Kapitalismus, und mit ihm das Unternehmertum, haben gemeinhin einen eher schlechten Ruf. Wie kann das sein? Was ist dran an den Vorwürfen wie Profitgier, Ungleichheit, Monopolbildung oder Umweltzerstörung, die sie hervorrufen würden? Bestseller-Autor Rainer Zitelmann hat sich der Frage in seinem neuen Buch angenommen. DDW-Herausgeber Michael Oelmann sprach mit ihm.
Lassen Sie uns mit einer aktuellen Frage starten: Das 9. Kapitel Ihres Buches befasst sich sehr ausführlich mit dem Zusammenhang von Kapitalismus und Krieg. Was sagen Sie zu den aktuellen Entwicklungen?
Es ist ja eine beliebte These, Kapitalismus bzw. die Profitgier der Kapitalisten sei für Kriege verantwortlich. Angeblich geht es bei Kriegen im kapitalistischen Zeitalter stets darum, Rohstoffquellen und Absatzmärkte zu sichern. Ich widerspreche dieser These in meinem Buch und zeige, dass sie selbst für solche Kriege nicht stimmt, die immer wieder als Beispiele genannt werden – etwa für den Irakkrieg 2003, von dem behauptet wurde, hier sei „Blut für Öl“ vergossen worden. Auch für den Ersten Weltkrieg stimmt sie nicht, wie ich ausführlich belege. Und wenn wir auf den aktuellen Krieg schauen, also Putins Krieg gegen die Ukraine, sieht man ebenfalls: Da spielen viele Motive eine Rolle, aber wirtschaftliche Gründe sind, wenn überhaupt, total untergeordnet. Es geht, wie oft in der Geschichte, um Macht, Revisionsbestrebungen, Einflusssphären usw. Der Krieg schadet ja Russland und den russischen Unternehmen sogar massiv. Also der Krieg war nicht die Idee irgendwelcher reichen Oligarchen, das war allein Putins Idee. Kapitalisten verdienen im Frieden und mit Handel sehr viel besser als im Krieg, das sieht man auch jetzt wieder.
“Kapitalismus” hat gemeinhin keinen guten Ruf, möchte man meinen. Sie wagen sich in Ihrem neuen Buch an eine “Kritik der Kapitalismuskritik”. Was hat Sie angetrieben?
“Ein Buch sei wie Salzsäure, in der sich die Thesen der Antikapitalisten auflösen”: Der neue Zitelmann. Hier die Bestellinfos
Ich sehe den Kapitalismus in Gefahr. Vor einem halben Jahr haben mehr als die Hälfte der Berliner für die Enteignung großer Immobilienunternehmen gestimmt, also für eine sozialistische Idee. In Brüssel wird zunehmend eine Planwirtschaft betrieben: Nicht mehr Autounternehmen, entscheiden, was sie produzieren, sondern Politiker und Beamte, die „Flottenziele“ festlegen. Freilich spricht jemand wie Ursula von der Leyen nicht von Sozialismus. Aber letztlich ist es sozialistisches Denken, wenn sogenannte „Taxonomie“-Regeln aufgestellt werden: Politiker sollen vorgeben, welche Investitionen gut („nachhaltig“, „sozial“) und welche „sozialschädlich“ sind. Die Bundesrepublik wurde erfolgreich wegen Ludwig Erhards Marktwirtschaft, aber wir haben vergessen, wodurch und warum wir erfolgreich wurden. Es gibt Hunderte Bücher mit Kapitalismuskritik, aber wenige, die ihn verteidigen. Deshalb habe ich dieses Buch geschrieben.
Dem Ruf des Kapitalismus sind Sie mit einer professionellen Erhebung nachgegangen. Wie sehen die Deutschen den Kapitalismus?
Ja, ich habe bei den Instituten Allensbach und Ipsos MORI eine repräsentative Umfrage in Auftrag gegeben, um herauszufinden, was die Menschen in verschiedenen Ländern über Marktwirtschaft und Kapitalismus denken. Von 14 Ländern, wo die Befragung bislang durchgeführt wurden, denken die Menschen nur in vier Ländern prokapitalistisch, nämlich in Polen, USA, Japan und Südkorea. In Deutschland dominiert ganz klar der Antikapitalismus. Nur in Spanien und Frankreich ist der Antikapitalismus noch ein wenig stärker ausgeprägt als in Deutschland.
Dr. Dr. Rainer Zitelmann
Sie sprechen in Ihrem Buch davon, dass Kapitalismus eigentlich Unternehmerwirtschaft sei. Welche Funktion haben Unternehmer in einem solchen System?
