Dr. Rainer Dulger: „Handeln!“

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Beim Deutschen Arbeitgebertag in Berlin am 17. Oktober hat Arbeitgeberpräsident Dr. Rainer Dulger in Gegenwart von Bundeskanzler Scholz und 1.200 Gästen aus Wirtschaft, Politik und Gesellschaft eine vielbeachtete Rede gehalten. DDW dokumentiert die Rede.

Von Dr. Rainer Dulger

Wir treffen uns heute in einer schwierigen weltpolitischen und ökonomischen Lage. Der Angriff auf den Staat und die Existenz Israels entsetzt uns alle zutiefst. Wir Arbeitgeber stehen fest an der Seite Israels!

Der Bundeskanzler hat in seiner Regierungserklärung klare Worte zur Solidarität mit Israel gefunden. Er hat dafür unsere Unterstützung. Wir sind dankbar, dass er trotz dieser schwierigen Lage seine Zusage aufrecht erhalten hat und heute hier bei den Arbeitgebern sein wird. Unmittelbar danach geht sein Flieger Richtung Israel heute. Die Erwartungen an die deutsche Politik und die deutschen Unternehmen sind groß. Es gilt daher auf den Zusammenhang zwischen ökonomischer Leistungsfähigkeit und politischer Handlungsfähigkeit hinzuweisen. Wir haben in den zurückliegenden Monaten gesehen, dass eine starke Wirtschaft wichtig ist, um durch Krisen zu kommen. Deutschlands politische Wirkmächtigkeit hat zentral mit seiner wirtschaftlichen Stärke zu tun. Und damit wird der Bezug zu unserem Motto deutlich:

Lasst uns jetzt richtig handeln!

Die Lage in unseren Betrieben ist ernst. Das Ausmaß und die Gleichzeitigkeit unterschiedlicher wirtschaftlicher Herausforderungen sind umfassender als viele vorherige Krisen, die ich bisher als Unternehmer miterlebt habe. Was sind die Anzeichen dieser Krise?

  • Die Stimmung ist in der Breite der Wirtschaft gekippt.
  • Die Arbeitsproduktivität sinkt seit Jahren.
  • Wir haben 2 Millionen offene Stellen, dadurch einen massiven Fach- und Arbeitskräftemangel.
  • Jedes vierte Unternehmen mit mehr als 3.000 Beschäftigten erwägt eine Standortverlagerung ins Ausland. Selbst standorttreue Familienunternehmen überlegen Investitionen zu stoppen oder zu verlagern.
  • Die Attraktivität des Standorts Deutschland hat massiv gelitten.

Unser Fach- und Arbeitskräftemangel ist eine Folge des demografischen Wandels. Es ist aber auch ein klares Anzeichen für unser desolates Bildungswesen in diesem Land. Ich muss es leider so hart sagen: unser Bildungsföderalismus ist gut in der Vielfalt, aber schlecht im Ergebnis. 25 Prozent der Schulabsolventen erfüllen noch nicht einmal die Basisanforderungen um überhaupt ausbildungsfähig in Handwerk und Industrie zu sein. Wir leisten uns jedes Jahr rund 50.000 junge Menschen, die die Schule ohne Abschluss verlassen und ein Drittel aller Studenten brechen ihr Studium ab.

„Deutschland hat bereits heute mit 1.349 Stunden die mit Abstand kürzeste Jahresarbeitszeit der Welt. Und wir diskutieren ernsthaft über die Vier-Tage-Woche mit vollem Lohnausgleich, möglichst mit zwei Tagen Homeoffice zur verbesserten Work-Life-Balance?“

Die Koalition hat ein gutes Einwanderungsgesetz gemacht. Jetzt müssen wir es aber auch ins Laufen bringen. Die Prozesse und Abläufe stimmen noch nicht. Wir müssen digitaler, unbürokratischer und schneller werden. Nur so können wir Talente aus aller Welt für Deutschland gewinnen. Zuwanderung bedarf einer breiten Akzeptanz in der Bevölkerung. Diese Zustimmung leidet durch eine irreguläre Migration. Unser Land braucht eine gesteuerte Zuwanderung in den Arbeitsmarkt und nicht in unser Sozialsystem. Das dürfen wir in der aktuellen Debatte nicht weiter miteinander vermischen. Wir müssen dazu eine offene Diskussion führen und Lösungen finden.

Und was ist mit dem Wert von Arbeit in unserem Land? Wir müssen aufpassen, dass die Politik beim Thema Bürgergeld keine falschen Anreize für Geringverdiener setzt. Es darf nicht für Demotivation bei denjenigen sorgen, die mit einem geringen Gehalt zur Arbeit gehen. Am unteren Einkommensende verschwimmen immer mehr die Grenzen zwischen regulärer Arbeit und Bürgergeld.

