zustand jenseits der Geschäftigkeit, das Otium statt des Negotium. In den romanischen Ländern hat sich davon bis heute etwas erhalten: im italienischen Ferragosto, wenn das Land kollektiv in den Stillstand geht, oder in Frankreich, wo das Leben in Paris im August gleich den ganzen Monat lang quasi ausgesetzt wird.
Doch die Welt steht nie still, nicht für Publizisten, die den Puls der Zeit fühlen, und nicht für uns. Ruhe wird gesucht, aber selten gefunden. Heute kleidet man sie gern in den Begriff Achtsamkeit. Doch diese Achtsamkeit bleibt oft Oberfläche. Die Suche nach Ruhe führt dann paradoxerweise in noch mehr Unruhe. Der Schlüssel liegt nicht im Mehr, sondern im Weniger: im Weglassen. Transformation ist kein ständiges Tun, sondern geschieht, wenn die richtigen Dinge zur richtigen Zeit zusammentreffen. Es passiert immer etwas, auch wenn es so aussieht, als passiere nichts. Ruhe, so scheint es, ist die Fähigkeit oder Toleranz, Stille und Leere auszuhalten.
Der Kampf um Aufmerksamkeit
Die wertvollste Ressource unserer Zeit ist Aufmerksamkeit. Sie ist die Ressource, um die sich alles dreht. Wer sie gewinnt, lenkt Energie, erzeugt Schwingung, Bewegung, Leben. Doch überall lauern Ansprüche: Social-Media-Feeds, Push-Nachrichten, News-Ticker. Es ist ein ständiger Kampf, das eigene Bewusstsein nicht in tausend kleine Ströme zersplittern zu lassen.
Die Frage ist einfach und brutal zugleich:
Wie viel Prozent unserer Energie investieren wir in das große Rauschen und wie viel in uns selbst? Als ich mich das einmal ehrlich fragte, kam ich auf bestürzende 99 zu 1. Neunundneunzig Prozent Außen, ein Prozent Innen. Beruflich geprägt wie ein Walfisch, der unablässig Wasser filtert, um an winzige Partikel von Information zu gelangen. Ablenkung ist leicht, Fokus ist schwer. Beobachten ist Gewohnheit, Selbstbeobachtung unser blinder Fleck.
“Wir tragen einen internen Bordcomputer in uns, und der Schlüssel dazu ist der Atem”
Lange Zeit war Meditation für mich deshalb eher so etwas wie eine unerledigte Pflicht: alle reden davon, es sei gut, aber es blieb sporadisch, beiläufig, ohne System. Erst ein Breathwork-Seminar in der Zentralschweiz änderte etwas. Plötzlich verstand ich, was ich vorher nur ahnte. Da gehen im Körper tatsächliche viele Dinge vor sich. Zwei Dinge blieben: Wir tragen einen internen Bordcomputer in uns, und der Schlüssel dazu ist der Atem.
Der Atem erlaubt uns, Informationen aus uns selbst auszulesen. Traumata, Spannungen, verdichtete Emotionen: was im Körper gespeichert ist, wird im bewussten Atmen sichtbar. Doch er eröffnet nicht nur Introspektive, sondern auch Kontrolle. Über Atemtechniken lassen sich Herzratenvariabilität, Sauerstoffgehalt, Hormone, Mitochondrien und Organfunktionen beeinflussen. In Studien wurden teils gewaltige Veränderungen bei Wachstumshormon-
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Milosz Matuschek ist Jurist und Publizist, war langjähriger Kolumnist der NZZ. Er hat mehrere Bücher veröffentlicht (aktuelle Bücher: Generation Chillstand, «Wenn´s keiner sagt sag ich´s»). Er betreibt den reichweitenstarken Blog „Freischwebende Intelligenz“
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