Kapitalismus IST Unternehmerwirtschaft. Das ist der treffende Begriff. Im Kapitalismus kommt zwei Gruppen eine entscheidende Funktion zu: Den Unternehmern und den Konsumenten. Unternehmer entdecken neue Produkte und Produktionsmethoden, neue Gelegenheiten, Gewinn zu machen. Ob sie richtig liegen oder nicht, entscheiden freilich allein die Konsumenten. Deshalb ist der Kapitalismus das demokratischste Wirtschaftssystem: Denn ob jemand reich wird, wie etwa Jeff Bezos, entscheiden allein die Verbraucher – also in diesem Fall: die Menschen, die bei Amazon bestellen. Im Sozialismus gibt es keine Unternehmer, sondern die Betriebsleiter sind letztlich Staatsbeamte – und es sind Beamte und Politiker, die entscheiden, was und wie viel produziert wird.
Sie weisen in Ihrem Buch nach: In keinem einzigen historischen Beispiel hat Sozialismus Wohlstand gebracht, Marktwirtschaft hingegen schon. Woher kommen dennoch die wiederkehrenden sozialistischen Bestrebungen?
Erstens: Die Kapitalisten sind selbst schuld, weil sie ihr System weder verteidigen noch erklären. Sie überlassen den Diskurs wirtschaftsfremden Menschen, wie z.B. Intellektuellen oder grünen Politikern, die nicht den geringsten Bezug zur Wirtschaft haben. Und zweitens, was den Sozialismus betrifft: Sozialisten haben einen Trick, den ich in dem Buch erkläre. Nach jedem Scheitern eines sozialistischen Experimentes – und in den letzten 100 Jahren sind ausnahmslos alle Experimente gescheitert, es waren mindestens 24 – sagen die Sozialisten uns: „Sorry, das war gar nicht der richtige Sozialismus. Aber jetzt haben wir rausgefunden, wie es geht, das nächste Mal wird es dann klappen.“ Aber antikapitalistische Systementwürfe scheitern immer, zuletzt in Venezuela. Dabei hatte uns beispielsweise Sahra Wagenknecht noch vor einigen Jahren erzählt, wir sollten vom Wirtschaftsmodell Venezuelas lernen. Sozialismus sieht auf dem Papier immer gut aus – außer, wenn
es ein Geschichtsbuch ist.
Sie bemühen sich in Ihrem Buch, die zehn Irrtümer der Antikapitalisten faktenbasiert zu widerlegen. Welches ist am verbreitetsten?
Das ist von Land zu Land verschieden, wie unsere Umfrage gezeigt hat. In Deutschland sagen die Menschen vor allem, Kapitalismus fördere Egoismus und Profitgier (72%), führe zu steigender Ungleichheit (ebenfalls 72%), werde von Reichen dominiert, die die Politik bestimmen (66%), führe zu Monopolen (63%) und zu Klimawandel und Umweltzerstörung (50%). Der letztgenannte Punkt, also das Umweltthema, spielt übrigens in keinem Land eine so große Rolle wie in Deutschland. Mit jedem dieser Vorwürfe setze ich mich auseinander. Ein Leser meinte, das Buch sei wie Salzsäure, in der sich die Thesen der Antikapitalisten auflösen.
Glauben Sie denn, dass ein marktwirtschaftliches System, dass Unternehmertum in der Lage ist, die großen Herausforderungen wie Umweltzerstörung und Armut zu bewältigen?
In meinem Buch finden Sie viele, viele Fakten. Hermann Otto Solms, der das Buch besprochen hat, nennt mich einen „Faktenfanatiker“. Da Sie nach Umweltzerstörung und Armut fragen, hier also einige wenige Fakten dazu: Bevor der Kapitalismus entstand, lebten die meisten Menschen auf der Welt in extremer Armut – 1820 betrug die Quote noch 90 Prozent. Heute ist sie unter 10 Prozent gesunken. Das Bemerkenswerte: In den letzten Jahrzehnten, seit dem Ende der sozialistischen Planwirtschaft in China und anderen Ländern, hat sich der Rückgang der Armut so stark beschleunigt wie in keiner Phase der Menschheitsgeschichte zuvor. 1981 lag die Quote noch bei 42,7 Prozent, im Jahr 2000 war sie bereits auf 27,8 Prozent gesunken und 2021 lag sie unter 10 Prozent. Das zum Thema Armut.
