Die Zusammenarbeit regeln – im Sinne des Wachstums

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Der Weg zu profitablem Wachstum führt über die wirksame Zusammenarbeit im Unternehmen. Wann und wie sollten dafür notwendige Regeln etabliert werden und in welchen Fällen hemmt eine Überregulierung Wachstum?

Von Professor Dr. Guido Quelle

Jedes Unternehmen und jede Wachstumsinitiative vertragen ein gewisses Chaos, schließlich macht es weder Sinn, alles zu regeln, schon gar nicht die Ausnahme. Gleichwohl sind Regeln der Zusammenarbeit nicht nur hilfreich, sondern zwingend notwendig, will man auf der Reise zum profitablen Wachstum nicht unnötig Energie verschwenden. Nachfolgend werden Hinweise dazu gegeben, was zu beachten ist, um die Zusammenarbeit im Unternehmen wirksam zur Wachstumsförderung zu regeln und sich nicht mit Regeln unnötig selbst im Wege zu stehen. Vier Dimensionen sollen betrachtet werden:

1. Leitplanken, Regeln, Empfehlungen: Wesentliche Unterschiede
2. Alles regeln wollen: Ein fataler Fehl-anspruch
3. Das Qualitätsmanagementsystem: Wachstumsplattform oder Wachstumsbremse?
4. Drei Bereiche, für die es sich in jedem Fall lohnt, Regeln der Zusammenarbeit aufzustellen

1. Leitplanken, Regeln, Empfehlungen: Wesentliche Unterschiede

Unserer Beobachtung zufolge wird in Unternehmen nicht zu weniges, sondern zu vieles geregelt. Mehr noch: Es wird keine Unterscheidung zwischen Regeln gemacht und neue Regeln werden nicht durchgehend kommuniziert. Es kommt vor, dass Mitarbeiter glaubhaft versichern, sie hätten von der einen oder anderen Regel nichts gewusst. Nun schützt Unwissenheit auch im Unternehmen selten vor Strafe oder Sanktion. Gleichwohl ist es bemerkenswert, wenn sich ein solches Unwissen der Mitarbeiter musterhaft darstellt. In unseren Beratungsprojekten arbeiten wir mit einer signifikanten Unterscheidung, für die wir uns das Bild des Straßenverkehrs geborgt haben: Wir unterscheiden in Unternehmen Leitplanken, Regeln und Empfehlungen voneinander, um zu verdeutlichen, dass das gesamte Regelwerk der Zusammenarbeit innerhalb von Unternehmen strukturiert sein muss.

Leitplanken: Bei Leitplanken handelt es sich um eindeutige «Muss»-Ansprüche des Unternehmens. Dinge, die als Leitplanken festgelegt werden, müssen eingehalten werden. Dies ist mit dem Straßenverkehr vergleichbar: Leitplanken weisen den Weg, man kann sich innerhalb der Leitplanken gemäß verabredeter Regeln frei bewegen und Leitplanken weisen auch Ausfahrten. Touchiert man eine Leitplanke, verursacht dies einen kapitalen Schaden. Im Gegenzug dazu gibt es auch nur wenige Leitplanken, die gut sichtbar sind und nicht einen ganzen Strauß. Für ein Unternehmen bedeutet der Begriff der Leitplanke, dass es keine Auslegungsmöglichkeiten gibt. Eine Leitplanke in einem Unternehmen kann zum Beispiel – neben Offensichtlichkeiten, wie Es darf nichts entwendet werden, etc. – sein, dass man Kunden, Kollegen und Vorgesetzten stets die Wahrheit sagt. Das muss nicht zwingend bedeuten, dass man stets alles sagt, aber es bedeutet, dass das, was gesagt wird, wahr sein muss. In meinem Unternehmen ist dies beispielsweise eine Leitplanke und es ist vor vielen Jahren bereits vorgekommen, dass ein Mitarbeiter, der nachweislich in einem schweren Fall die Unwahrheit gesagt hat, von seinen Verpflichtungen entbunden wurde und das Unternehmen verlassen musste. Auf der anderen Seite besteht in besagtem Unternehmen auch nicht die Gefahr, dass derjenige, der eine unangenehme Wahrheit ausspricht, sanktioniert wird. Im Gegenteil: Eine hohe Fehlerkultur ist die Folge, weil niemand Angst vor Strafe zu haben braucht, wenn er einen Fehler begeht oder aufdeckt und dies benennt. Dies ist im Sinne des Schaffens profitablen Wachstums eine besondere Lernquelle. Unabhängig davon, welche Leitplanken ein Unternehmen definiert: Ein Verstoß muss eine ernste Konsequenz zur Folge haben, sonst handelt es sich um Selbstbetrug und die Leitplanke muss eine hohe Bedeutung für das Unternehmen haben.