Deutschland hat bereits heute mit 1.349 Stunden die mit Abstand kürzeste Jahresarbeitszeit der Welt. Und wir diskutieren ernsthaft über die Vier-Tage-Woche mit vollem Lohnausgleich, möglichst mit zwei Tagen Homeoffice zur verbesserten Work-Life-Balance? Wenn wir unseren Wohlstand halten wollen, dann habe ich folgende Botschaft: Wir werden uns das nicht leisten können. Und werden mehr, statt weniger arbeiten müssen. Auch Arbeitszeit ist ein Standortfaktor.

Wir werden nicht mehr besser, wenn wir stehen bleiben! Als Arbeitgeberpräsident sage ich: Das darf kein Zustand sein. Wir dürfen uns nicht ambitionslos damit abfinden. Wir müssen jetzt handeln!

Sind wir mit unserer Analyse zum Zustand unseres Standortes allein? Nein. Alle großen Wirtschaftsforschungsinstitute, die OECD, der IWF alle analysieren die Lage ähnlich. Die Standortbedingungen stimmen nicht mehr. Schönreden, ist keine Alternative zum Handeln!

„Als Familienunternehmer arbeiten wir eben auch für die nächste Generation. Daher meine Schlussfolgerung: Keine Gipfelanalysen mehr. Wir brauchen ein gemeinsames entschlossenes Handeln für unseren Standort“

Mein Fazit:

Viele dieser negativen Standortbedingungen sind hausgemacht. So steht einer hohen Steuer- und Beitragslast ein nicht mehr eingehaltenes Leistungsversprechen des Staates gegenüber. Von Infrastrukturmängeln bei den Verkehrsnetzen, Energienetzen und Datennetzen bis zu Genehmigungsverfahren, die Generationen überdauern. Unser Verständnis von Deutschlandgeschwindigkeit ist das nicht. Und was die deutsche Bürokratie nicht schafft, besorgt Brüssel dann. Da ist geplant auf die deutsche Lieferkettenbürokratie noch eins drauf zu setzen.

Das macht aus meiner Sicht wenig Sinn. Die Liste ließe sich noch lange fortsetzen. Für diese Lage kann man nicht alleine die aktuelle Bundesregierung verantwortlich machen. Da waren viele beteiligt und manche Entscheidungen der Vergangenheit, würde man mit dem Wissen von heute anders treffen. Es ändert aber nichts: Wir müssen handeln. Und wie handeln wir in den Unternehmen? In den Betrieben tut sich enorm viel! Transformation allerorten. Energieeffizienz und Reduktion von Emissionen gehört zur DNA der aktuellen Unternehmensleitungen. Unsere Ingenieure arbeiten an Innovationen für unsere Produkte und Dienstleistungen von Morgen. Als Familienunternehmer arbeiten wir eben auch für die nächste Generation. Daher meine Schlussfolgerung: Keine Gipfelanalysen mehr. Wir brauchen ein gemeinsames entschlossenes Handeln für unseren Standort.

Wo muss die Politik handeln? Was sind die Handlungsfelder?