Und zum Umweltthema: Interessant ist es, den Umwelt-Index EPI der Yale University mit dem Index der wirtschaftlichen Freiheit zu vergleichen. Dieser „Index of Economic Freedom“, den die Heritage Foundation ermittelt, misst die wirtschaftliche Freiheit in allen Ländern der Welt. In dem jüngsten Bericht wurden 177 Ländern analysiert. Der Soziologe Erich Weede hat diesen Index treffend als „Kapitalismusskala“ bezeichnet. Wissenschaftler haben die beiden Indizes – den Umwelt-Index EPI und den Index der wirtschaftlichen Freiheit – verglichen. Das Ergebnis: Die wirtschaftlich freiesten Länder hatten die höchste Punktzahl im Umwelt-Index der Yale-Universität, nämlich durchschnittlich 69,8. Die Länder, die „überwiegend unfrei“ bzw. „unfrei“ waren, hatten die mit Abstand schlechteste Umwelt (37,5 bzw. 36,5 Punkte im EPI). Das heißt: In den am stärksten kapitalistischen Ländern sind die Umweltbedingungen besser als in den wirtschaftlich unfreien Ländern.
Denken Sie, dass Sie Antikapitalisten mit Ihrem Buch überzeugen?
Nein.
Warum haben Sie es dann geschrieben?
Antikapitalisten lesen lieber das zehnte Buch, das ihre eigene Meinung und ihre Vorurteile über den Kapitalismus bestätigt. Die werden dieses Buch nur ausnahmsweise lesen. Es richtet sich an Menschen wie Ihre Leser, die vielleicht gefühlsmäßig eher Pro-Marktwirtschaft sind, denen aber all die Argumente und Fakten fehlen, die ich aus über 300 wissenschaftlichen Studien und Publikationen zusammengetragen habe. Wer mit Kapitalismuskritikern diskutiert, sollte dieses Buch kennen. Es hat noch nie ein so großes Interesse an einem meiner Bücher – und dies ist mein 26. Buch – gegeben, wie an diesem: Zwar erscheinen fast alle Bücher von mir in vielen Sprachen, aber für dieses Buch liegen mir Anfragen aus 20 Ländern vor. Die ersten acht Lizenzverträge habe ich schon unterzeichnet, und ich denke, in diesem Monat kommen mindestens fünf weitere hinzu. Sogar in der Monogolei wird das Buch erscheinen.
Dr. Dr. Rainer Zitelmann ist Historiker und Soziologe – und war auch als Unternehmer und Investor erfolgreich. Er hat 26 Bücher geschrieben und herausgegeben, die in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden. Sein neuestes Buch soll in 20 Sprachen erscheinen. In den vergangenen Jahren schrieb er Artikel oder gab Interviews in führenden Medien wie Le Monde, Corriere della Sera, Il Giornale, Frankfurter Allgemeine Zeitung, Die Welt, Neue Zürcher Zeitung, Daily Telegraph, Times und Forbes.
2 Antworten zu ““Wir haben vergessen, wodurch und warum wir erfolgreich wurden””
Der Kapitalismus im kleinen und mittleren Betrieben ist ein guter Motor für die Wirtschaft und damit auch für die Allgemeinheit. Das Problem sind meines Erachtens die “größeren” Unternehmen.
Wenn Sie die Frage stellen, soll der Staat bestimmen, welche Produkte eine Firma herstellt, darf oder soll, stelle ich die Gegenfrage: Sollen ein, zwei oder drei Firmen bestimmen können, was ich als Verbraucher in einem bestimmten Segment kaufen kann? Sie beherrschen den Markt und stellen eben nur die Produkte her oder bieten die Dienstleistungen an, die sie für profitabel sind.
Ein gutes Beispiel sind die Kabel- und Mobilfunkanbieter. Sie bestimmen, ob ich meine Firma hier weiter am Standort betreiben kann, verlegen oder einen sechsstelligen Betrag in die Hand nehmen muss.
Warum sollen wir Firmen überlassen, ob Autos leise, die Luft sauber, Lebensmittel bezahlbar oder Medikamente verfügbar sind?
Es ist meines Erachtens auch zu kurz gegriffen, Putin alleine die Schuld am Krieg zu geben. Warum ist Putin noch an der Macht? Wer beherrscht die Medien in Russland? Wer kontrolliert Telegram und Facebook? Warum kommen bei den Menschen in Russland die Fake News an? Weil eben gewinnorientiert Firmen diesen Markt beherrschen.
Warum geht es der Bevölkerung in Russland so schlecht? Ein Land, das Rohstoffe exportiert und riesige Gewinne macht, kann seine Leute nicht ordentlich ernähren. Warum? Weil das Geld nicht unten ankommt?