Regeln: Regeln hingegen sind «Soll»-Vorgaben. Sie sollen eingehalten werden, der Verstoß hat eine – idealerweise zuvor bekannte – Konsequenz und sie sind der Kern der Zusammenarbeitskultur. Wie im Straßenverkehr die Verkehrsregeln das Miteinander erst sinnvoll ermöglichen – insbesondere bei hohem Verkehrsaufkommen, sind die Unternehmensregeln genau diesem Zweck gewidmet: Das Miteinander zu ermöglichen. Im Straßenverkehr sind dies Regeln zur Höchstgeschwindigkeit in geschlossenen Ortschaften oder auf Autobahnen, Parkge- und -verbote oder auch Regeln zum Überholen, ggf. auch noch einmal differenziert nach unterschiedlichen Fahrzeugarten. Im Unternehmen können dies Regeln zur Arbeitszeit, Vereinbarungen zu Antwortzeiten auf Anrufe oder Anfragen, Unterschriftsregeln oder Ähnliches sein. Wird gegen eine Regel verstoßen, droht eine Sanktion, die aber nicht sofort den Ausschluss des Verursachers bedeuten muss, sondern – im Unternehmenskontext – in einer Er- oder Abmahnung, einer disziplinarischen Maßnahme, einer Nachschulung oder sonst einer angemessenen Konsequenz bestehen kann.

Als der ich das Konzept der Leitplanken, Regeln und Empfehlungen eines Tages in einem Klientenprojekt erläuterte, fasste sich der Geschäftsführer des Klientenunternehmens an den Kopf und sagte nach einer langen Gedankenpause: Ich erkenne jetzt etwas, was wir hier falsch machen, sehr deutlich: Wir unterscheiden nicht zwischen Leitplanken und Regeln. Bei uns sind alles Leitplanken und wir geben unseren Mitarbeitern nicht wenige Leitplanken, rechts und links, vor, sondern auch vorne, hinten, oben und unten. So etwas nennt man Käfig. Die Unterscheidung zwischen Leitplanken und Regeln ist eminent wichtig im Zuge einer wachstumsorientierten Unternehmensführung und einer ebenso auf Wachstum ausgelegten Zusammenarbeit. Insbesondere bei Regeln ist es erforderlich, dass deren Einhaltung mindestens sporadisch, stellenweise auch dauerhaft, überwacht wird. Wie man im Straßenverkehr nie sicher sein kann, ob eine kurze Überschreitung der erlaubten Höchstgeschwindigkeit zum Beispiel nicht doch durch Laser oder Radar überwacht wird, was vielen Fahrern dazu verhilft, im Limit zu bleiben, darf es auch im Unternehmen keinen Zweifel daran geben, dass die Einhaltung der Regeln überwacht wird.

Der Umkehrschluss ist zulässig: Jede  Regel, die nicht mindestens sporadisch überwacht wird, kann getrost aus dem Kompendium gestrichen werden, denn sie ist dann wirkungslos.

Empfehlungen: Dritter Bestandteil im Bunde sind die Empfehlungen. Auch hier sei der Ausflug in die Straßenverkehrsregelungen erlaubt, denn Empfehlungen sind eine «Kann»-Kategorie. Es macht keinen Unterschied im Hinblick auf Sanktionen, ob man sich an Empfehlungen hält oder nicht. In der Regel ist man gut beraten, sich an die Empfehlungen zu halten, aber man muss es nicht und es wird auch nicht zwingend erwartet. «Grüne Welle bei 50 km/h» zum Beispiel ist eine solche Empfehlung. Im Unternehmen sind dies die Dinge, die neue Mitarbeiter sehr zeitnah von den Kollegen und Vorgesetzten erläutert bekommen, um ihre Arbeit besser und die Zusammenarbeit leichter zu machen. Empfehlungen sind im Unternehmen selten dokumentiert (im Übrigen interessanterweise ähnlich selten wie Leitplanken), Regeln hingegen sollten insbesondere in größeren Unternehmen dokumentiert sein. Dazu später noch ausführlicher.

