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Die Zukunft, die schon lange da ist
Agile Netzwerke funktionieren erfolgreich, wenn Mitarbeiter sich selbst organisieren können, dürfen und wollen. Dafür ist eine gemeinsame Absicht, ein gemeinsamer Zweck und Sinn erforderlich. Für Selbstorganisation ist diese noch bedeutender als für andere Organisationsformen.
Weniger bekannt ist der Aspekt, dass gerade Selbstorganisation sehr klare Regeln und Rituale benötigt, um wirksam zu sein. Es gibt in einigen Bereichenbereits entsprechende Regelwerke. In Entwicklungsabteilungen hat sich Scrum – eine Methode der agilen Software-Entwicklung – etabliert. Scrum enthält einen Satz an Regeln, Rollen, Verantwortlichkeiten und Ritualen, die diese Methode der Selbstorganisation wirksam macht: product owner, scrum master, backlog grooming, task picking, planning poker, daily stand-ups, retros und andere Elemente müssen gut erlernt und strikt befolgt werden, damit der Erfolg gewährleistet ist.
Wenn wir in agilen Netzwerken zusammenarbeiten
Wenn Selbstorganisation über ein einzelnes Team hinaus funktionieren soll, sind weitergehende Konzepte erforderlich, die bislang kaum erprobt und erforscht sind. Wie kann ein agiles Team mit einem von oben geführten Team zusammenarbeiten? Wie können mehrere selbstorganisierte Teams mit Kunden oder Lieferanten zusammenarbeiten, unabhängig von deren Organisation?
Zahlreiche wissensbasierte Organisationen wie Universitäten, Forschungsabteilungen, Medienunternehmen oder Beratungsfirmen haben interne Kulturen entwickelt, dieSelbstorganisation teamübergreifend ermöglichen. Zum Teil sind diese Kulturen explizit in Betriebsverfassungen niedergeschrieben, teilweise bestehen sie in gelebter Praxis.
Es spielt eine untergeordnete Rolle, wie explizit solche Organisationsformen beschrieben sind. Wichtiger ist, dass sie eindeutig gelebt werden. Eine nicht niedergeschriebene, aber sehr gut etablierte Unternehmenskultur der Selbstorganisation ist weitaus wirksamer als eine gut formulierte theoretische Verfassung, die sich in der täglichen Arbeit nicht niederschlägt. Die gelebte Organisationskultur muss Selbstorganisation ermöglichen und Mitarbeiter befähigen und ermutigen, gestaltend zu wirken.
Bei starkem Wachstum einer selbstorganisierten Einheit greift eine funktionierende
Organisationskultur alleine jedoch zu kurz. Einzelne neue Mitarbeiter erlernen die Kultur während der täglichen Arbeit von der Mehrzahl der darin geübten Kollegen. Kommen jedoch viele neue Mitarbeiter in kurzer Zeit hinzu, kann die gelebte Kultur alleine die erforderlichen Rahmenbedingungen für funktionierende Selbstorganisation nicht mehr gewährleisten. Das Beispiel des Verkehrs veranschaulicht dies: Ein einzelner neuer Verkehrsteilnehmer erkennt unschwer, dass alle Autos rechts fahren, und passt sich an. Kommen gleichzeitig viele neue Verkehrsteilnehmer ohne eindeutige Regelungen zum Verkehrsgeschehen hinzu, ist nicht mehr klar erkennbar, dass alle rechts fahren sollen. Die erfahrenen Verkehrsteilnehmer sind überlastet, den vielen Neuankömmlingen die gelebten Regeln zu vermitteln. Aus diesem Grund wurden die Verkehrsausbildung und der Führerschein eingeführt.
Gut funktionierende agile Netzwerke können schneller auf sich verändernde Bedingungen reagieren
Mitarbeiter dürfen und müssen darin Verantwortung für ihren Aufgabenbereich übernehmen. Sie können die richtigen Dinge voranbringen. Sie können schneller entscheiden – und entscheiden in der Abstimmung mit ihren Kollegen meist breiter abgestützt als ein einzelner Chef. In der Regel sind Mitarbeiter in gut funktionierenden agilen Netzwerken hoch motiviert durch die gemeinsame Leistung, die Autonomie ihrer Arbeit und durch den Sinn ihrer Aufgaben, den sie viel klarer sehen.