Ist Putins Gerede über das verlorene Großreich Russland nicht nur ein Ablenkungsmanöver von der sozialen Schieflage, verursacht durch Oligarchen? Der Krieg gegen die Ukraine nur ein Mittel, die Bevölkerung zusammen zu schweißen, gegen einen äußeren Feind und den inneren Gegnern zu zeigen, wie weit er zu gehen bereit ist?
Ob Putin wirklich damit gerechnet hat, wie stark die Gegenwehr im Westen ist? Dass wir bereit sind, Nachteile in Kauf zu nehmen und damit seinen Großkapitalisten zu schaden?
Sie setzen Marktwirtschaft mit Kapitalismus gleich. Meines Erachtens stimmt dies doch nur so lange, bis es zur Monopolbildung kommt. Dies ist genauso schädlich wie eine staatliche Steuerung ins Einzelne hinein.
Wer sich als Händler in die Hände von Amazon begibt – teilweise schon ein Muss -, merkt, was Marktmacht ist. Da sind staatliche Vorgaben gerade zu Wattebällchen.
Willkommen in der deutschen Unternehmer-Community!
Gerne halten wir Sie mit dem kostenfreien DDW-Newsletter, einem der größten der deutschen Wirtschaft, über die neuesten Rankings und Top-Beiträge auf dem Laufenden. Hier anmelden
gerne halten wir auch Sie mit unserem wöchentlichen Mailnewsletter, einem der größten der deutschen Wirtschaft, über unsere neuesten Rankings und Top-Beiträge auf dem Laufenden.
Der Kapitalismus im kleinen und mittleren Betrieben ist ein guter Motor für die Wirtschaft und damit auch für die Allgemeinheit. Das Problem sind meines Erachtens die “größeren” Unternehmen.
Wenn Sie die Frage stellen, soll der Staat bestimmen, welche Produkte eine Firma herstellt, darf oder soll, stelle ich die Gegenfrage: Sollen ein, zwei oder drei Firmen bestimmen können, was ich als Verbraucher in einem bestimmten Segment kaufen kann? Sie beherrschen den Markt und stellen eben nur die Produkte her oder bieten die Dienstleistungen an, die sie für profitabel sind.
Ein gutes Beispiel sind die Kabel- und Mobilfunkanbieter. Sie bestimmen, ob ich meine Firma hier weiter am Standort betreiben kann, verlegen oder einen sechsstelligen Betrag in die Hand nehmen muss.
Warum sollen wir Firmen überlassen, ob Autos leise, die Luft sauber, Lebensmittel bezahlbar oder Medikamente verfügbar sind?
Es ist meines Erachtens auch zu kurz gegriffen, Putin alleine die Schuld am Krieg zu geben. Warum ist Putin noch an der Macht? Wer beherrscht die Medien in Russland? Wer kontrolliert Telegram und Facebook? Warum kommen bei den Menschen in Russland die Fake News an? Weil eben gewinnorientiert Firmen diesen Markt beherrschen.
Warum geht es der Bevölkerung in Russland so schlecht? Ein Land, das Rohstoffe exportiert und riesige Gewinne macht, kann seine Leute nicht ordentlich ernähren. Warum? Weil das Geld nicht unten ankommt?
Ist Putins Gerede über das verlorene Großreich Russland nicht nur ein Ablenkungsmanöver von der sozialen Schieflage, verursacht durch Oligarchen? Der Krieg gegen die Ukraine nur ein Mittel, die Bevölkerung zusammen zu schweißen, gegen einen äußeren Feind und den inneren Gegnern zu zeigen, wie weit er zu gehen bereit ist?
Ob Putin wirklich damit gerechnet hat, wie stark die Gegenwehr im Westen ist? Dass wir bereit sind, Nachteile in Kauf zu nehmen und damit seinen Großkapitalisten zu schaden?
Sie setzen Marktwirtschaft mit Kapitalismus gleich. Meines Erachtens stimmt dies doch nur so lange, bis es zur Monopolbildung kommt. Dies ist genauso schädlich wie eine staatliche Steuerung ins Einzelne hinein.
Wer sich als Händler in die Hände von Amazon begibt – teilweise schon ein Muss -, merkt, was Marktmacht ist. Da sind staatliche Vorgaben gerade zu Wattebällchen.
Die Kritik am Kapitalismus ist von Zitelmann keineswegs widerlegt worden, wie man in dieser Rezension nachlesen kann.
https://www.amazon.de/gp/customer-reviews/R3C8VOGC2419KJ/ref=cm_cr_srp_d_rvw_ttl?ie=UTF8&ASIN=3959725469