2. Alles regeln wollen: Ein fataler Fehlanspruch

Auch wenn das Konzept der Leitplanken, Regeln und Empfehlungen zwischen der Unternehmensführung und den Mitarbeitern wirksam vereinbart wurde, muss doch eindringlich davor gewarnt werden, alles regeln zu wollen. Mag diese Forderung – nicht alles regeln zu wollen – auch manchem Leser auf der Hand liegen, ist doch eine zunehmende Regelungsfreudigkeit in manchen Unternehmen festzustellen, häufig geprägt durch einen überspannten Kontrollwahn. Wir haben in unseren Projekten zur Schaffung profitablen Wachstums immer wieder festgestellt, dass in vielen Fällen nicht mehr Regeln den Erfolg brachten, sondern weniger Regeln. Abgesehen davon, dass es gute erste Schritte sind, diejenigen Regeln, deren Einhaltung nicht kontrolliert wird, zu streichen, diejenigen Regeln, die nicht mehr aktuell sind, ebenfalls zu streichen, diejenigen Regeln, die keinen Wertbeitrag zur Unternehmensentwicklung leisten, wiederum zu streichen und sicherzustellen, dass die verbliebenen Regeln kommuniziert werden und nicht auf der Annahme beruhen, dass sie schon allen betreffenden Mitarbeitern und Bereichen bekannt sind, ist es hilfreich, zu schauen, wo mehr Leine gelassen werden, wo mehr Freiraum zugelassen werden kann. Mitarbeiter wollen grundsätzlich etwas gestalten, also kann es eine gute Praxis sein, den Freiraum innerhalb der Leitplanken nur durch wenige, wirklich wichtige Regeln zu ordnen, um die Kreativität der Einzelnen zu nutzen. Bei Schnee wird eine andere Geschwindigkeit als bei trockener Fahrbahn erforderlich, in einer Unternehmenskrise sind andere Maßnahmen als in einer Wachstumsphase vonnöten. Es gilt, das Urteilsvermögen der Mitarbeiter zu stärken, was wiederum nur im Gespräch und im täglichen Miteinander möglich ist.

Demgegenüber stehen starre Compliance-Regeln, deren einzige Absicht es ist, keinen Fehler zu machen und den eigenen Verantwortungsbereich strikt abzusichern: Wenn ich mich strikt an diese Regeln halte, kann mich niemand belangen. Mit dieser Haltung kommt ein Unternehmen aber nicht weiter. Es gibt Situationen, in denen bestimmte Regeln durchbrochen werden müssen – dabei sprechen wir bitte stets von ethisch  und moralisch einwandfreien und überdies legalen Abweichungen, um eventuellen Missverständnissen vorzubeugen. Die Urteilsfähigkeit der Mitarbeitenden wird in vielen Unternehmen noch stiefmütterlich unterschätzt.

In einem Gespräch mit Hans Andersson, zum Gesprächszeitpunkt Country Manager von H&M in Südkorea und vertretungsweise Country Manager für Japan, just zum Zeitpunkt des Tsunamis und Reaktorunglücks in Fukushima, fragte ich ihn, wie H&M Japan auf den Tsunami reagiert habe. Hans Andersson gab eine bemerkenswerte Antwort: Einen Tsunami und das Verhalten beim Eintreten eines Tsunamis kann man nicht regeln. Vielmehr hätten die H&M Unternehmenswerte dem Team um Andersson dabei geholfen, das Richtige zu tun, nämlich in erster Linie die Sicherheit der Kunden und Mitarbeiter zu garantieren. So hat H&M seinerzeit sowohl die Läden in Tokyo geschlossen, als auch die Verwaltung nach Osaka verlegt und allen Mitarbeitern angeboten, entweder mit den Familien für einen gewissen Zeitraum dorthin zu ziehen – auf Kosten von H&M – oder in Tokyo zu bleiben. Andere Firmen haben anders reagiert und die Mitarbeiter zur Weiterführung der Arbeit verpflichtet. Ein Unternehmen, das über ein gesundes Wertegerüst verfügt, benötigt stets weniger Regeln, als ein Unternehmen, das zwanghaft den Versuch unternimmt, alles, bis hin zur Ausnahme, zu regeln. Ein fataler Handlungsirrtum.