Häufig klingt für Außenstehende ein agiles Netzwerk wie eine Wohlfühlveranstaltung, in der ein gutes Arbeitsklima wichtiger ist als gute Leistung. Es ist gefährlich, eine agile Arbeitsumgebung auf Heimarbeit und flexible Arbeitszeiten zu reduzieren und als Bespaßungsveranstaltung für die junge Generation von Mitarbeitern misszuverstehen. In gut funktionierenden agilen Netzwerken ist das Gegenteil der Fall. Die Leistungen der einzelnen und des Teams sind unglaublich transparent und werden regelmäßig in der Gruppe überprüft und eingefordert. Man kann sich mit schlechter Leistung viel weniger verstecken. Im Scrum berichten alle Mitglieder in einer täglichen Kurz-Stehung (daily stand-up) darüber, was sie gestern erreicht haben und was sie sich für heute vorgenommen haben. Wenn die Gruppe gegen Ende eines Monats das gegebene Leistungsversprechen nicht einhalten kann, weil ein Einzelner schlecht leistet, dann müssen andere Mitglieder einspringen. Das machen sie nicht mehrere Male für dieselbe Person, ohne konkrete Veränderungen im Leistungsverhalten einzufordern.
In Zukunft werden digitale Plattformen außerhalb von Unternehmen die Selbstorganisation maßgeblich unterstützen
Mitarbeiter wählen frei, in welchen Projekten bei welchen Unternehmen sie arbeiten wollen – abhängig von der Bewertung der Unternehmen und der teilnehmenden Mitarbeiter. Unternehmen werden die Mitarbeiter auswählen, die gute Bewertungen für die anstehende Aufgabe haben – und auf deren gute Erfüllung vertrauen müssen. Auch die Abwicklung von Arbeitsverträgen wird durch Plattformen maßgeblich vereinfacht werden. Abrechnung, Sozialversicherung und sogar Beratung bezüglich der persönlichen Entwicklung werden von diesen Plattformen übernommen werden. Aufgrund großer Datenmengen analysieren diese Plattformen, welche Kompetenzen in Zukunft gefragt sind – und schlagen diese den Mitarbeitern vor.
Diese Art der Arbeitsorganisation liegt nicht jedem und ist auch nicht für jeden notwendig. Es ist jedoch spannend, dass es erste Forschungsergebnisse gibt, die nahelegen, dass Menschen in gewissen Situationen Maschinen für die Zuteilung von Arbeit menschlichen Vorgesetzten vorziehen. So weit möchten wir in unseren Überlegungen (noch)nicht gehen. Dennoch sind wir der Überzeugung, dass technologische Fortschritte dazu führen werden, dass sich mehr Menschen gut und gerne mit Hilfe von Technologie selbst organisieren als wir dies heute vermuten.
Die vier Elemente einer erfolgreichen Selbstorganisation
Unbemerkt hat in vielen Unternehmen Selbstorganisation schon lange Einzug gehalten. Nicht selten nutzen Vorgesetzte oder ganze Abteilungen den Schatten einer gesteuerten Organisation, um Selbstorganisation zu leben. Entwicklungsabteilungen, die Scrum einführen, obwohl es nicht in den Unternehmensprozessen verankert ist, sind ein solches Beispiel. Dezentrale Ländereinheiten, die sich von der Konzernzentrale abkapseln und deren Verhalten geduldet wird, solange sie erfolgreich sind, sind ein anderes Beispiel.
Ebenso ermöglichen Vorgesetzte, die ihren Mitarbeitern viel Freiheit bei der Gestaltung ihrer Arbeit einräumen, eine funktionierende Selbstorganisation. Während aus Unternehmensperspektive das Team im Schatten wirkt, ist das Team selbst in sich ein funktionierendes agiles Netzwerk. Im Idealfall gewähren Unternehmen einzelnen Teams diese Freiheit, sich selbst zu organisieren. Dadurch kann das Unternehmen als Ganzes lernen und andere Teams können von den Erfahrungen profitieren. Entscheidend für erfolgreiche Selbstorganisation sind vier Elemente:
- die gemeinsame Absicht, der gemeinsame Zweck und Sinn, mit deren Hilfe Selbstorganisation eine gemeinsame Richtung erhält,
- die Qualität der Regeln und der Rituale (nicht nur de jure, sondern de facto),
- die Bereitschaft und Geübtheit von Mitarbeitern und Führungskräften, in dieser Organisationsform zu arbeiten sowie
- die Qualität der Infrastruktur im Sinne von passenden Führungsinstrumenten, Methoden und Technologien.
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