  • Handlungsfeld eins:
    Unser wirtschafts- und sozialpolitischer Kompass. Die strategische Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandortes Deutschland muss in den Mittelpunkt des politischen Handelns gestellt werden. Wir Unternehmer wollen wissen, mit welchen Rahmenbedingungen es zukünftig weitergeht. Daher brauchen wir eine Standortpolitik, die einen wachstums- und investitionsfreundlichen Rahmen schafft. Dazu gehört ein klares Bekenntnis zur Industrie in Deutschland. Die Politik muss sich entscheiden: Wachstums- oder Wohlfühlpolitik.
  • Handlungsfeld zwei:
    Investitionen. Deutschland muss wieder attraktiver werden für Investitionen. Investitionen sind Chancen für die Zukunft. Kümmern wir uns wieder entschlossener um die richtigen Rahmenbedingungen für Investitionen: Einfachere Genehmigungen, mutigere Verwaltungen, keine elendig langen Gerichtsprozesse, weg mit der Verbandsklage und raschere Entscheidungen. Handeln heißt: Vorfahrt für private Investitionen!
  • Handlungsfeld drei:
    Sozialversicherungsbeiträge nicht weiter explodieren lassen. Nur mit umfassenden Reformen werden wir Arbeit nicht länger aus Deutschland vertreiben. Sozialpolitik muss treffsicherer werden. Viel hilft viel – das ist ein falsches Prinzip. Wir wollen Arbeit in Deutschland bezahlbar und für unsere Beschäftigten lohnend halten. Konkret: Mehr Netto vom Brutto! Reformen auch im Sozialen – das ist verantwortungsvolles Handeln.
  • Handlungsfeld vier:
    Arbeit neu denken. Die Digitalisierung verändert unsere Arbeitsplätze grundlegend. Von mobiler Arbeit bis Augmented Reality – die Revolution ist da. Das gilt auch für die neuen Mitarbeiterbedürfnisse. Wir müssen dafür einen flexiblen Rahmen schaffen, neue Arbeitsformen ermöglichen und nicht kaputt regulieren. Das gilt auch für neue Formen der Selbstständigkeit. Handeln heißt: Verantwortliche Flexibilität absichern – von Arbeitszeit bis Arbeitsort. Also ein klares Ja zur Zukunft der Arbeit.
  • Handlungsfeld fünf:
    Energie bezahlbar halten. Für die kleine Bäckerei ebenso wie fürs Elektrostahlwerk brauchen wir eine umfassende Verbreiterung des Energieangebotes. Nötig ist daher ein realistisches Konzept für einen wettbewerbsfähigen Strompreis. Damit meine ich nicht nur den Ausbau der erneuerbaren Energien und der dazugehörigen Netze –sondern auch die notwendige Korrektur des überstürzten Ausstiegs aus der Kern- und Kohleenergie. Andere Staaten sind da weiter – und unsere Volkswirtschaft zahlt einen hohen Preis. Handeln heißt: Realitäten überprüfen!
  • Handlungsfeld sechs:
    Bildung wieder spitze machen. Aufstieg durch Bildung muss wieder ein gültiges Versprechen für unsere Gesellschaft sein. Alle politischen Entscheidungsträger – vom Gemeinderat bis zur Kommissionspräsidentin – müssen sich dieses Ziel zu eigen machen und handeln. Wir brauchen eine umfassende Qualitätsverbesserung auf allen Ebenen unseres Bildungssystems. Und dabei geht es nicht um mehr Geld – sondern darum, gemeinsam aus dem Vorhandenen mehr zu machen. Das gilt vor allem für die berufliche Bildung. Handeln heißt: sich um die Bildungsqualität kümmern!
  • Handlungsfeld sieben:
    Unsere bizarre Bürokratie. Ein beherzter Bürokratieabbau ist ein kostenloses Konjunkturprogramm. Wir müssen unsere Prozesse auf das 21. Jahrhundert ausrichten, digitalisieren, vereinfachen. Wir müssen beispielsweise weg von den skurrilen Einzelfallregelungen im Sozialstaat, die keiner mehr versteht. Handeln heißt: Deutschland muss einfacher werden!
  • Handlungsfeld acht:
    Nachhaltigkeit breiter denken. Nachhaltigkeit ist mehr als Klimaschutz und Wärmepumpe. Veränderungen müssen nicht nur gesellschaftlich und ökologisch, sondern auch wirtschaftlich nachhaltig sein. Also Schulden- und Sozialabgabenbremse einhalten, das ist nachhaltig. Da müssen wir standfest bleiben und handeln.

Eigentlich ist die Gleichung einfach. Unser Wohlstand gedeiht nur auf dem wohlbereiteten Boden der Sozialen Marktwirtschaft. Grundvoraussetzungen dafür sind ein schlanker und effizienter Staat und ein exzellentes Bildungssystem sowie wettbewerbsfähige Standortbedingungen. Deutschland muss wieder zu einem echten Marktplatz der Ideen werden, auf dem hart in der Sache, aber fair im Umgang diskutiert wird – ohne Denkverbote, ohne moralische Keule.

„Herr Bundeskanzler: Sie haben nun die Möglichkeit die Zeitenwende auch in der Wirtschafts- und Sozialpolitik anzuführen“

Sozialpartnerschaft bedeutet miteinander reden und aufeinander zugehen. Sozialpartnerschaft ist das Gegenstück zur Radikalisierung des gesellschaftlichen Dialoges. Wir haben in den vergangenen Krisen viel gemeinsam gekonnt. Radikalisierung spaltet – Sozialpartnerschaft führt zusammen. Und darauf dürfen wir als Sozialpartner und Arbeitgeber auch stolz sein.

Sehr geehrter Herr Bundeskanzler,
ein Wort zum Abschluss:Industrie und Sozialdemokratie, das hat einmal gut zueinander gepasst. Jetzt braucht die industrielle Wertschöpfung die Unterstützung aller demokratischen Kräfte in diesem Land. Helmut Kohl hat die wirtschaftlichen Weichen für die Wiedervereinigung gestaltet. Gerhard Schröder hat die Agenda mit Ihnen, Herr Bundeskanzler durchgesetzt. Sie haben nun die Möglichkeit die Zeitenwende auch in der Wirtschafts- und Sozialpolitik anzuführen: Und um es mit Ihren Worten zu sagen: „Wir brauchen weiter Druck auf dem Kessel.“ Wir Arbeitgeber sind zum Handeln bereit. Lassen sie uns unser Land und unseren Standort gemeinsam nach vorne bringen. Wir müssen als Land eine Tugend wiederentdecken, die scheinbar irgendwo zwischen der Agenda 2010 und heute verloren gegangen ist: nämlich Ambition. Handeln wir!

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Eine Antwort zu “Dr. Rainer Dulger: „Handeln!“”

  1. Als ich vor 47 Jahren in das Berufsleben einstieg, rechnete man in arbeitswirtschaftlichen Analysen mit 1.550 – 1.650 Arbeitsstunden pro Jahr.
    Heute sind es 1.349, also 200 – 300 Stunden weniger, entspricht durchschnittlich 25 – 37 Tage pro Jahr.
    Wie wird die gewonnene Freizeit verwendet?

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