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Ein schwerer Schlag für den Innovationsschutz
Als vermeintliche Lehre aus der Corona-Pandemie will die EU künftig europaweite Zwangslizenzen verhängen können und auch Zugang zu Geschäftsgeheimnissen ermöglichen. Damit würde dem Innovationsschutz erneut einen schweren Schlag versetzt werden.
Von Berthold Welling
Als vermeintliche Lehre aus der Corona-Pandemie will die EU künftig europaweite Zwangslizenzen verhängen können. Beschränkte sich der Vorschlag der EU-Kommission vor allem auf Patente, schießt der Rechtsausschuss des EU-Parlaments mit seiner Forderung, mit Zwangslizenzen auch Zugang zu Geschäftsgeheimnissen zu ermöglichen, weit über den Verordnungsvorschlag der Kommission hinaus.
Endgültiger Verlust des wirtschaftlichen Werts des Know-hows
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Berthold Welling ist Geschäftsführer Recht und Steuern beim VCI (Bild: VCI)
Mit seiner Position versetzt der Rechtsausschuss dem Innovationsschutz erneut einen schweren Schlag. Erst kürzlich hatte sich das Parlament für ein Patentierungsverbot für Pflanzen ausgesprochen, die mit neuen genomischen Techniken hergestellt werden. Der schon ohnehin unausgewogene Entwurf der Kommission zu den Zwangslizenzen gerät nun völlig aus der Balance. Zwangslizenzen werden typischerweise an Wettbewerber der Rechteinhaber vergeben, weil diese über die entsprechende Infrastruktur verfügen, um die zwangslizenzierten Produkte herstellen zu können. Wenn Wettbewerbern auch noch Zugang zu Geschäftsgeheimnissen verschafft wird, führt dies zum endgültigen Verlust des wirtschaftlichen Werts des Know-hows und der jeweiligen Informationen. Denn anders als bei einem Patent, das für jedermann öffentlich einsehbar ist, liegt der Wert des Geschäftsgeheimnisses gerade darin, dass sein Inhalt nicht offenbart ist. Daher wären die Europaabgeordneten gut beraten, die Entscheidung des Rechtsausschusses im weiteren Verfahren zu korrigieren. Nur so können Geschäftsgeheimnisse auch in Zukunft unangetastet bleiben. Andernfalls droht durch eine Zwangslizenz der irreversible Verlust eines Geschäftsgeheimnisses.
Darüber hinaus muss die Notwendigkeit der europäischen Pläne sogar grundsätzlich in Frage gestellt werden. Die Corona-Pandemie hat gezeigt, dass es ohne Zwangslizenzen geht: Wirksame Impfstoffe wurden in Rekordzeit entwickelt und eingesetzt. Zwangslizenzen spielten dabei keine Rolle.
„Patentierungsverbote für einzelne Technologien und die Schwächung des Geheimnisschutzes sind Gift für die Innovationskraft der deutschen und europäischen Industrie“
Mit dem Vorschlag zu Zwangslizenzen ist die EU-Kommission außerdem ein Stück weit vom ursprünglichen Weg abgekommen, den sie mit ihrem ursprünglichen IP-Action-Plan von 2020 eingeschlagen hat. Darin hatte die Kommission zutreffend festgestellt, dass Innovation und immaterielle Werte die Eckpfeiler der heutigen Wirtschaft sind. Erklärtes Ziel des Plans war es, in Europa noch mehr zu tun, um sicherzustellen, dass das geistige Eigentum die Widerstandsfähigkeit der EU-Wirtschaft stärkt und den Übergang zur digitalen und grünen Wirtschaft fördert. Wichtige Initiativen der EU-Kommission, wie die derzeit ebenfalls in der Gesetzgebungs-Pipeline befindliche Schaffung eines unionsweiten „Ergänzenden Schutzzertifikats“ für Pharmazeutika und Pflanzenschutzmittel, werden nunmehr durch den Vorschlag zu Zwangslizenzen konterkariert. Zudem werden dadurch internationalen Bestrebungen zur Beschränkung geistiger Eigentumsrechte, wie etwa den Diskussionen über eine Ausweitung des sogenannten TRIPS- Waivers auf COVID-19-Diagnostika und Therapeutika, unnötig Rückenwind verliehen.
Wenn sich Forschung und Entwicklung nicht mehr lohnen, wird sich dies auf den Forschungsstandort negativ auswirken
Nach alledem scheint das Europäische Parlament den dringend notwendigen Innovationsschutz aus den Augen verloren zu haben. Wenn sich Forschung und Entwicklung nicht mehr lohnen können, weil die Forschungsergebnisse zunehmend allen offenstehen, wird sich dies auf den Forschungsstandort negativ auswirken. Patentierungsverbote für einzelne Technologien und die Schwächung des Geheimnisschutzes sind Gift für die Innovationskraft der deutschen und europäischen Industrie. Die Absicherung der hohen Investition in Forschung und Entwicklung ist dabei nur einer von vielen Aspekten: So sorgen vor allem Patente auch für einen Wissens- und Innovationszuwachs der Allgemeinheit. Sie fördern den Technologietransfer, in dem aus der Idee ein transferierbares Asset wird. Damit ermöglichen sie Unternehmenskooperationen sowie die Entstehung und Entwicklung kleinerer und mittlerer Unternehmen mit hoher Innovationskraft. Die hehren Ziele des Europäischen Parlament und die Stärkung der Krisen-Resilienz der Europäischen Union können nicht durch Eingriffe in den Patentschutz zu erreichen, sondern im Gegenteil: Sie bedürfen eines robusten Systems geistigen Eigentums, um die notwendigen Anreize für Innovationstätigkeit und Innovationsverbreitung zu setzen.
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