3. Das Qualitätsmanagementsystem: Wachstumsplattform oder Wachstumsbremse?

Ein geeignetes Instrument, um das Mit-einander zu regeln, ist das Qualitätsmanagementsystem (QMS) eines Unternehmens, gänzlich unabhängig davon, ob es sich um ein nach ISO zertifiziertes oder ein internes QMS handelt. Ein gutes QMS legt den Fokus stets auf die relevanten (und nur diese!) Abläufe, deren Dokumentation einfach, sinnvoll und nachvollziehbar ist und gibt somit auch einen Überblick über die relevanten Schnittstellen. Wenn ein QMS lediglich dem Zweck dient, seinen Kunden vermeintlich vorzugaukeln, dass man standardisiert arbeite und eine Qualitätsnorm einhielte, ist dies nicht nur mit verschwendetem Geld, sondern auch mit verschwendeter Zeit verbunden. Ein gutes QMS ist eine Wachstumsplattform, weil es sich begrenzt, weil es eben genau nicht alles zu regeln versucht. Ein gutes QMS wird dadurch erkannt, dass die Mitarbeiter es kennen, dass aktiv an seiner Weiterentwicklung gearbeitet wird und dass nicht nur stumpf addiert wird. Ein wirklich wachstumsförderndes QMS wird nicht erst dann, wenn wieder einmal ein Audit droht, verändert, es wird nicht hektisch nach Aufzeichnungen gesucht, wenn der Auditor in der Tür steht, sondern es ist ein lebendiges, dem Unternehmen Halt gebendes Instrument, das seinen Zweck erfüllt: Die prozessuale Basis für Wachstum zu sein. Bedauerlicherweise verstehen manche sogenannten Qualitätsmanager dies nicht in der gebotenen Tiefe und Eindringlichkeit. Hier gibt es viel Raum zum Lernen.

4. Drei Bereiche, für die es sich in jedem Fall lohnt, Regeln der Zusammenarbeit aufzustellen

Ob die nachfolgenden drei Bereiche, für die es sich in jedem Fall lohnt, Regeln der Zusammenarbeit aufzustellen, «die» drei Bereiche sind, mag bezweifelt werden. Schließlich muss jede Unternehmensführung selbst entscheiden, wo der Fokus liegt. Es sind auf jeden Fall drei aus der Erfahrung heraus besonders lohnenswerte Bereiche mit großem Wirkhebel im Hinblick auf Wachstum. Der gebotenen Kürze zufolge beschränkt sich die Nennung hier auf drei Aspekte pro Bereich, man möge die Liste geeignet fortführen:

Vertrieb/Verkauf

  • Antwortzeiten auf telefonische, elektronische oder schriftliche Kundenanfragen
  • Zeit zwischen endgültiger inhaltlicher Klärung eines möglichen Auftrages und verbindlicher Angebotsabgabe
  • Art und Weise der Abstimmung zwischen Vertrieb, Produktentwicklung (ggf. Forschung) und Marketing über potenzielle Wachstumsfelder

Unternehmensführung

  • Art und Weise der Initiierung und Fortschreibung des Strategieprozesses
  • Art und Weise der Kommunikation unternehmensrelevanter Themen in die Organisation
  • Regelung der Zusammenarbeit innerhalb der Unternehmensführung (Geschäftsverteilungsplan, Geschäftsordnung, etc.)

Tägliche Zusammenarbeit

  • Meeting- und Diskussionsregeln
  • Verbindlichkeitsgrad von Zusagen, interne Antwortzeiten
  • Verbindliche Regeln an prozessualen Schnittstellen (Service Level Agreements, SLA)

Warum ist der Vertrieb oben als einziger funktionaler Bereich neben der Unternehmensführung aufgeführt? Ganz einfach: Es handelt sich um den Bereich, in dem sich das Wohl und Wehe des Wachstums eines Unternehmens maßgeblich entscheidet. Bedeutet dies, dass die anderen Bereiche keiner Regeln bedürfen? Mitnichten, aber hier sind eben nur die drei nach meiner Ansicht wichtigsten Bereiche aufgeführt.

 

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